Michael Lenard ist einer, der sich bisher nicht in den Vordergrund drängte. Doch nun rückt der US-Jurist an die heikelste Schnittstelle des Weltsports: Als »Acting President« führt der 70-Jährige fortan den Internationalen Sportgerichtshof CAS samt Aufsichtsgremium ICAS an. Zuvor war der Australier John Coates (75) krankheitsbedingt zurückgetreten vom Präsidentenamt, das er 15 Jahre lang innegehabt hatte.
Unter Coates fungierte sein Nachfolger Lenard bereits zehn Jahre lang als dessen Vizepräsident – bestens qualifiziert durch eine lange Laufbahn als ehemaliger Athlet, Funktionär und Wirtschaftsanwalt. 1984 stand Lenard für die USA im olympischen Handballteam, saß später im Führungskern des U.S. Olympic & Paralympic Committee (unter anderem als Vizepräsident), während er als Anwalt in der Großkanzlei Latham&Watkins Karriere machte. Seit 1994 arbeitet er in der ICAS. Lenard ist ein Insider mit einer langen Erinnerung an Verfahren, Satzungen und sportpolitischen Empfindlichkeiten.
Er gibt sich als Reformer. »Zugang zur Justiz, Transparenz und Unabhängigkeit«, so umschrieb er in früheren Interviews[1] seine Ziele. 2021 indes stand er bei Olympia in Tokio in der Kritik, nachdem er als allein zuständiger Richter den Eilantrag der belarussischen Sprinterin Kryszina Zimanouskaja abgewiesen hatte. Die Athletin hatte zuvor ihre Trainer kritisiert, das Belarus-Team wollte Zimanouskaja daraufhin nach Hause schicken, wogegen die Athletin Einspruch einlegte. Lenard wies den Antrag ab. Der Reformer blieb im Zweifel dem System treu.