nd-aktuell.de / 03.10.2025 / Politik

Gaza-Flottille: »Ziel war immer, die Blockade zu durchbrechen«

Crew-Mitglied Judith Scheytt über Ziele der Hilfsflotilla nach Gaza und die Gefahren für die Beteiligten

Interview: Julian Daum
Die Menschenrechtsaktivistin und Medienkritikerin Judith Scheytt bei einem Protest
Die Menschenrechtsaktivistin und Medienkritikerin Judith Scheytt bei einem Protest

Die »Global Sumud Flottille« ist in internationalen Gewässern bereits zweimal angegriffen worden, woraufhin Sie vor einigen Tagen in griechische Hoheitsgewässer eingefahren sind. Gab es an diesem Punkt Zweifel weiterzumachen?

Für gewöhnlich bleiben Flottillen nach Gaza in internationalen Gewässern. Wir sind in griechische Gewässer gegangen, weil die Einschätzung war, dass das für uns sicherer sein könnte. Dann haben wir geankert, bis wir die Risiken geprüft hatten, und sind dann wieder losgefahren.

Wie genau lief diese Prüfung ab?

Wir haben die Risiken grundsätzlich neu beurteilt. Nachdem wir so früh angegriffen wurden, haben wir überlegt: Wie verhalten wir uns bei weiteren Drohnenattacken? Wie verhalten wir uns, wenn jemand verletzt wird? Praktisch eine Neueinschätzung der Situation, insbesondere, weil wir abwarten mussten, wie die Reaktionen unserer eigenen Regierungen sind, und wir erst mal verstehen mussten, was zum Beispiel die Militärschiffe aus Italien und Spanien bedeuten, die uns dann begleitet haben.

Was bedeuteten sie denn?

Wir waren skeptisch. Die italienische Regierung ist stark rechts und ein enger Partner Israels. Wir wissen, dass die italienische Regierung nicht unser Bündnispartner ist. Aber die Tatsache, dass sie sich durch den Generalstreik im Zugzwang gesehen hat, sagt natürlich schon was aus. Sie sagten den italienischen Staatsbürger*innen in der Flotilla, sie sollten die Aktion doch bitte abbrechen und mit ihnen auf dem Militärschiff wieder zurückkehren. Das haben sie abgelehnt. Trotz allem: Allein die Reaktion bedeutete schon einen gewissen Schutz für uns. Das ist neu, dass erstmals Regierungen so eingreifen und Militärschiffe schicken. Ein Präzedenzfall, auch wenn das Ganze vor allem im Fall der italienischen Regierung eher symbolisch war.

Die Militärschiffe sind inzwischen schon abgedreht?

Ja, sie sind circa 150 Seemeilen vor Gaza abgedreht. Wir wissen nicht genau, was die Militärboote bezwecken sollten.

Wurde Ihnen als deutsche Staatsbürgerin von der eigenen Regierung zum Beispiel konsularische Hilfe angeboten?

Ich wurde angerufen, dass man mir eine Mail geschickt hat: Darin sagt das Auswärtige Amt, dass es vor Reisen nach Gaza warnt und dass sie in meinem Fall leider keine konsularische Hilfe leisten könnten. Sie hätten Israel über deutsche Staatsbürger informiert, und Israel habe angekündigt, uns aufzuhalten – wahrscheinlich mit Gewalt.

Keine persönliche Ansprache?

Nein.

Israelische Medien und die Regierung bezeichnen Sie als »Hamas-Flottille«. Das ist eine andere Kommunikationsstrategie als noch beim Segelschiff »Madleen«, das vor einigen Monaten von den Israelis abgefangen wurde.

Als Israel uns offiziell als »Hamas-Flotte« bezeichnete, waren wir schon in Alarmbereitschaft, weil sich daraus einiges ableiten lässt. Die »Madleen« im Mai war ja noch das »Selfie-Boot«, das so benannt wurde, um ihr Vorhaben ins Lächerliche zu ziehen. Von daher waren die Drohnenattacken nicht überraschend für uns, 48 Stunden davor wurde diese Kampagne gegen uns hochgefahren. Wir können aus dieser Propaganda ableiten, dass Israel versucht, einen Konsens für einen Angriff gegen uns zu schaffen. Gleichzeitig gibt es große Solidarität und Mobilisierung auf den Straßen für uns, was Schutz bedeutet. Zum Beispiel haben Organisationen in Italien bereits Streiks und Demonstrationen angekündigt, wenn wir abgefangen werden.

Stimmt es, dass einige Teilnehmer*innen aufgrund der Gefahrenlage die Boote verlassen haben?

Auf Kreta sind einige von ihnen an Land gegangen, auch weil sie medizinisch versorgt werden mussten. Es gab einen Personenaustausch.

Zuletzt haben einige Medien von Streit auf der Flottille berichtet. Greta Thunberg sei aus dem Führungsgremium ausgestiegen, weil zu viel über Strategie und interne Struktur und nicht über die eigentliche Sache – die Menschen in Gaza – gesprochen worden sei. Was ist da dran?

Bei so einer großen, schnell zusammengestellten Organisation gibt es natürlich Diskussionen und Streitfragen unter den Teilnehmern. Mediale Öffentlichkeit ist unsere Lebensversicherung. Es geht uns aber nicht um Selbstdarstellung. Wir segeln hier nicht, weil wir segeln gehen wollten. Man muss sich also fragen: Was ist politische Strategie, bis zu welchem Grad müssen wir unsere eigenen Geschichten erzählen, um unsere Forderungen klarzumachen und die Aufmerksamkeit auf Gaza zu lenken?

Die Selbstdarstellung, die Ihnen vorgeworfen wird, ist also strategisch?

Es ist eine grundsätzliche Diskussion in allen Bewegungen: Welcher Grad an Selbstdarstellung dient der politischen Strategie? Es gibt vulnerable Menschen hier. Für mich ist es leichter, über Gaza zu sprechen, weil ich einen westlichen Pass habe, weiß bin und Online-Reichweite habe. Für vulnerablere Personen braucht es mehr Mobilisierung, um ihren Schutz zu erhöhen. Das kann nicht für die ganze Organisation pauschal gesagt werden.

Gerade um diese vulnerableren Menschen – queere Aktivist*innen auf der Flottille – soll es ja gegangen sein: Andere Teilnehmende hätten sich über ihre Anwesenheit an Bord eines Schiffes beschwert, hieß es. Wie passt das zum Schutz vulnerabler Gruppen?

Ich habe davon aus der rechten Presse erfahren. Es kann sein, dass so etwas passiert ist, weil Queerfeindlichkeit in der Breite der Gesellschaft und damit auch in Organisationen wie unserer existiert, ganz ohne Zweifel. Und wir versuchen, dann zu gucken, wie können wir wen unterstützen. Aber inwiefern das unsere Aktion insgesamt delegitimieren soll, die Hilfsgüter liefern und einen humanitären Korridor öffnen möchte, verstehe ich nicht. Eine humanitäre Mission muss Awareness-Räume haben, um gesellschaftliche Missverhältnisse und Diskriminierungen aufzufangen. Ich glaube aber nicht, dass die Legitimität unserer Aktion und ihr Ziel etwas damit zu tun haben. Und es bedeutet nicht, dass wir Solidarität, Reflexion und Antidiskriminierung hinten anstellen. Wir haben viele queere Aktivist*innen an Bord, für die queere Befreiung mit einem freien Palästina zusammenhängt.

Die »Madleen«-Mission bestand aus einem Boot mit wenigen Tonnen Hilfsgütern. Ihr Hauptziel war es, die Öffentlichkeit auf den Hunger der Menschen in Gaza hinzuweisen. Nun transportierten Sie mit etwa 50 Booten weitaus mehr. Wie würden Sie das Hauptziel dieses Mal beschreiben?

Das Ziel war schon immer, die Blockade zu durchbrechen. Wenn Israel sich entscheidet, uns gewaltsam aufzuhalten, dann können wir dem wenig entgegenhalten, weil unsere Regierungen Israels Komplizen sind. Für ein einziges Boot war das natürlich noch schwieriger. Unser Ziel heute ist nicht nur humanitäre Hilfe zu leisten, sondern wir wollen einen humanitären Korridor öffnen. Dort, wo wir abgefahren sind, in Sizilien, in Genua, stehen weitere Schiffe mit humanitärer Hilfe bereit, die sofort losfahren könnten, wenn der Korridor nach Gaza geöffnet wird.

Einmal da, bliebe der Korridor also dauerhaft?

Unser Ziel ist es, politischen Druck aufzubauen, vor allem auf unsere Regierungen, damit wir durchgelassen werden und humanitäre Hilfe abrufen können, die dann sofort losgeschickt wird. Wir stehen einem mächtigen Staat gegenüber. Wenn Israel internationales Recht bricht, haben wir im Moment nicht viel mehr als unsere Körper und Boote, um dagegenzuhalten.