nd-aktuell.de / 03.10.2025 / Politik

Mitglieder der Solidaritäts-Flottille in Negev-Wüste gebracht

Nach dem Aufbringen der 50 Boote sind alle Teilnehmenden der Aktion inhaftiert. Minister Ben-Gvir droht ihnen indirekt Folter an

Julian Daum
Bild aus einem von der Global Sumud Flotilla veröffentlichten Video mit israelischen Marinesoldaten an Bord eines der Boote
Bild aus einem von der Global Sumud Flotilla veröffentlichten Video mit israelischen Marinesoldaten an Bord eines der Boote

Sämtliche Teilnehmer*innen der »Global Sumud Flottilla[1]« (GSF) befinden sich im Ketziot-Gefängnis in Israel. Dorthin wurden sie gebracht, nachdem die israelische Armee in der Nacht zum Donnerstag sämtliche Boote der Hilfsflotte in internationalen Gewässern vor dem Gazastreifen unter Waffengewalt abgefangen, betreten und die Crewmitglieder gefangen genommen hatte.

Die Londoner Nachrichten-Website »Middle East Eye«, die eine Journalistin an Bord eines der Schiffe hatte, übertrug Livebilder von den etwa 50 Booten, als sich Soldaten Zutritt verschafft hatten. In einigen Aufnahmen waren Uniformierte mit Gewehren zu sehen, die auf Crewmitglieder mit erhobenen Händen gerichtet wurden. Danach brachen die Livestreams ab.

Zuvor hatte die GSF kurz nach Sonnenuntergang noch auf Social Media berichtet, dass etwa 20 Schiffe auf dem Radar ausgemacht worden waren, die sich schnell auf die eigene Position zubewegten. Ein Video soll einen Funkaustausch zwischen der GSF und dem Militär an der Funkstation des Schiffs »Alma« zeigen: Darin ist zunächst eine weibliche Stimme zu hören, die die Flottille auffordert, ihren Kurs zu wechseln. »Beim Versuch, die Seeblockade zu durchbrechen, werden wir die Schiffe stoppen und konfiszieren«, kündigte die Person an.

Thiago Ávila, Crewmitglied der »Alma«, antwortete: »Der Internationale Gerichtshof hat in seiner vorläufigen Entscheidung festgestellt, dass jeder Versuch, humanitäre Missionen nach Gaza zu behindern, gegen internationales Recht verstößt.« Daher sei es ihre moralische Pflicht weiterzusegeln. Die GSF erkenne die Besatzungsmacht nicht als legitimen Akteur an. Israel habe nicht das Recht zu entscheiden, was mit den Hilfslieferungen geschieht. Er weise daher die israelischen Streitkräfte an, nicht weiter gegen sie vorzugehen, so Ávila.

Die Legitimation, der israelischen Armee Anweisungen zu erteilen, ziehen er und die GSF aus dem internationalen und dem Seerecht – unabhängig davon, ob man Israels Seeblockade des Gazastreifens für rechtmäßig hält oder nicht. Denn die Boote der GSF wurden allesamt in internationalen Gewässern gestellt, also außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone vor der Küste. Und dort unterliegen Schiffe ausschließlich dem Recht ihres Flaggenstaates. Die »Alma« zum Beispiel fuhr unter britischer Flagge.

Ausnahmen gelten etwa für Piraterie oder Menschenhandel, was auf die GSF nicht zutrifft. Doch auch die Seeblockade Israels, mit der die palästinensischen Hoheitsgewässer kontrolliert werden, gilt vielen als illegal. Eine UN-Untersuchung kam zwar 2011 zu dem Schluss, dass die Blockade grundsätzlich mit dem Völkerrecht vereinbar sein kann. Dies gilt jedoch nur, falls die Regeln des San-Remo-Handbuchs des Internationalen Instituts für humanitäres Recht eingehalten werden.

Danach darf eine Blockade nicht darauf abzielen, die Zivilbevölkerung auszuhungern oder lebensnotwendige Güter zu verweigern. Hilfslieferungen für Zivilist*innen müssen zugelassen werden, wenn sie kontrolliert werden können und sichergestellt ist, dass sie nicht militärisch missbraucht werden können. Und: Nur militärische Güter dürfen beschlagnahmt werden. Zivile Güter (Lebensmittel, Medikamente etc.) sind grundsätzlich zuzulassen. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, darunter etwa das Internationale Rote Kreuz, Amnesty International und viele UN-Expert*innen sagen, dass diese Vorgaben von Israels Miltär verletzt werden.

Dieser Screenshot aus einem von der Global Sumud Flotilla veröffentlichten Video zeigt israelische Marinesoldaten an Bord eines der Schiffe.
Dieser Screenshot aus einem von der Global Sumud Flotilla veröffentlichten Video zeigt israelische Marinesoldaten an Bord eines der Schiffe.

Die spanischen und italienischen Kriegsschiffe[2], die zuvor offiziell zum Schutz und als Hilfestellung für die GSF in die Region entsandt worden waren, drehten vor Gaza ab. Daraufhin wurden die Schiffe der Flottille vom israelischen Militär aufgebracht. Unter den Besatzungsmitgliedern befanden sich auch deutsche Staatsbürger*innen, unter ihnen die Medienkritikerin Judith Scheytt an Bord der »Paola 1«, mit der »nd« zuvor noch hatte sprechen können[3].

Scheytts Notfallteam, das seither ihren Instagram-Account betreut, gibt an, den Kontakt zu ihr am Mittwoch gegen 21 Uhr verloren zu haben. Die Übernahme der Boote durch das Militär dauerte bis in die Morgenstunden an und brachte es wohl an seine Kapazitätsgrenzen: Ein Boot der GSF, die »Mikeno«, schaffte es eigenen Angaben zufolge unter Kapitän Muhammed Huzeyfe Küçükaytekin aus Sarajevo bis in palästinensische Hoheitsgewässer. Erst rund zehn Kilometer vor der Küste wurde es dann doch aufgebracht. Das letzte Boot, die »Marinette«, segelte noch am Freitag Morgen in Richtung Gaza, bevor israelische Soldaten sie enterten, wie der Livestream des Boots zeigte.

Sämtliche Teilnehmer*innen der GSF sollen in das berüchtigte Ketziot-Gefängnis in der Negev-Wüste gebracht worden sein. Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem berichtete in ihrer Dokumentation »Willkommen in der Hölle – Das israelische Gefängnissystem als Netzwerk von Foltercamps« vor einigen Monaten von systematischer Folter und Misshandlungen von Palästinenser*innen dort seit dem 7. Oktober 2023.

Welcher Gefahr die Crews der GSF ausgesetzt sind, ist nicht abzuschätzen. Anlass zur Sorge geben jedoch Aussagen des Ministers für Innere Sicherheit, Itamar Ben Gvir: In einem Video spricht er vor einigen Dutzend auf dem Boden fixierten Flottillenteilnehmer*innen und bezeichnet sie immer wieder als Terroristen und sogar als Mörder. In einem weiteren Video läuft er an Gefängniszellen vorbei und sagt: »Diejenigen, die an der Flotte teilgenommen haben und Terror unterstützen, werden dieselbe Behandlung erhalten wie die Saboteure in Negev.« Gemeint sind die palästinensischen Häftlinge. Der Rechtsextremist Ben Gvir war 2007 selbst von einem israelischen Gericht wegen rassistischer Aufhetzung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden.

Auf den Social-Media-Profilen einiger Flotilla-Aktivist*innen werden regelmäßig Updates von ihren jeweiligen Notfallteams gepostet. So seien alle bisher unversehrt und hätten während der Verhöre auch Kontakt zu Anwälte*innen gehabt. Direkten Kontakt zu Familie und Freund*innen gebe es bisher aber in keinem Fall.

Die Crew der »Madleen«, die im Mai versucht hatte, einen humanitären Korridor zu öffnen, wurde ebenfalls inhaftiert, bevor die Aktivist*innen Israel wieder verlassen durften. Damals machten sich israelische Politiker und internationale Medien noch über die Besatzung der sogenannten Selfie-Yacht lustig. Nun aber wirft Israel der GSF ohne stichhaltige Belege vor, mit der Hamas verbunden zu sein. Was also mit den etwa 500 Teilnehmer*innen geschehen wird, dürfte auch stark von den Reaktionen und dem diplomatischen Druck der jeweiligen Heimatstaaten abhängen, die wiederum selbst öffentlichem Druck ausgesetzt sind.

Fest steht aber auch, dass Ben-Gvir viel Macht hat, seinen Willen durchzusetzen. Diplomatische Weitsicht liegt ihm fern. So hatte er wegen eines Waffenstillstands mit der Hamas mit einem temporären Rücktritt schon einmal die Regierung fast platzen lassen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193886.naher-osten-hilfsflotte-nimmt-kurs-auf-gaza.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194316.humanitaere-hilfe-fuer-gaza-psychologische-kriegsfuehrung-sumud-flotilla-erneut-attackiert.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194470.krieg-in-nahost-gaza-flottille-ziel-war-immer-die-blockade-zu-durchbrechen.html