nd-aktuell.de / 03.10.2025 / Politik

Italien steht auf für die Menschen in Gaza

Generalstreik legt das Land lahm. Gewerkschaften kündigen weitere Aktionen gegen Waffenlieferungen an Israel an

Anna Maldini, Rom
Wie hier in Mailand gingen in ganz Italien Tausende für ein Ende des Leids der Menschen in Gaza auf die Straße. Sie protestierten zugleich gegen die Festsetzung der Gaza-Solidaritätsflottille durch Israels Armee.
Wie hier in Mailand gingen in ganz Italien Tausende für ein Ende des Leids der Menschen in Gaza auf die Straße. Sie protestierten zugleich gegen die Festsetzung der Gaza-Solidaritätsflottille durch Israels Armee.

Am Freitag standen alle italienischen Häfen still[1]. Und nicht nur die Häfen, sondern auch die Züge. Die Schulen, Fabriken, Büros machten nicht auf, selbst das öffentlich-rechtliche Fernsehen musste seine Programme ändern, da auch Journalisten die Arbeit niederlegten. Hunderttausende gingen in vielen Städten auf die Straße und das alles in Erwartung der großen nationalen Demo in Rom, die an diesem Samstag stattfinden soll.

Das alles geschah im Rahmen eines Generalstreiks, den Gewerkschaften (darunter die CGIL[2], aber auch viele kleine Basisorganisationen) gegen den Völkermord in Gaza[3] ausgerufen hatten. Durch den Angriff auf die Global Sumud Flotilla in internationalen Gewässern hat er noch an Bedeutung gewonnen. In Bologna streikten sogar die Insassen des örtlichen Gefängnisses: »Für uns bedeutet die Arbeit ein Stück Freiheit, aber in dieser Situation haben wir beschlossen, auf ein Stück Freiheit und unseren Lohn zu verzichten«, erklärten sie.

Zum Thema: »Ziel war immer, die Blockade zu durchbrechen«[4] – Crew-Mitglied Judith Scheytt über Ziele der Hilfsflotilla nach Gaza und die Gefahren für die Beteiligten

Arbeiter blockierten in den Häfen von Genua, Ravenna, Livorno, La Spezia und anderen Städten die Beladung und Entladung aller Schiffe. Das ist der bisherige Höhepunkt einer Aktion der Hafenarbeiter, die schon vor Monaten begann und in Italien »Tradition« hat: Keine Waffen, keine Munition und keine Kriegsgüter in Krisengebiete oder an Staaten, die die Menschenrechte missachten!

Die Arbeiter der verschiedenen Häfen haben sich im CALP (autonomes Kollektiv der Hafenarbeiter) zusammengeschlossen, um gemeinsame Aktionen zu planen und durchzuführen, um Informationen über mögliche gefährliche Ladungen auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen.

Ihr erstes Problem ist, diese Ladungen auszumachen. »Auf den Containern oder Lastwagen steht nicht drauf, was drin ist«, sagt Leo, einer der führenden Mitglieder des CALP aus La Spezia gegenüber »nd«. »Aber wir haben mit den Jahren gelernt, die Frachtbriefe und alle Dokumente zu lesen. Außerdem haben wir viele nationale und auch internationale Kontakte in der ganzen Welt.« Dazu gehören die Organisation Weapon Watch oder das französische investigative Journalistenteam Disclose, die mitteilen, wenn eine gefährliche Ladung von irgendwo in Europa an einem italienischen Hafen losgeschickt wird.

»Es wird immer dringender, klare Positionen zu beziehen. Wir dürfen uns nicht dumm stellen: Es ist unmenschlich, in irgendeiner Form zum Massaker in Gaza beizutragen!«

Alessandro Barattoni Bürgermeister von Ravenna

Auch an den Grenzen gibt es Menschen, die »suspekte« Container melden. Dann treten die Hafenarbeiter in Aktion, blockieren dieses Material, weigern sich, es aus- oder umzuladen, sodass die Schiffe, die es aufnehmen wollten, unverrichteter Dinge wieder auslaufen müssen. Riccardo Rudino, ebenfalls vom CALP: »Wir sind gegen den Waffenhandel insgesamt auch aus den Vereinigten Staaten, Nordeuropa oder auch aus Italien nach Israel, in die Türkei oder die Vereinigten Emirate. Die Unternehmen, die dahinter stecken, haben genügend Geld, Einfluss und Macht, um den Waffenhandel fortzusetzen. Aber in Genua kommen sie nicht weiter!«

Auch im Hafen von Ravenna an der Adria wurden vor einigen Tagen zwei Lastwagen blockiert, die Sprengstoff an Bord hatten. Sie kamen aus Tschechien, und die Container hätten auf ein israelisches Schiff in Richtung Haifa umgeladen werden sollen. In diesem Fall wurde die Blockade von Institutionen der Stadt- und der Regionalverwaltung angeordnet. Denn sie besitzen Aktienanteile an der Hafengesellschaft.

Wenige Tage zuvor waren Tausende Menschen in Ravenna auf die Straße gegangen und hatten genau das gefordert. Bürgermeister Alessandro Barattoni sagte dazu: »Es wird immer dringender, klare Positionen zu beziehen. Wir dürfen uns nicht dumm stellen: Es ist unmenschlich, in irgendeiner Form zum Massaker in Gaza beizutragen!« So haben die Institutionen auch den Vorschlag gemacht, den ethischen Kodex der Hafengesellschaft dahingehend zu verändern, dass auch der Respekt der Menschenrechte und das Engagement für den Frieden zu einem bindenden Prinzip werden.

Während einige Lokalverantwortliche dazu beitragen, die Ladungen zu stoppen, verhält sich die Zentralregierung in Rom ganz anders. So erklärte Außenminister Antonio Tajani kürzlich im Parlament: »Was aus den Häfen ausläuft, erfordert keine Genehmigung, also habe ich auch keine Ahnung, was dort passiert ist, da es keine italienischen Waffen oder Munition sind.« Der Minister hat dabei allerdings »vergessen« zu erwähnen, dass dies nur für Lieferungen innerhalb der EU gilt. Als er darauf angesprochen wurde, fügte er hinzu, dass Israel zwar nicht in Europa liegt, aber ein »stabiler Freund« der Nato sei. Ebenso »vergaß« Tajani das Gesetz von 1990, das nicht nur den Export sondern auch den Transit von Rüstungsgütern in Länder verbietet, die sich im Krieg befinden oder denen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.

Das italienische statistische Institut ISTAT hat bescheinigt, dass im vergangenen Jahr »Waffen, Munition oder Teile davon« im Wert von fast sechs Millionen Euro aus Italien ausgeführt wurden und dass dieser Export auch in diesem Jahr stattgefunden hat und weiter stattfindet. Außerdem wird anderes Material ausgeführt, das auch für die Herstellung von Waffen genutzt werden kann. Wenn die Schiffe Kanonen, Panzer oder Hubschrauber transportieren, sei die Sache einfach, sagen die Vertreter des CALP. »Aber inzwischen haben wir auch gelernt, den Inhalt der Container anhand der Abkürzungen auf den Frachtdokumenten, der Versicherungspolicen oder der Ladevorschriften zu identifizieren.«

Für die Hafenarbeiter ist es gleichwohl nicht ganz einfach, die Ladung von bestimmten Waren zu verweigern und sich dabei nicht strafbar zu machen. Was sie machen, bezeichnen sie als »zivilen Ungehorsam«. Hinzu kommt natürlich auch ein Sicherheitsproblem. »Wer einen Container bewegt, hat theoretisch keine Ahnung, was darin ist«, heißt es in einem Gewerkschaftsdokument aus Livorno. »Normalerweise ist das Risiko gering, aber es ist schon ein Unterschied, ob man mit einer Waschmaschine oder mit Sprengstoff hantiert. Wir können nicht akzeptieren, dass die Bürger und die Hafenarbeiter solchen Gefahren ausgesetzt werden.«

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194476.gaza-flottille-italien-steht-auf-fuer-die-menschen-in-gaza.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194477.generalstreik-in-italien-grossdemos-in-italien-ploetzlich-aufgewacht.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194103.gaza-stadt-genozid-live-in-gaza.html?sstr=gaza
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194470.krieg-in-nahost-gaza-flottille-ziel-war-immer-die-blockade-zu-durchbrechen.html