Für rund 2500 Mitarbeiter*innen hat die Gewerkschaft Verdi beim landeseigenen Krankenhauskonzern Vivantes die Tarifverträge gekündigt. Das teilte Verdi bereits am Dienstag in einer Pressemitteilung mit. Vivantes bestätigte »nd« den Eingang einer entsprechenden Kündigung. Konkrete Forderungen seien damit bisher aber noch nicht verbunden gewesen.
Mit der Kündigung der seit 2022 laufenden Verträge zum Jahresende »steht Anfang 2026 die nächste große Tarifauseinandersetzung in den öffentlichen Krankenhäusern[1] an«, so Verdi. Es gehe um »faire Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen« für die Mitarbeiter*innen in Bereichen wie Service, Reinigung, Küche, Handwerk und Rehabilitation.
Bei Vivantes werden die genannten Arbeiten von Tochtergesellschaften übernommen. Während die Arbeitsbedingungen der Stammbeschäftigten, darunter der Großteil des Pflegepersonals, durch den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes des Bundes und der Kommunen (TVöD) geregelt werden, gelten für die Tochtergesellschaften separate, weniger gute Tarifverträge.
»Heute liegen die Lohnabstände zum TVöD[2] bei 91 bis 96 Prozent«, sagte Verdi-Verhandlungsführer Ben Brusniak. »Gibt es keinen verbesserten Abschluss, so wird sich dieser Abstand vergrößern.« Mit dem Jahreswechsel steigen die Gehälter der Beschäftigten bei Bund und Kommunen gemäß TVöD um 2,8 Prozent.
Es sei eine Frage der Gerechtigkeit, sagte Sporttherapeut Nicodem Tomkowiak. Im Vergleich zu den Kolleg*innen im TVöD würden den Beschäftigten bei den Tochtergesellschaften jeden Monat 300 bis 500 Euro fehlen. Magdalena Plachetka ist Reinigungskraft am Humboldt-Klinikum und wie ihr Kollege Tomkowiak Mitglied in der Tarifkommission von Verdi. »Wir müssen unsere Miete zahlen, unsere Familien versorgen – und viele von uns verdienen nur knapp über dem Mindestlohn«, sagte sie.
Die im kommenden Jahr anstehende Auseinandersetzung dürfte nicht einfach werden. In einer ähnlichen Konstellation haben die Servicebeschäftigten der Charité Facility Management GmbH (CFM), Tochter der kommunalen Universitätsklinik Charité, im Sommer eine schrittweise Angleichung ihres Tarifvertrags an den TVöD erreicht – nach 48 Streiktagen[3]. Die lange Auseinandersetzung zeichnete sich durch hohe Teilnahmezahlen bei den Streikdemonstrationen aus. In Kraft getreten ist ein neuer Tarifvertrag für die CFM aber auch heute noch nicht. Gewerkschaft und Klinik streiten noch immer um Formulierungen.
»Da die Politik sich weigert, die Zwei-Klassen-Gesellschaft bei Vivantes zu beenden, bleibt den Beschäftigten nichts anderes übrig, als für die Angleichung an den TVöD per Tarifvertrag zu kämpfen.«
Jana Seppelt Verdi
Schwierig dürfte darüber hinaus die Finanzierung eines neuen Abschlusses werden. Vivantes-Geschäftsführer Johannes Danckert sagte im Podcast von »Klinik Management aktuell«, Tarifverträge, die höhere Gehälter für die Beschäftigten garantieren würden, passten nicht mehr zu den gleichzeitig wachsenden Defiziten der Krankenhäuser. Er hoffe, dass sich die Situation mit der Krankenhausreform verbessere. Bis heute sei die Entwicklung aber so, dass es »weniger Erlöszuwächse als Kostenzuwächse im Personalbereich« gebe.
Danckert sagte weiter, er beobachte eine andere Art der Auseinandersetzung in Tarifkonflikten – und zwar mit Blick auf den Umgang mit den Gewerkschaften, aber auch mit Blick auf die Einmischung der Politik. Offenbar sei dort die »Tarifautonomie weniger präsent als vor wenigen Jahren«. Der Vivantes-Chef bemängelte, dass sich manche Politiker*in »zum Verteidiger einer vulnerablen Branche« mache. Man müsse aber »die Risiken sehen, die ein politisch motivierter Tarifabschluss oder unterstützter Tarifabschluss haben kann«. Danckert verwies darauf, dass ein Tarif nur so viel besser sein könne, wie er auch durch entsprechende Einnahmen refinanzierbar sei.
Eigentlich hat die schwarz-rote Regierungskoalition in Berlin beschlossen, die Tochtergesellschaften von Charité und Vivantes wieder in die Stammunternehmen zurückzuführen. Allerdings hatte eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitgliedern der Senatsverwaltungen für Finanzen und Gesundheit, im April davon abgeraten: »Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Haushaltslage erscheint eine Integration der Tochtergesellschaften der Arbeitsgruppe derzeit nicht als gangbarer Weg«, hieß es im Bericht der Arbeitsgruppe. Allein durch die Anwendung des TVöD auf die wiedereingegliederten Beschäftigten würden Vivantes jährliche Mehrkosten von mindestens 50 Millionen Euro entstehen. Für die Charité würden so jährlich 42,1 Millionen Euro mehr anfallen. Künftige Verbesserungen des TVöD waren nicht eingerechnet.
Das Land Berlin finanziert die landeseigenen Krankenhäuser bereits jetzt in einem rechtlich umstrittenen Rahmen. 29 private Kliniken hatten 2023 eine Klage eingereicht[4], wegen »millionenschwerer finanzieller Sonderzahlungen an den landeseigenen Klinikkonzern Vivantes«. Eine Verhandlung über die Klage steht noch immer aus. Die Arbeitsgruppe des Senats sieht ebenfalls das Risiko, dass eine Reintegration nicht mit dem EU-Beihilferecht vereinbar sein könnte. Möglicherweise müssten die Leistungen, die die Tochtergesellschaften erbringen, dann neu ausgeschrieben werden, damit es nicht »zu einer unzulässigen Begünstigung von Vivantes und Charité« kommt.
Die Gewerkschaft Verdi hat nichtsdestotrotz angekündigt, den von ihr diagnostizierten Bruch des Koalitionsversprechens von Schwarz-Rot zum Thema in der anstehenden Tarifrunde zu machen. »Die Rückführung wurde versprochen. Da die Politik sich weigert, die Zwei-Klassen-Gesellschaft bei Vivantes zu beenden, bleibt den Beschäftigten nichts anderes übrig, als für die Angleichung an den TVöD per Tarifvertrag zu kämpfen«, sagte Verdi-Fachbereichsleiterin Jana Seppelt.
Die Gewerkschaft bereitet derzeit die konkreten Forderungen vor. »Dabei werden wir die Beschäftigten wieder mit einbeziehen: Mit einem Forderungsratschlag werden wir die Interessen der Kolleginnen und Kollegen ermitteln; auf dessen Grundlage entscheidet die Verdi-Tarifkommission über die Forderungen«, sagte Verhandlungsführer Ben Brusniak dem »nd«. Die Gewerkschaft hat zudem online einen Gehaltsrechner eingerichtet. Damit könnten die Beschäftigten selbst schauen, welche Summen an ihnen vorbeigegangen sind, erläutert Brusniak. »Können sie sich vom benötigten neuen Auto heute vielleicht nur den Scheibenwischer leisten, ist es je nach Lohnabstand und Beschäftigungszeitraum die Autotür oder ein ganzer Neuwagen, der ihnen in den letzten Jahren entgangen ist.«