Die Wahl in Moldau am kommenden Sonntag ist nicht nur für das Land selbst entscheidend, sondern auch für die EU. Sie sieht hier einen Testfall für ihren geopolitischen Einfluss. »Ein Sieg der prorussischen Opposition würde zu einer grundlegenden Neuausrichtung der internationalen Beziehungen des Landes führen«, so die CDU-nahe Konrad Adenauer-Stiftung. Mit einem Sieg der proeuropäischen Regierungspartei dagegen würde die EU ihren Einfluss in der Region ausbauen. Dieser Ausbau ist fester Bestandteil der EU-Strategie – zu seinem Wohle hat sich die EU sogar eine Reform ihrer Erweiterungspolitik vorgenommen.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ließ in ihrer jüngsten Rede zur Lage der Union[1] keinen Zweifel an der Bedeutung, die sie der Osterweiterung zumisst. »Europa muss kämpfen um seinen Platz in einer Welt, in der viele Großmächte Europa gegenüber entweder ambivalent oder offen feindselig eingestellt sind«, sagte sie, »eine Welt imperialer Ambitionen und imperialer Kriege.« Europas »Unabhängigkeit« hänge daran, »künftige Mitgliedstaaten näher an unsere Union heranzuführen«. Für die Ukraine, für Moldau, für den Westbalkan liege die Zukunft in der EU. Laut EU-Kommissionschefin geht es also darum, die »nächste Wiedervereinigung Europas zu verwirklichen«.
Diese »Wiedervereinigung« liegt laut EU-Kommission seit Langem »im strategischen Interesse der Union«[2]. Denn eine größere Union habe mehr geopolitisches Gewicht und Einfluss auf der Weltbühne, auch als Wirtschaftspartner. Dies, so die Kommission, trage auch dazu bei, externe Abhängigkeiten zu verringern, die Widerstandsfähigkeit zu stärken und Europa zu ermöglichen, bei Bedarf autonomer zu handeln. »Die Erweiterung stärkt die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstumspotenzial des Binnenmarkts und schafft neue Skaleneffekte.« Größe ist Macht.
Um diese Größe in der Konkurrenz mit anderen Weltmächten zu erreichen, entschied der Europäische Rat 2022, Ukraine, Moldau [3]und Georgien die europäische Perspektive zu eröffnen. Damit löste sich die EU von ihrem Erweiterungskonsens, der seit 2006 galt und lediglich den Beitritt der sechs Länder des Westbalkans und der Türkei vorsah.
Für die EU-Aspiranten ist die Vorbereitung zum Beitritt allerdings eine schwierige Aufgabe. Sie müssen ihre Gesellschaft und ihr Rechtssystem EU-konform machen, also umfangreiche politische, institutionelle und politische Reformen durchführen. Aber auch die EU will sich reformieren, um die Aufnahme neuer Mitglieder schneller und einfacher zu ermöglichen und ihren Machtzuwachs damit zu gewährleisten.
Bislang allerdings sei das System zu bürokratisch, urteilt die Brüsseler Denkfabrik Centre for European Policy Studies (CEPS). »Die Kommission sollte davon absehen, bei jedem einzelnen Schritt des Verhandlungsprozesses auf die Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten zu warten.« Der gesamte Erweiterungsprozess müsse vereinfacht und gestrafft werden, »um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU sowohl in geopolitischer als auch in geoökonomischer Hinsicht zu stärken«.
Um das zu erreichen, kann die EU die ökonomische Abhängigkeit ihres Umfelds nutzen. Laut Wiener Institut für internationale Wirtschaftsstudien[4] ist »die EU nach wie vor der am stärksten vernetzte Akteur in ihren Nachbarregionen ist – vom Westbalkan über die östlichen Nachbarn bis hin zur Türkei und dem südlichen Mittelmeerraum«. Zwar gewinne China seit 2021 in Schlüsselbereichen wie dem Handel mit Hochtechnologie und Investitionen stetig an Boden. Russland spiele durch Energie- und Agrarlebensmittelversorgung weiterhin eine wichtige Rolle. Noch aber besteht laut den Wirtschaftsforschern »eine solide Grundlage für eine strategische Nachbarschaftspolitik, die die Europäische Union in einem umkämpften geopolitischen Umfeld stärken kann. Nur wenn die EU in ihrer Nachbarschaft echte Gestaltungsmacht entwickelt, kann sie als globaler Akteur auftreten – statt zu riskieren, in der neuen Ära der Geopolitik zu einer Schachfigur zu werden.«