nd-aktuell.de / 01.10.2025 / Berlin

40 Jahre »Antes-Affäre« – Schüsse im West-Berliner Bausumpf

Die Antes-Affäre zeigte vor 40 Jahren die korrupte Verflechtung von Politik und Bauherren im sozialen Wohnungsbau

Fabian Kunow
Der damalige Charlottenburger Baustadtrat Wolfgang Antes (CDU) am 9. Mai 1985
Der damalige Charlottenburger Baustadtrat Wolfgang Antes (CDU) am 9. Mai 1985

Vor 40 Jahren, am 2. Oktober 1985, fliegen in einer Tiefgarage in der Salzbrunner Straße 5 im bürgerlichen Wilmersdorf Kugeln. Abgeschossen von zwei rekrutierten Berufsganoven aus dem Milieu, das zu West-Berliner Zeiten in den Seitenstraßen des Kurfürstendamms seine Treffpunkte hatte. Ihr Auftraggeber möchte einen ehemaligen Geschäftspartner, mit dem er über ein undurchsichtiges (Schein-)Firmennetz[1] verbunden war, aus dem Weg räumen lassen. Doch das Opfer hat Glück und kommt mit einem Oberarmdurchschuss davon: Günther Schmidt, der sich als Bauherr im Berliner Stadtbild mit dem Neuen Kreuzberger Zentrum[2] verewigt hat – dem prominenten Hochhaus-Betonriegel, der wie eine umgedrehte Burg über dem Kottbusser Tor thront. Schmidt nennt noch im Krankenhaus der Polizei den von ihm vermuteten Hintermann, den Juristen mit CDU-Parteibuch Christoph Schmidt-Salzmann, der sich seine Initialen CSS in seine Maßanzüge sticken ließ, Mitglied beim Verein der Freunde der Nationalgalerie war und im Badezimmer ein Porträt von Al Capone hängen hatte.

Dieser West-Berliner Zwischenfall klingt nach Mafia. Ist es auch – es ist die Baumafia. In einer zeitgenössischen Broschüre der linken Szene wird dieser Personenkreis »Sanierungsmafia« genannt. Später etabliert sich der Begriff »Berliner Sumpf«. Gegenüber »nd« beschreibt der »Taz«-Mitgründer und damalige »Die Zeit«-Journalist Michael Sontheimer den Berliner Sumpf als eine von der sprichwörtlichen Berliner Luft inspirierte Wortschöpfung: »Sie stand für die Kollusion und das Soziotop von Politik und Bauwirtschaft sowie deren systematische Aneignung von Steuergeldern in West-Berlin. Akteure des Berliner Sumpfes waren Baustadträte der Bezirke, Bausenatoren, Parteischatzmeister, Bauunternehmer, Rechtsanwälte, aber auch ein Zuhälter namens Otto Schwanz, Mitglied der CDU.« Sontheimer wird mit seinem Buch »Antes & Co – Geschichten aus dem Berliner Sumpf« zum Chronisten dieses Sumpfes – des »Antes-Skandals«.

Namensgeber des Skandals wird Wolfgang Antes, CDU-Baustadtrat in Charlottenburg. Bei ihm klingelt am 4. November, einen Monat nach den Schüssen in der Wilmersdorfer Tiefgarage, die Polizei zur morgendlichen Hausdurchsuchung. Anlass war ein Brief mit der Anrede »Lieber Wolfgang«, unterschrieben mit »Christoph«, der im Büro von Christoph Schmidt-Salzmann bei einer Hausdurchsuchung zur Aufklärung der Schussabgabe auf Schmidt gefunden worden war. Dieser Brief ist nicht besonders lang, hat es aber in sich. Der Briefschreiber erinnert »Wolfgang« daran, dass er schon insgesamt 370 000 DM für einen Erbbaupachtvertrag und eine Baugenehmigung für ein Grundstück in der Kaiser-Friedrich-Straße aufgewandt habe. Er werde »diesen Betrag nicht ohne Revanche in den Sand setzen«. Versehen ist der Brief mit der Drohung: »Sonst werde ich sehr ungemütlich.« Wie ungemütlich eine solche Revanche im West-Berliner Bausumpf sein konnte, hatte sich gerade erst in der Wilmersdorfer Tiefgarage gezeigt.

Wie aber war Wolfgang Antes zu seiner Hausmacht im CDU-Kreisverband Charlottenburg gekommen? Er hatte sich die Parteibeiträge von Karteileichen – wirklich Verstorbene, säumige Parteimitglieder, aber auch CDU-Mitglieder ohne politische Ambitionen – von Externen bezahlen lassen. Sein Ortsverband gelangte auf diese Weise zu einer überproportional hohen Zahl von Delegierten bei Kreisparteitagen. Es war aber nicht nur gekaufte politische Macht, sondern auch Geld in die Taschen des Bezirkspolitikers beziehungsweise auf das Konto seiner Schwiegermutter geflossen. So besaß er eine ausgebaute Mühle auf einem Anwesen in Bayern, die er sich mit seinem Gehalt als Kommunalpolitiker niemals hätte leisten können. Zudem besaß der zwischenzeitliche Sozialkundelehrer und Bezirksstadtrat noch drei weitere Eigentumswohnungen.

Antes kassierte aber nicht nur potenzielle Bauherren im sozialen Wohnungsbau ab, sondern auch den Luden Otto Schwanz für die Genehmigung von gastronomischen Betrieben und einer Charlottenburger Geflüchtetenunterkunft. Gleichzeitig ließ er Schwanz als Geldbriefträger für sich arbeiten, wie im Buch »Antes & Co – Geschichten aus dem Berliner Sumpf« zu lesen ist.

Dass die Ermittler die Relevanz des bei der Durchsuchung gefundenen Briefes schnell erkannten und eine Vermutung hatten, wie der Nachname des »Lieben Wolfgang« lautete, lag daran, dass schon länger in verschiedenen Korruptionsverfahren gegen Antes ermittelt wurde.

Zum Berliner Sumpf gehörten Bausenatoren, Bauunternehmer, Rechtsanwälte und Zuhälter.

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Wolfgang Antes bekam es mit der hartnäckigen »SoKo Lietze« zu tun. Benannt war diese nach einem Brand in einem Haus in der Charlottenburger Lietzenburger Straße. Heute steht dort ein typischer schlichter 80er-Jahre-Neubau. Grund für den Brand könnte gewesen sein – wie bei vielen Bränden und Wasserschäden in Altbauhäusern, die mit CSS und Günther Schmidt sowie deren Geschäftspartnern in Verbindung standen –, Platz zu schaffen für stark subventionierten Neubau. Daher erhielt diese Geschäftsmänner-Clique aus der Hausbesetzerszene der frühen 80er-Jahre den Namen »Sanierungsmafia« oder »die Abräumer«. Der Brand hatte einen toten Hausbewohner zur Folge, weshalb dieser Fall – anders als viele zuvor – nicht nach ein paar Wochen ergebnislos eingestellt werden konnte.

Den Ermittlungen der emsigen »SoKo Lietze« folgten viele langwierige Gerichtsprozesse. Wolfgang Antes wurde zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt, weil es das Gericht als erwiesen ansah, dass er mehrere Bestechungszahlungen von Bauunternehmen angenommen hatte. Wegen einer Nierenkrankheit erhielt er Haftverschonung. Weitere korrupte Politiker wurden ebenfalls verurteilt. Der Anwalt und Bauunternehmer Christoph Schmidt-Salzmann floh nach Brasilien und wurde dort gefasst. Er wurde wegen Korruption zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Da er 1993 starb, wurde er nie wegen der Anklage auf Mordversuch verurteilt.

Auf politischer Ebene gab es einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der bis 1988 insgesamt 165 Zeugen gehört hatte und sich mit dem Wirken von »Antes & Co« bei unter anderem 35 Baugrundstücken beschäftigte. Dieser wurde von der Öffentlichkeit aufmerksam verfolgt und hat im Januar 1989 zur Wahl des ersten rot-grünen Senats in West-Berlin beigetragen. Dieser blieb aber nicht lange an der Macht, da bei der ersten Gesamtberliner Wahl nach der Wende wieder die CDU das Amt des Regierenden Bürgermeisters übernahm.

Man kann die Geschichte(n) um Wolfgang Antes, CSS, Zuhälter Otto Schwanz und die vielen Gauner mit lustigen Namen wie »Arschbacken-Ede« als abgeschlossene True-Crime-Episode aus schillernden West-Berliner Tagen abhaken – wie dies im hörenswerten RBB-Podcast »Die Mauerstadt – Wildes West-Berlin« geschieht. Oder man setzt sie in Verbindung mit dem ökonomischen Rückgrat, durch das sich diese Verbrechen erst zu lohnenden Geschäften entwickelten und das bis heute für einen Teil der Berliner Mieter als »Kostenmietenwahnsinn« (Andrej Holm) relevant ist: dem sozialen Wohnungsbau.

Der soziale Wohnungsbau führte mit der West-Berlin-Förderung durch den Bund dazu, dass über die Jahre bis zu 190 Prozent des eingesetzten Eigenkapitals von der Steuer abgesetzt werden konnten. Hinzu kamen noch die eingenommenen Mieteinnahmen der neuen Hauseigentümer. Das Resultat war, dass sich hinter dem wohlklingenden Namen »sozialer Wohnungsbau«[3] großteils private Investoren mit hohen, risikolosen Renditeerwartungen verbargen – statt gemeinwohlorientierter Eigentümer wie beispielsweise Genossenschaften. Es galt, so der Zeitzeuge Sontheimer, die Devise: »Wer mit einem Grundstück im sozialen Wohnungsbau nicht mindestens eine Million Gewinn macht, muss ein Idiot sein.«

Dies funktionierte aber nur bei Personen mit Spitzensteuersätzen und wenn die Baukosten – zum Beispiel mithilfe von Vermittlungsdienstleistungen wie über das Firmengeflecht um Günther Schmidt und Christoph Schmidt-Salzmann – ordentlich aufgebläht wurden. So entstanden sehr hohe angebliche Kostenmieten. Für die neu entstandenen Vermieter, aber auch für die Sozialmieter war das zunächst egal, da die Wohnungen aufgrund vertraglich festgelegter Sozialbindungen für einen bestimmten Zeitraum günstig vermietet wurden. Seit den 2000er Jahren laufen – je nach Vereinbarung zwischen Senat und Bauherr – viele dieser Sozialbindungen aus, sodass Vermieter die überhöhten Kostenmieten verlangen dürfen. Da es auf dem Berliner Wohnungsmarkt kaum günstigere Alternativen gibt, müssen die ehemaligen Sozialmieter diese nun selbst tragen, oder es wird erneut mit Steuergeld in Form von Wohngeld oder Wohnkostenübernahme eingesprungen.

Diese absurden Subventions- und Finanzierungsinstrumente blieben jedoch nicht auf die untergegangene Insel West-Berlin beschränkt, sondern fanden in den 90er Jahren bei der Sanierung der Ostberliner Altbauquartiere erneut Anwendung. Heute laufen auch hier – nach 30 Jahren – die Regelungen der Sozialbindung aus, die an die Förderung der Sanierung in den 90er Jahren geknüpft waren. Für die Mieter bedeutet das nun enorm steigende Mieten und Angst vor Kündigungen wegen »Eigenbedarfs«.

Michael Sontheimer/Jochen Vorfelder: »Antes & Co. Geschichten aus dem Berliner Sumpf«, Rotbuch-Verlag (1986).
Andrej Holm/Ulrike Hamann/Sandy Kaltenborn: »Die Legende vom Sozialen Wohnungsbau«. Berliner Hefte 2 zu Geschichte und Gegenwart der Stadt (2021).

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1184041.wirtschaftskriminalitaet-schwarzarbeit-am-humboldt-forum.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1184181.mietenwahnsinn-teures-contracting-gefangen-im-heizvertrag.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187040.stadtentwicklung-sozialwohnungen-in-berlin-kein-ende-der-krise.html