Berliner*innen könnten die Innenstadt zukünftig nicht mehr unüberwacht überwinden. Darauf weist Meike Kamp am Montag im Innenausschuss in Bezug auf einen 700-seitigen Gesetzesentwurf hin. Die Landesdatenschutzbeauftragte ist neben weiteren Wissenschaftler*innen in den Ausschuss geladen, um über die sogenannte Asog-Novelle zu diskutieren.
Das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (Asog) wird reformiert. Gemeinhin als Polizei- und Ordnungsrecht bezeichnet, regelt das Gesetz unter anderem, welche Befugnisse die Polizei zur Gefahrenabwehr und zur Straftatenverhütung hat. Der derzeitige Entwurf erweitert den Spielraum der Behörde erheblich – auf Kosten der Grundrechte der Berliner*innen. Dabei geht es zum einen um mehr Überwachung und zum anderen um den Umgang mit den neugewonnen Daten.
Die Datenschutzbeauftragte Kamp weist mit dem Szenario einer totalüberwachten Innenstadt darauf hin, dass die Asog-Novelle vorsieht, die sieben kriminalitätsbelasteten Orte (kbO) dauerhaft zu überwachen. Dabei kann Künstliche Intelligenz (KI) mit automatisierter Verhaltensmustererkennung eingesetzt werden – und zwar, ohne dass eine konkrete Gefahr vorliegen muss.
David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) kritisiert diese Neuregelung, da sie intensiv in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingreife. »Sie beeinträchtigt alle, die die betroffenen Orte besuchen, und dient dazu, belastende hoheitliche Maßnahmen vorzubereiten und das Verhalten der den Raum nutzenden Personen zu lenken«, so der Rechtsanwalt im Ausschuss.
Laut der Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel ist noch gar nicht klar, welche Software bei der Videoüberwachung an den kbOs zum Einsatz käme. Man müsse erst einmal eine Ausschreibung starten – aber davor brauche es die gesetzliche Regelung. Und woher weiß die KI, wer als Gefahr einzustufen ist? »Die KI wird mit einer Simulation trainiert«, so Slowik Meisel. Man orientiere sich an dem Pilotprojekt zur KI-Videoüberwachung[1] in Mannheim.
Etwas mehr Klarheit schafft die derzeitige Fassung der Asog-Novelle zumindest für die kbOs. So werden diese erstmals rechtlich geregelt und die Grenzen transparent gemacht. »Das Regelungskonzept der kriminalitätsbelasteten Orte ist jedoch insgesamt abzulehnen«, so Werdermann. Die Maßnahmen an kbOs führten allenfalls dazu, dass sich Kriminalität an andere Orte verlagere. »Außerdem ist erwiesen, dass anlasslose Kontrollen im besonderen Maße anfällig sind für willentliches oder unwillentliches Racial Profiling«, sagt der Anwalt.
Die Asog-Novelle sieht auch die Ausweitung polizeilicher Befugnisse zur Telekommunikationsüberwachung[2] (TKÜ) vor. Telefone und Computer können mit Spähsoftware (Staatstrojanern) infiltriert werden – diese kann grundsätzlich auf sämtliche Daten zugreifen. Besonders heikel dabei ist, dass der entsprechende Paragraf in Bezug auf die TKÜ nicht nur zur Gefahrenabwehr eingesetzt werden soll, sondern auch für »weniger schwere Straftaten und Vorfelddelikte«, so Werdermann.
»Zudem fehlt es an einer unabhängigen Überprüfung der eingesetzten Software. Auf dem Markt gibt es zahlreiche Lösungen, die schlicht nicht den rechtlichen Vorgaben entsprechen, wie zum Beispiel der Pegasus-Trojaner, der auch von autokratischen Regimen genutzt wird«, sagt der Anwalt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion Vasili Franco weist darauf hin, dass die derzeitige Fassung den Adressat*innen-Kreis der Überwachungsmaßnahme auf Kontakt- und Begleitpersonen erweitere. »Ich sehe da ein Problem, wenn jeder, den die Polizei als Gefahr sehen will, zur Gefahr gemacht wird.«
Laut der geplanten Asog-Novelle[3] dürften Polizeibehörden öffentlich zugängliche Daten biometrisch abgleichen. Jedes Foto, dass eventuell ohne das Wissen einer Person im Netz gelandet ist, könne somit zu Überwachungszwecken genutzt werden. Wer an einer Versammlung teilnimmt und von Journalist*innen fotografiert wird, muss damit rechnen, in einer polizeilichen Datenbank zu landen. Das ehemalige RAF-Mitglied Daniela Klette war beispielsweise mithilfe einer solchen Datenbank des Anbieters Pim Eyes von Journalist*innen entdeckt worden. »Der Aufbau einer biometrischen Referenzdatenbank auf Vorrat wäre verfassungs- und unionsrechtswidrig«, so der Anwalt David Werder.