Die Linken im Westen träumten von den Massen. Und dann kamen sie im Osten zusammen und sägten den Realsozialismus ab. Das war irgendwie die falsche Richtung, so hatten sich das die Westlinken nicht vorgestellt. »In der DDR ist die Freiheit dieser Tage zweifellos lebendiger als in der Bundesrepublik« hieß es nach dem Mauerfall im »Arbeiterkampf«[1], der Zeitung des Kommunistischen Bundes, auf Seite 1. Doch die BRD tat alles dafür »den Besuchern aus dem Osten zu beweisen, dass Freiheit bei uns Martktwirtschaft meint«.
Daran hatten die Westlinken noch nie geglaubt. Doch sie waren nie mehr als eine »Kleine radikale Minderheit«, wie ein Buch von Peggy Parnass[2] hieß. »Wir sind die Leute, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben«, lautete die Selbsteinschätzung, die es auch als Autoaufkleber gab, für die alten VW-Busse, Mercedesse, Käfer, R4 und Enten, mit denen viele Linken damals durch die Gegend fuhren. Darauf war eine Seyfried-Zeichnung zu sehen: ein Gelage von trinkenden und essenden Hippies an einem langen Tisch, die »Mampf«, »Schlabber«, »Schluck« und »Rülps« machten. Heute könnte man das auch anders deuten: Diese Geräusche waren die der kapitalistischen BRD, als sie sich die DDR einverleibte, vor der die SED immer gewarnt hatte.
Bis zum Zusammenbruch der DDR hatte den Begriff »Deutschland« kaum noch jemand ernst genommen. Deutschland, das schien nur eine vage Idee aus den Sonntagsreden der CDU-Politiker zu sein. Aber Ende 1989 war klar, dass nach der Berliner Mauer auch der dazugehörige Staat abgerissen werden würde. Da machten sich die Westlinken keine Illusionen. Diese »kleine radikale Minderheit« vereinte in sich eine eigentümliche Mischung aus Praktikern und Schriftgelehrten.
Wenn man die Gewerkschaften in den Betrieben der 80er Jahren näher betrachtet, wird man feststellen, dass viele Vertrauensleute und Betriebsräte aus linken Gruppen und Kleinparteien kamen. Und diese unterschieden sich hauptsächlich durch ihre Einschätzung der Sowjetunion. Sollte man die UdSSR »kritisch-solidarisch« begleiten, wie es die DKP von sich behauptete (ohne durch starke Kritik aufzufallen), oder war sie als »Sozialimperialismus« abzulehnen, wie es die Maoisten[3] forderten? Als Minderheit in der radikalen Minderheit kultivierten die Trotzkisten untereinander einen Spezialstreit: War das sowjetische System ein »Staatskapitalismus« oder ein »entarteter Arbeiterstaat«?
Die DDR spielte in all diesen Diskussionen keine Rolle. Denn sie hatte sich nach der Sowjetunion zu richten, basta. Die westdeutschen Linken begriffen den sogenannten Arbeiter- und Bauernstaat als »Ausland« , gerade weil er von den Konservativen zum besetzten Inland erklärt wurde, das man sich von den Russen wiederholen müsse. Der Plan hat dann ja auch funktioniert.
Ein Vorgeschmack dieser – zumindest moralisch – vernichtenden Niederlage war die Erfahrung der plötzlichen Wertlosigkeit der linken Emanzipationsmodelle nach dem Mauerfall. Denn die Linksradikalen aller Fraktionen hatten eine Wende nach links prophezeit, sollte die Bürokratie im Realsozialismus einmal gestürzt sein. Nichts davon geschah. Die Rechten waren die Gewinner und fingen an, im Inland Ausländer zu jagen.
Egal, ob man den Realsozialismus nun als »Sozialimperialismus« oder als »Staatskapitalismus« bezeichnen wollte, solche Analysen waren nach dem Mauerfall nutzlos geworden. Die westdeutsche Linke einigte sich gerade noch so auf eine gemeinsame Demonstration unter dem symbolischen Motto »Nie wieder Deutschland«. Und so demonstrierten 20 000 Menschen in Frankfurt am Main im Mai 1990 »gegen deutschen Nationalismus, gegen die Kolonialisierung Osteuropas und gegen die Annexion der DDR«. Das Spektrum reichte von der MLPD bis zur GAL, den Hamburger Grünen. Es war die letzte Manifestation[4] des westdeutschen Linksradikalismus, der sich danach verkrümelte. Danach gab es nur noch die Schriftgelehrten, die einander bekämpften: Bist du antideutsch oder für die soziale Frage?
Die Demo in Frankfurt endete auf dem Römer fast in einer Massenpanik, nachdem die Polizei in sie hinein geprügelt hatte. Und so stand Detlef zum Winkel, damals noch KB, auf einem kleinen Lastwagen, der als Podium diente, direkt unter dem Rathausbalkon, auf dem zwei Monate später die Fußballnationalmannschaft der BRD den WM-Titel feiern sollte, und rief den knüppelnden Polizisten zu: »Wir sind die Opposition in diesem Land, wir lassen uns nicht verbieten!«
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194439.westlinke-linke-in-der-brd-schlabber-und-schluck.html