Die Natur ist ganz schön antifeministisch, das ist ärgerlich«, hat die Argentinierin Camila Fabbri in einem ihrer zahllosen Interviews erzählt. Seit sie 2021 von der renommierten britischen Literaturzeitschrift »Granta« in eine Liste der 25 besten spanischsprachigen Schriftsteller*innen unter 35 aufgenommen wurde, ist ihr Bekanntheitsgrad durch die Decke gegangen.
Leila Guerriero schrieb über Fabbri: »Ihre Stimme billigt keinerlei Domestizierung und strahlt wie ein Unikat.« 2023 gewann sie den zweiten Preis beim spanischen Herralde-Literaturwettbewerb des Verlags Editorial Anagrama (Barcelona), an dem sie anonym teilgenommen hatte. Das Manuskript, für das Fabbri nicht mal einen Titel hatte, sollte dann zack, zack bei Anagrama herauskommen. Das merkt man dem Werk durchaus an.
Jetzt hat der Hanser-Verlag die deutsche Übersetzung von »La reina del baile« mit dem etwas kryptischen Titel »Dancing Queen« vorgelegt. Sinngemäß soll es so eine Art Bibel für »die Millennials« sein respektive wird ein »Roadtrip« versprochen. Vollmundig können sie bei Hanser.
Sinngemäß soll es so eine Art Bibel für »die Millennials« sein respektive wird ein »Roadtrip« versprochen. Vollmundig können sie bei Hanser.
Der Hit »Dancing Queen« von Abba erschien exakt an meinem 10. Geburtstag, dem 16. August 1976. Elvis lebte noch genau ein Jahr, und in Argentinien war seit Ende März und mit tatkräftiger Unterstützung der Schmidt-Genscher-Regierung eine Militärjunta an der Macht, die in der Folge Zehntausende Menschen liquidierte. Schon in den Jahren zuvor hatten Todesschwadronen das Land verwüstet. Immer auch begleitet von dem Soundtrack von Abba (die ab Mitte der 80er beim Sender RCA Argentina auch auf Spanisch sangen). Camila Fabbri verliert dazu kein Wort. Sie wurde 1989 geboren.
Ihr Roman ist sprachlich ebenso gut gelungen wie handlungsarm. Es mag daran liegen, dass die Protagonistinnen als eigenschaftslose Geschöpfe ohne jegliches Interesse für irgendetwas dargestellt werden. Männer sind nur Beiwerk, sieht man von einem Hund namens Gallardo ab. Die Hauptfigur heißt Paulina Almada. Sie liegt gleich zu Beginn kaputt im Auto. Etwas ist geschehen. Sie muss da durch, wir aber auch.
Nun springt Fabbri zur Vorgeschichte, es geht hin und her. Paulinas Freund Felipe, nicht nur als eigenschaftslos, sondern auch als dumm skizziert, hat ihr den Laufpass gegeben. Sie hat sonst keinerlei Freunde, jedoch eine Arbeitskollegin: Maite, mit der sie manchmal, eher unfreiwillig, redet. Reden ist zu viel gesagt. Maite stöhnt über die Männer, Paulina kommentiert das sarkastisch, womit sie hauptsächlich Maite meint. Sie sind keine Freundinnen. Laut Hanser sind sie »die Millennials«.
Beide verherrlichen die Leere und ändern also nichts daran. Ihr einziges Lebensziel scheint »der Mann«, der Versorger, zu sein. War das nicht im Mittelalter? Sie mögen ihren Job nicht, sie mögen gar nichts. Nicht mal sich selbst. Und der »Roadtrip«? Nun gut, sie fahren zusammen im Auto zu Maites altem, dementem Vater an die Küste, in die Dorfstadt Quequén bei Necochea. Ist das bemerkenswert? Ich war auch schon mal im Harz.
Ihre Welt aber liegt in Ruinen, im übertragenen Sinne versteht sich: mentale Schuttberge. Bewusstlos kann man nicht vor sich selbst flüchten. Wenn beide eine Vorgeschichte hätten oder irgendetwas anderes, einen Charakter oder eigene Gedanken beispielsweise, dann wäre es vielleicht sogar nachvollziehbar, dass sie sich plötzlich unbedingt reproduzieren wollen: Nachwuchs wird verlangt. Maite plant, Eizellen einfrieren zu lassen. Sie und Paulina klingen wenig überzeugend. Sie reden viel und sagen wenig.
Dann eskaliert alles in Quequén. Das wusste ich gleich zu Beginn des Buches. Schließlich die Rückfahrt, fluchtartig.
Das Buch (direkt und indirekt monologisierend) ist, trotz eines pointierten Schnoddertons, trostlos. Es wirkt wie ein falsch verstandener Nihilismus, das große Schulterzucken. Eine Leserin kommentiert im Netz: »Es dominiert eine Schwere, die eher an eine klassische Midlife-Crises erinnert als an die Herausforderungen der Gen Y.« Yep.
Es gibt keine Queen, die tanzt, nicht mal eine Bitch. Niemand tanzt. Nicht mal Wiener Walzer. Gegen Ende gibt Fabbri ihrer gebeutelten Protagonistin eine neue Chance. Nun können »die Gefühle« voranpreschen. Aber da prescht nichts. Auch wenn die Autorin das wohl vermutet. Zuletzt sitzt Paulina scheinbar glückselig vor einem Rudel Hundewelpen. Ist aber wieder nur Sarkasmus.
Camila Fabbri: Dancing Queen. A. d. Span. v. Susanne Lange. Hanser, 176 S., geb., 22 €.