Wochenlange Hitze und Dürre[1] – spätestens seit 2018 ist der Klimawandel für viele deutsche Landwirt*innen greifbare Realität. In Folge des Wassermangels kam es bei Getreide, Kartoffeln und Raps zu erheblichen Ertragseinbußen. Die Milchleistung der Kühe ging aufgrund von Hitzestress deutlich zurück, es fehlte Futter. Namentlich in Brandenburg[2] drohen Dürren immer häufiger zu werden. Doch das ist nicht das einzige drängende Problem der Branche: Etwa ein Viertel aller deutschen Ackerflächen sind durch Winderosion gefährdet, bei einem Drittel besteht ein mittleres oder gar hohes Risiko für Wassererosion durch immer häufiger auftretende Starkregenereignisse.[3]
Agroforst[4], die Kombination von Gehölzen, Ackerflächen und Viehweiden, wirkt dem entgegen. Die Baumreihen oder Hecken brechen den Wind und halten Wasser und Boden auf den Flächen. Sie spenden Schatten und erzeugen durch Verdunstung ein kühleres Mikroklima, was Kühen, Ziegen, Schafen oder den Pflanzen zugutekommt. In ihrem Holz speichern sie Kohlenstoff und tragen so zum Klimaschutz bei. Zudem beherbergen sie eine Reihe von Nützlingen wie Laufkäfer, Spinnen und Regenwürmer.
Die Idee ist nicht neu. In den Tropen sind solche komplexen Anbausysteme weitverbreitet. Auch hierzulande wurden Schweine früher zur Mast in sogenannte Hutewälder getrieben. »Ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurde die Landschaft (in Deutschland) zunehmend ausgeräumt«, erzählt Thomas Middelanis, der im Fach Landschaftsökologie an der Universität Münster promoviert. Im Zuge der Industrialisierung der Landwirtschaft[5] setzten die Landwirt*innen immer größere Maschinen ein. Dabei standen ihnen die Bäume im Weg.
Seit einigen Jahren gewinnt die moderne Agroforstwirtschaft nun auch in Deutschland an Popularität. Anders als früher werden die Gehölze auf Äckern und Weiden heute in Reihen gepflanzt, um Traktoren und Mähdrescher nicht zu behindern.
Ende 2024 waren beim Deutschen Fachverband für Agroforstwirtschaft (Defaf e. V.) über 200 Agroforstsysteme auf insgesamt 1700 Hektar Fläche gemeldet. Damit führt diese Art der Bewirtschaftung im Verhältnis zu 16,6 Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche insgesamt immer noch ein Nischendasein, erfährt aber seit 2019 einen deutlichen Aufschwung. Die meisten Agroforstbetriebe gibt es in Brandenburg, wo der Transformationsdruck besonders hoch ist. Dort setzen viele auf Energieholz, das rasch wächst und sich amortisiert.
Knapp die Hälfte der deutschen Agroforstbetriebe kombiniert Gehölze mit Feldfrüchten, rund 40 Prozent mit Nutztieren und 15 Prozent mit beidem. Besonders beliebt sind Pappeln, Apfel- oder Wertholzbäume und bei den Sträuchern Hasel, Holunder und Himbeere.
Auf dem 10. Agroforstforum, das kürzlich an der Gießener Justus-Liebig-Universität (JLU) stattfand, waren sich Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen darin einig, dass es nun an der Zeit ist, in die Fläche zu gehen. Dabei hoffen sie auch auf die Bundesregierung, die in ihrem Koalitionsvertrag verspricht, Agroforstsysteme zu fördern. Denn bisher behindern vor allem die hohen Anfangsinvestitionen den Ausbau.
Auf einer Exkursion im Rahmen der Tagung stellten Wissenschaftler*innen der JLU ihre Agroforstsysteme auf dem ökologischen Lehr- und Versuchsbetrieb Gladbacherhof in Aumenau vor. Diese hatten sie angelegt, nachdem im Sommer 2018 starke Regenfälle den ganzen fruchtbaren Oberboden an den Hanglagen mit sich ins Tal gerissen hatten.
Auf insgesamt 15 Hektar Fläche wachsen nun über 2000 Gehölze. Zwei der Agroforstsysteme befinden sich auf Ackerland, das dritte auf einer Kuhweide im sogenannten Keyline Design: Dort haben sie die Bäume meist waagrecht zu den Falllinien des Hangs gepflanzt, um Niederschläge bestmöglich auf der Fläche verteilt aufzunehmen und zu speichern.
In einem anderen System wechseln sich in einer Reihe Pappeln mit Apfelbäumen, Holunder und Nussbäumen ab: Die Pappeln wachsen am schnellsten. So kommt ihnen die Aufgabe zu, die anderen Bäume im Jugendstadium zu beschatten. Später werden sie gefällt. Um astfreie Stämme zu erzeugen, werden die Werthölzer bis zu einer Höhe von acht Metern aufgeastet. Auch werfen sie so nur diffuse Schatten und stören damit die anderen Bäume und Ackerpflanzen nicht in Wachstum und Produktivität.
Die Wurzeln der Bäume sollen ihrerseits lernen, in die Tiefe zu wachsen, um den Feldpflanzen Nährstoffe und Wasser nicht streitig zu machen. »In den ersten Jahren werden sie immer, wenn sie anfangen, in den Acker hereinzuwachsen, abgeschnitten«, erläutert Philipp Weckenbrock, Wissenschaftler an der Professur für Ökologischen Landbau an der JLU. »Danach haben die Bäume die Nachricht verstanden.«
»Agroforstwirtschaft stellt eine sehr gute Alternative dar, um die Auswirkungen des Klimawandels zu kompensieren.«
Moritz Fäßler
Bayerische Landesanstalt für Wald
und Forstwirtschaft
Ernest Hoeffel und Corinne Bloch, die 2021 mit dem französischen Agroforst-Preis ausgezeichnet wurden, züchten auf ihrem Biohof Charolais-Rinder und bauen Feldfrüchte an. Ein Netz von Hecken aus Ahorn, Eiche, Wildkirsche und Linde durchzieht ihre 180 Hektar große Betriebsfläche. Von Zeit zu Zeit schneiden sie sie zurück. Das Laub fressen die Tiere, den Astschnitt verarbeiten die Hofbesitzer zu Hackschnitzeln. Diese dienen als Einstreu und halbieren so den Verbrauch des deutlich teureren Strohs, und da sie sehr saugfähig sind, bildet sich kein Ammoniak.
»Die Holzterpene reinigen die Luft im Stall und beugen damit Atemwegserkrankungen der Kälber vor«, berichtet Bloch. Die so vorkompostierten Holzschnitzel schichten die Bauern abwechselnd mit Strohmist zu langen Mieten auf und düngen damit, wenn diese sich vollständig zersetzt haben, ihre Felder und Wiesen. So werten sie den Boden deutlich auf.
80 Hektar ihrer Flächen zählen zum europäischen Schutzgebietenetz »Natura 2000«[6]. Dort lebt eine Vielzahl an Vögeln, Schmetterlingen, Kröten und Fledermäusen. Auch Kartierungen von 2022 bis 2024 auf Versuchsflächen der Hessischen Staatsdomäne Frankenhausen zeigen den positiven Effekt von Agroforst auf die Biodiversität. So siedelten sich mit der Pflanzung von Walnuss, Hasel und Schwarzer Johannisbeere 14 neue Vogelarten an. Gleichzeitig verdoppelte sich die Zahl der Vögel verglichen mit dem Zeitraum von 2008 bis 2010. Auch bei Tagfaltern wurden mehr Arten gesichtet, darunter auch gefährdete.
Dem physischen Geografen und Permakultur-Designer Stefan Schwarze zufolge kann die Temperatur auf großen Flächen je nach Nutzung um 10 bis 20 Grad Celsius variieren, wobei es im Wald aufgrund der Verdunstungsleistung der Bäume am kühlsten bleibt. Auch brachliegende Äcker erwärmen sich deutlich stärker als bewachsene.
»Agroforstwirtschaft stellt gerade für Landwirte in von Trockenheit gefährdeten Gebieten eine sehr gute Alternative dar, um die Auswirkungen des Klimawandels zu kompensieren«, sagt Moritz Fäßler von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft. Er erforscht auf Versuchsflächen neben bestellten Äckern, wie sich trockenresistente Baumarten in trockenen Lagen etablieren können. Am besten bewährten sich von den gewählten Arten Flatterulme und Vogelkirsche.
Franziska Gaede, Dozentin zu Agroforstsystemen an der Universität Göttingen und Gründerin der Baumschule »Kastanienkultur«, ermutigt dazu, Landwirtschaft ganz neu zu denken und statt auf Ackerbau auf Baumlandschaften zu setzen. »Mehrjährige Kulturen haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber einjährigen Pflanzen, da sie, einmal gepflanzt, für viele Jahrzehnte bis Jahrtausende (!) Nahrung liefern, ohne große Inputs zu benötigen und gleichzeitig den Wasserkreislauf fördern«, schreibt sie auf der Homepage ihrer Baumschule.
»Bei der Esskastanie handelt es sich eigentlich um einen ›Brotbaum‹, weil er Grundnahrungsmittel produziert«, erklärt Gaede. Die Früchte sind wie Getreide sehr reich an Kohlenhydraten. So kann man damit Brot backen, sie rösten oder ein Pesto daraus herstellen. Im Schnitt bräuchten die Bäume zwölf Jahre, bis sie die anfänglichen Investitionen decken. Im besten Fall aber könnten Menschen auch in 2000 Jahren noch von den gleichen Bäumen satt werden.
Überhaupt hält der Gießener Agrarwissenschaftler Weckenbrock die weitverbreitete Sorge vieler Landwirt*innen, es drohten Flächen- und Ernteverluste, nicht für berechtigt. Er arbeitet gerade an einer weltweiten Überblicksstudie über die Erträge von Agroforstsystemen. Der bisherigen Auswertung von 41 Studien zufolge liegt die Flächenproduktivität von Agroforst verglichen mit Reinkulturen im Schnitt etwa 30 Prozent höher.
»Angesichts wachsender Weltbevölkerung und schwindender Ackerfläche wird viel diskutiert, wie man den Spagat hinbekommen soll, immer noch genügend Lebensmittel zu produzieren – auch wenn das absurd ist, angesichts der riesigen Mengen, die weggeworfen werden, und der Tatsache, dass mehr als die Hälfte des europäischen Getreides als Tierfutter verwendet wird«, sagt er. Nach bisherigem Forschungsstand zeichnet sich nun ab, dass Agroforstsysteme nicht nur dem Klima-, Arten- und Bodenschutz dienen, sondern auch als Produktionssystem sehr interessant sind.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194419.agroforstsysteme-aus-der-nische-in-die-flaeche.html