nd-aktuell.de / 01.10.2025 / Politik

Global Sumud Flotilla: »Wollen einen humanitären Korridor öffnen«

Crew-Mitglied Judith Scheytt im Interview über Ziele der Hilfsflotilla nach Gaza und die Gefahren für die Mannschaft

Interview: Julian Daum
Die Menschenrechtsaktivistin und Medienkritikerin Judith Scheytt mit Kuffiyeh bei einem Protest.
Die Menschenrechtsaktivistin und Medienkritikerin Judith Scheytt mit Kuffiyeh bei einem Protest.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Interviews befindet sich die »Global Sumud Flotilla« noch etwa 100 Seemeilen vor Gaza, eine Intervention der israelischen Armee scheint kurz bevorzustehen. Ein Militärschiff habe sie bereits umkreist. Das Gespräch führten wir, als sich die Flottilla noch etwa 300 Seemeilen von Gaza entfernt im Mittelmeer befand.

Die »Global Sumud Flottille« ist bereits zweimal angegriffen worden, woraufhin ihr vor einigen Tagen in griechische Hoheitsgewässer eingefahren seid. Gab es an diesem Punkt Zweifel weiterzumachen?

Für gewöhnlich bleiben Flottillen nach Gaza in internationalen Gewässern. Wir sind in griechische Gewässer gegangen, weil die Einschätzung war, dass das für uns sicherer sein könnte, als in internationalen Gewässern zu bleiben. Dann haben wir geankert, bis wir die Risiken geprüft hatten, und sind dann wieder losgefahren. Wir sind aber nie an einem Hafen angelandet.

Was habt ihr denn seit dem Drohnenangriff gegen euch vor einigen Tagen besprochen? Wie schätzt ihr das weitere Risiko seitdem ein?

Wir haben die Risiken grundsätzlich neu beurteilt. Dass wir so früh vor Gaza angegriffen werden, hat bei uns dafür gesorgt zu überlegen: Wie verhalten wir uns bei weiteren Drohnenattacken? Wie verhalten wir uns, wenn jemand verletzt wird? Praktisch eine Neueinschätzung der Situation, insbesondere, weil wir abwarten mussten, wie die Reaktionen unserer eigenen Regierung sind und wir erst mal verstehen mussten, was zum Beispiel die Militärschiffe aus Italien und Spanien bedeuten, die uns inzwischen begleiten.

Was bedeuten die Schiffe denn? Schutz?

Wir sind skeptisch. Die italienische Regierung ist stark rechts und ein enger Partner Israels. Wir wissen, dass die italienische Regierung nicht unser Bündnispartner ist. Aber die Tatsache, dass sie sich durch diesen Generalstreik im Zugzwang gesehen hat, sagt natürlich schon was aus. Sie sagten unseren italienischen Staatsbürger*innen, sie sollten doch bitte abbrechen und mit ihnen auf dem Militärschiff wieder zurückgehen. Sie haben das Angebot abgelehnt. Die Aktivist*innen haben das Angebot abgelehnt.

Trotz allem: Allein die Reaktion bedeutet schon einen gewissen Schutz für uns. Das ist ein neuer Fall, dass erstmals Regierungen so eingreifen und Militärschiffe schicken. Ein Präzedenzfall, auch wenn das Ganze vor allem im Fall der italienischen Regierung eher symbolisch ist.

Ihr seid euch sicher, dass Israel hinter den Angriffen gegen euch steckt. Geht ihr davon aus, dass es zu einer größeren Eskalation erst dann kommt, wenn die Militärschiffe kurz vor der Küste abdrehen?

Wir wissen nicht genau, was die Militärboote bezwecken sollten, sie sind circa 150 Seemeilen vor Gaza abgedreht. Wir fahren nun ohne sie weiter, was die Wahrscheinlichkeit für eine Eskalation und einen illegalen Angriff und Festnahmen nochmal erhöht. Die Lage kann sich schnell verändern.

Hast du denn als deutsche Staatsbürgerin von deiner eigenen Regierung irgendetwas gehört? Wurde dir zum Beispiel konsularische Hilfe angeboten?

Ich wurde angerufen, dass man mir eine Mail geschickt hat: Darin sagt das Auswärtige Amt, dass es vor Reisen nach Gaza warnt und dass sie in meinem Fall leider keine konsularische Hilfe leisten können. Sie hätten Israel über ihre Staatsbürger informiert, und Israel habe angekündigt, uns aufzuhalten – wahrscheinlich mit Gewalt.

Also nicht viel mehr als die Informationen, die ohnehin auf den Webseiten des Auswärtigen Amtes stehen.

Es war in etwa das öffentliche Statement.

Keine persönliche Ansprache, nichts?

Nein.

Israelische Medien und die Regierung bezeichnen euch als »Hamas-Flottille«. Das ist eine andere Kommunikationsstrategie als noch bei dem Segelschiff »Madleen«, das vor einigen Monaten von den Israelis abgefangen wurde.

Als Israel uns offiziell als »Hamas-Flotte« bezeichnete, waren wir schon in Alarmbereitschaft, weil sich daraus einiges ableiten lässt. Die »Madleen« im Mai war ja noch das »Selfie-Boot«, das so benannt wurde, um ihr Vorhaben ins Lächerliche zu ziehen. Von daher waren die Drohnenattacken nicht überraschend für uns, 48 Stunden davor wurde diese Kampagne gegen uns hochgefahren.

Wir können aus dieser Propaganda ableiten, dass Israel auf jeden Fall versucht, einen Konsens zu schaffen, uns anzugreifen. Gleichzeitig gibt es große Solidarität und Mobilisierung auf den Straßen für uns, was Schutz bedeutet. Wenn Israel uns gewaltsam angreift oder illegal abfängt, haben zum Beispiel Organisationen in Italien Streiks und Demonstrationen angekündigt – es clashen also Propaganda und Mobilisierung.

Ist es richtig, dass einige Teilnehmer*innen aufgrund dieser Gefahrenlage die Boote verlassen haben?

In Kreta sind einige von ihnen an Land gegangen, auch weil sie medizinisch versorgt werden mussten. Es gab einen Personenaustausch.

Zuletzt haben einige Medien von Streit auf der Flottille berichtet. Greta Thunberg sei aus dem Führungsgremium ausgestiegen, weil zu viel über Strategie und interne Struktur und nicht über die eigentliche Sache – die Menschen in Gaza – gesprochen worden sei. Was ist da dran?

Bei so einer großen, schnell zusammengestellten Organisation gibt es Diskussionen und Streitfragen unter den Teilnehmern. Mediale Öffentlichkeit ist unsere Lebensversicherung. Es geht uns aber nicht um Selbstdarstellung. Wir segeln hier nicht, weil wir segeln gehen wollten. Man muss sich also fragen: Was ist politische Strategie, bis zu welchem Grad müssen wir unsere eigenen Geschichten erzählen, um unsere Forderungen klarzumachen und die Aufmerksamkeit auf Gaza weiterzuleiten??

Die Selbstdarstellung, die euch einige vorwerfen, ist also strategisch?

Es ist eine grundsätzliche Diskussion in allen Bewegungen: Welcher Grad an Selbstdarstellung dient der politischen Strategie? Es gibt vulnerable Menschen hier. Für mich ist es leichter, über Gaza zu sprechen, weil ich einen westlichen Pass habe, weiß bin und Online-Reichweite habe. Für vulnerablere Personen braucht es mehr Mobilisierung, um ihren Schutz zu erhöhen. Das kann nicht für die ganze Organisation pauschal gesagt werden.

Gerade um diese vulnerableren Menschen – queere Aktivist*innen auf der Flottille – soll es ja gegangen sein: Man habe sich über ihre Anwesenheit an Bord eines Schiffes beschwert haben. Wie passt das zum Schutz vulnerabler Gruppen?

Ich habe davon aus der rechten Presse erfahren. Es kann sein, dass so etwas passiert ist, weil Queerfeindlichkeit in der Breite der Gesellschaft und damit auch in Organisationen wie unserer existiert, ganz ohne Zweifel. Und wir versuchen dann zu gucken, wie können wir wen hier unterstützen, wann müssen wir wem gegenüber Solidarität zeigen.

Aber inwiefern das unsere Aktion delegitimieren soll, wie es nun einige tun, die Hilfsgüter liefern und einen humanitären Korridor öffnen möchte, das verstehe ich nicht. Eine humanitäre Mission muss Awareness-Räume haben, um gesellschaftliche Missverhältnisse und Diskriminierungen aufzufangen. Ich glaube nur nicht, dass die Legitimität unserer Aktion und ihr Ziel etwas damit zu tun hat. Und es bedeutet nicht, dass wir Solidarität, Reflexion und Antidiskriminierung hinten anstellen. Wir haben viele queere Aktivist*innen an Bord, für die feststeht, dass queere Befreiung mit einem freien Palästina zusammenhängt.

Die »Madleen«-Mission bestand aus einem Boot mit wenigen Tonnen Hilfsgütern. Eines ihrer Hauptziele war also, die Öffentlichkeit auf die Aushungerung der Menschen in Gaza hinzuweisen. Nun transportiert ihr mit etwa 50 Booten weitaus mehr. Wie würdest du das Hauptziel dieses Mal beschreiben?

Das Ziel war schon immer, die Blockade zu durchbrechen. Wenn Israel sich entscheidet, uns gewaltsam aufzuhalten, dann können wir dem wenig entgegenhalten, weil unsere Regierungen Israels Komplizen sind. Für ein einziges Boot war das natürlich noch schwieriger.

Unser Ziel heute ist nicht nur humanitäre Hilfe zu leisten, sondern wir wollen einen humanitären Korridor öffnen. Dort, wo wir abgefahren sind, in Sizilien, in Genua, stehen weitere Schiffe mit humanitärer Hilfe bereit, die sofort losfahren könnten, wenn der Korridor nach Gaza geöffnet wird.

Einmal aufgebrochen, bliebe der Korridor also eurer Meinung nach dauerhaft auf?

Unser Ziel ist es, politischen Druck aufzubauen, vor allem auf unsere Regierungen, damit wir durchgelassen werden und humanitäre Hilfe abrufen können, die dann sofort losgeschickt wird. Wir stehen einem mächtigen Staat gegenüber: Wenn Israel internationales Recht bricht, haben wir im Moment nicht viel mehr als unsere Körper und Boote, um dagegenzuhalten. Würde Israel internationales Recht beachten, wäre das kein Problem.