Tadej Pogačar machte mal wieder ganz früh ernst. Schon auf dem Mount Kigali[1], mehr als 100 Kilometer vor dem Ziel[2], beschleunigte er. Nur zwei Mann, der Mexikaner Isaac Del Toro und der Spanier Juan Ayuso, konnten ihm folgen. Überraschend war das nicht, Pogačar[3] hatte es als Option schon vor dem Start[4] in Erwägung gezogen.
»Wir haben natürlich gehofft, dass er es nicht macht, denn es ist eine ziemlich riskante Taktik«, sagte später sein slowenischer Nationalmannschaftskollege[5] Luka Mezgec zu »nd«. »Der Plan war auch, dass er noch ein paar Leute mitnehmen würde, um etwas Unterstützung zu haben. Etwas dumm war dann auch, dass Del Toro Ayuso so früh distanzierte«, kommentierte Mezgec weiter. Wenig später musste Del Toro jedoch passen. »Er sagte mir, er habe Magenprobleme, was schade war«, beschrieb Pogačar die Situation. »Zu zweit[6] wäre es sicher besser gewesen.« Aber dann musste er die Schlussrunden auf dem Stadtkurs [7]doch allein bestreiten. Am Ende ging ihm fast die Energie aus: »Da denkst du nur noch: Durchhalten, durchhalten«, meinte er, und ein kleines Lächeln huschte über sein ermattetes Gesicht.
Als »Märchen«, das wahr geworden sei, beschrieb später Sloweniens Nationaltrainer Uroš Murn die mehr als sechsstündige Schlacht über 267 Kilometer. Denn aufseiten der Slowenen hatte eben alles gepasst. Sogar feinste Details wurden perfekt ausgeführt. »Wir haben auf den Stadtrunden am Anfang seine Flaschen getragen, damit er etwas leichter ist. Jede Kleinigkeit ist wichtig«, erläuterte Mezgec.
Hinzu kam, dass bei Pogačar [8]eben auch das Material und der eigene Magen hielten. Mit beidem hatte die Konkurrenz zu kämpfen. Remco Evenepoel[9] etwa fuhr am Fuße des Mount Kigali über ein Schlagloch. »Danach rutschte mein Sattel nach unten, und ich kam in eine so schlechte Position, dass ich nicht mehr als 400 Watt treten konnte und Krämpfe bekam«, schilderte der Belgier sein erstes Missgeschick. Das verhinderte auch, dass er im Anstieg Pogačars Attacke parieren konnte. Sein Ersatzrad, auf das er in der Verpflegungszone wechselte, hatte aber auch nicht die richtige Satteleinstellung. »Ich bekam schnell Rückenprobleme«, sagte er. Beim nächsten Radwechsel musste Evenepoel lange auf sein Teamfahrzeug warten, was er mit wütenden Tritten in die Luft kommentierte.
»Von der Form her war der WM-Titel drin.«
Remco Evenepoel Radsport-Profi
Danach sammelte er die ihm vorausfahrenden Konkurrenten einen nach dem anderen ein. Nur auf Pogačar wollte der Rückstand partout nicht sinken. Immerhin blieb der Abstand gleich, was den Belgier zur Einschätzung veranlasste: »Von der Form her war der WM-Titel drin – wenn nur nicht die Materialprobleme gewesen wären.«
Pogačar und Evenepoel zeichneten sich in diesen WM-Tagen in Afrika auch noch durch ungewöhnlich starke Konstitution aus. Viele Konkurrenten beklagten Magen-Darm-Probleme. Drei der vier deutschen Starter waren bei etwa der Hälfte des Rennens schon gar nicht mehr dabei. Die Dixi-Toiletten in der Start- und Zielzone wurden selbst im Rennen so heftig frequentiert, dass sich der deutsche Nationalfahrer Jonas Rutsch zu dem Bonmot hinreißen ließ: »Sie könnten dort eine Drehtür einbauen, so viel Ein- und Ausgang gibt es.« Was genau die Ursache für Durchfall und Magenkrämpfe war, von denen Männer und Frauen quer durch alle Teams betroffen waren, ließ sich nicht feststellen. Slowenien hatte einen eigenen Koch mitgebracht, die deutsche Abordnung aber auch. Es gab verschärfte Hygienemaßnahmen. Die einen waren dadurch geschützt, bei anderen half es weniger.
Die Ursachen für das generell schlechte Abschneiden der Deutschen quer durch alle Altersklassen und Wettkämpfe bei dieser WM lassen sich da schon eher erklären. Abgesehen von der Rumpf-WM in der Pandemie 2020, als nur die Eliterennen ausgetragen wurden, nicht aber die Nachwuchswettbewerbe, waren diese Welttitelkämpfe die ersten seit der Wiedervereinigung, bei denen eine deutsche Abordnung ohne jegliche Medaille heimfahren musste. Nur Antonia Niedermaier als jeweils Sechste in Zeitfahren und Straßenrennen sowie Justyna Czapla als Siebte im Zeitfahren der U23 hübschten die Bilanz etwas auf.
Andere Nationalteams, so wie die Schweiz, Belgien und Frankreich, gewannen jeweils vier Medaillen und mindestens einen Titel und hielten im Vorfeld der WM gemeinsame Trainingslager zur Vorbereitung ab. Die deutschen Auswahltrainer sind dagegen bislang darauf beschränkt, ein paar Wochen vor der WM aus den Athleten, die sich zum Saisonende noch halbwegs fit und motiviert fühlen, den Kader zusammenzustellen. Zudem müssen sie auf die Gnade der Rennställe hoffen, an die die Profis vertraglich gebunden sind.
»Das müssen wir umgestalten und auch von den anderen Nationen lernen«, nahm sich Männerbundestrainer Jens Zemke vor. Schon im Winter müsse man die nächste WM angehen, frühzeitig mit den Fahrern reden, die dafür infrage kommen, und dann eben auch eine gemeinsame Strategie mit den jeweiligen Rennställen erarbeiten, sagte er zu »Radsport-News« mitten im Männerrennen, als Pogačar noch einsam seine Runden drehte, alle seine Rennfahrer aber bereits die Räder an die Box geschoben hatten.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194372.radsport-wm-tadej-pogačar-uneinholbar.html