nd-aktuell.de / 01.10.2025 / Politik

Wer ist die US-Antifa?

Präsident Donald Trump hat die Antifa als »Terrororganisation« eingestuft. Über Strategie und Praxis der Bewegung in den USA

Anjana Shrivastava
Auf einer Demonstration der Antifa 2021 in Boston
Auf einer Demonstration der Antifa 2021 in Boston

Die Antifa in den USA sieht sich – wie ähnliche Gruppen in der ganzen Welt – als die letzte Verteidigungslinie gegen faschistische Gewalt; besonders dann, wenn die Staatsgewalt unwillig ist, gegen Nazis einzuschreiten. Daher überrascht es nicht, dass die amerikanischen Antifa-Gruppierungen – weit über 200 an der Zahl – in der Trump-Ära zunehmend in der Öffentlichkeit stehen. Und zwar nicht erst, seit Trump die Antifa im September zur Terrorgruppe erklärte [1]und Truppen nach Portland (Oregon) schickte, um dort Proteste unter anderem der Antifa zu bekämpfen.

Wie andere soziale Bewegungen ohne hierarchische Organisation – etwa Occupy Wall Street oder Black Lives Matter – hat die US-amerikanische Antifa keine offizielle ideologische Linie. Aber folgendes Zitat eines Antifa-Mitglieds in Baltimore vermittelt einen Eindruck von der Position der Antifa: »Man bekämpft sie (die extreme Rechte, Anm.d.R.), indem man Briefe schreibt und telefoniert, damit man sie nicht mit Fäusten bekämpfen muss. Man bekämpft sie mit Fäusten, damit man sie nicht mit Messern bekämpfen muss. Man bekämpft sie mit Messern, damit man sie nicht mit Waffen bekämpfen muss. Man bekämpft sie mit Waffen, damit man sie nicht mit Panzern bekämpfen muss.« Ursprünglich stammt die Aussage aus Mark Brays Buch »Antifa: The Anti-Fascist Handbook«.[2]

Diese Einstellung zur Selbstverteidigung macht die Antifa zur Herausforderung für das US-amerikanische System, nicht nur für die Trump-Regierung. Die Antifa versucht, Auftritte von Neonazis zu verhindern, zu stören oder zu beenden. Aber auch Beamte der Abschiebebehörde ICE werden behindert oder blockiert.

Wie andere soziale Bewegungen hat die Antifa keine offizielle ideologische Linie.

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In Trumps erster Amtsperiode kam es schon am ersten Tag zu Auseinandersetzungen zwischen der sogenannten »Alt-Right«-Bewegung und der Antifa. Damals zirkulierten Videos im Netz, die zeigten, wie der Neonazi Richard Spencer [3]bei der Trump-Inauguration verprügelt wurde.

Im Februar 2017 wurde der rechte Redner Milo Yiannopoulos Berkeley von der Antifa an einem Auftritt gehindert. Ein halbes Jahr später kam es zu Auseinandersetzungen mit den Rechten bei der »Unite the Right«-Kundgebung, wo eine Gegendemonstrantin von einem rechtsradikalen Autofahrer totgefahren wurde. Es dauerte nicht lange, bis liberale Vordenker wie Peter Beinart die Frage zu stellen begannen, ob die Konfliktbereitschaft der Antifa strategisch klug durchdacht sei: »Wenn sie glauben, dass der Präsident der USA eine rassistische, faschistische Bewegung anführt, die die Grundrechte, wenn nicht gar das Leben schutzbedürftiger Minderheiten bedroht – wie weit sind sie dann bereit zu gehen, um sie zu stoppen?« fragte er 2017 in einem Artikel »Der Aufstieg der gewalttätigen Linken« in der Zeitschrift »Atlantic«.

Damals spekulierte Beinart, dass die Antifa-Aktivitäten die Gewalt möglicherweise eher anheizten und dass die Störung von Veranstaltungen der Rechten diesen einen Vorwand zum Gegenschlag lieferten. Bemerkenswerterweise waren solche Einwände dieses Jahr seltener zu hören – sei es wegen der Überforderung der Liberalen oder wegen ihrer wachsenden Skepsis gegenüber Donald Trump.

Die erste eindeutige Aktion der US-Antifa ereignete sich in Milwaukee, Wisconsin im Jahr 1934, als drei Antifaschisten die Rede von einem rechten Hitler-Anhänger mittels fauler Eier störten. Danach strömten 100 Antifaschisten in den Saal, das folgende Chaos wurde durch den Einsatz von Polizisten beendet. Die Antifa-Motivation ist bis heute ähnlich. Das Antifa-Mitglied Daniel Sieradski erzählte der Jewish Telegraph Agency im Jahr 2017: »Wenn uns Nazis Schimpfwörter ins Gesicht schreien, sollen wir dann einfach lächeln? Sie kommen in unsere Städte, schreien uns an, bedrohen uns und sagen, sie wollen uns umbringen. Sollen wir uns das gefallen lassen, weil auch Faschisten ein Recht auf freie Meinungsäußerung haben?«

Besonders groß ist das Potenzial für gewaltsame Zusammenstöße offenbar in Portland. Sicherlich wegen der ungewöhnlichen Geschichte der Stadt. Der Bundesstaat Oregon erklärte sich im Jahr 1859 als »sklavenfrei«, gleichzeitig verbot er jedoch die Ansiedlung von Afroamerikanern. Über die Jahre zogen deswegen viele rassistisch gesinnte Weiße dorthin. In den 1920er Jahren hatte Oregon mehr Mitglieder des Ku Klux Klan als jeder andere Bundesstaat. Als im Jahr 1988 der äthiopische Einwanderer Mulugeta Seraw mit einem Baseballschläger ermordet wurde, gründete sich die Antifa-Gruppe ARA (Anti-Racist Action) in Portland.

Im Juli 2019 griff Willem Van Spronsen, ein Antifa-Anhänger und Mitglied des Puget Sound John Brown Gun Clubs, eine Haftanstalt der US-Einwanderungs- und Zollbehörde ICE mit einem halbautomatischen Gewehr an. Er versuchte auch, einen 500-Gallonen-Propantank in Brand zu setzen, bevor er von der Polizei erschossen wurde. Vorher veröffentlichte Spronsen ein Manifest gegen die Haftpolitik der ICE.

Ein weiterer tödlicher Angriff in letzter Zeit, der einem Antifa-Anhänger zugeschrieben wurde, ereignete sich bei einer Demonstration im August 2020 in Portland. Damals erschoss Michael Reinoehl den rechtsradikalen Aaron Danielson, ein Mitglied der Gruppe Patriot Prayer. Auch Reinoehl wurde später von der Polizei getötet. Der Generalstaatsanwalt William Barr konstatierte eine neue Form von Urban-Guerilla-Kriegsführung.

Doch tatsächlich geht es längst nicht nur um offene Konfrontationen mit Rechtsradikalen. Die Antifa beteiligt sich maßgeblich an der Überwachung und Infiltrierung von rechten Gruppen. Dies wird immer wichtiger unter Trump, wo das FBI dies vernachlässigt. Bisher kannte man in den USA liberale Gruppierungen wie das Southern Law Poverty Center oder die Anti Defamation League, die Entwicklungen am rechten Rand überwachen. Nunmehr sind die Informationen der Antifa auch für diese alten Institutionen unerlässlich. Antifa-Sympathisanten betreiben überdies publizistische Organe wie »It’s going down.« Es gibt auch eine wichtige Website namens »Unicorn Riot«, die ähnlich wie Wikileaks Informationen von Antifa-Mitgliedern anonymisiert der Öffentlichkeit zugänglich macht.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194264.usa-trump-erklaert-antifa-zu-terror.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1100841.antifa-in-den-usa-die-antifa-kam-ins-oeffentliche-bewusstsein.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1039346.pruegel-fuer-us-nazifuehrer-wird-zum-internethit.html