nd-aktuell.de / 05.10.2025 / Politik

Mit Drohnen gegen Drohnen kämpfen

Für die EU hat der Aufbau eines vielschichtigen Systems zur Drohnenabwehr an der Nato-Ostflanke »unmittelbare Priorität«

Jörg Kronauer
Bei einer Vorführung bringt eine Abwehrdrohne eine Angriffsdrohne durch Beschuss mit einem Netz zum Absturz. Zu einem Drohnenwall gehören aber noch weitere Verteidigungssysteme.
Bei einer Vorführung bringt eine Abwehrdrohne eine Angriffsdrohne durch Beschuss mit einem Netz zum Absturz. Zu einem Drohnenwall gehören aber noch weitere Verteidigungssysteme.

Ist das Rätsel um die mysteriösen Drohnen[1] gelöst, die in der vergangenen Woche mehrfach über Flughäfen und Militärbasen in Dänemark und in Norwegen kreisten und damit dort den Betrieb lahmlegten[2]? Endlich gebe es einen konkreten Verdacht, hieß es am Mittwoch in ersten Medienberichten. Die französischen Behörden hätten einen Erdöltanker der russischen »Schattenflotte« festgesetzt, der in der fraglichen Zeit auf dem Weg aus Primorsk nach Indien aus der Ostsee an Dänemark vorbei in die Nordsee gefahren sei. Nun seien auch noch der Kapitän des Schiffs und sein Stellvertreter auf Antrag der Staatsanwaltschaft in Brest in Gewahrsam genommen worden.

Hatte man also endlich den Schuldigen gefunden? Er rate doch eher zu »Vorsicht« bei solchen Behauptungen, warnte am Mittwoch am Rande des informellen EU-Gipfels in Kopenhagen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. In der Tat gibt es Ungereimtheiten: Der Tageszeitung »Le Monde« zufolge soll der Tanker am 27. September nach einer längeren Beschattung von französischen Soldaten geentert, durchsucht und anschließend festgesetzt worden sein – wie passt das dazu, dass noch am 28. September mysteriöse Drohnen über norwegischen Flugplätzen kreisten? Mittlerweile konnte der Tanker seine Fahrt inklusive Kapitän und Erstem Offizier wieder aufnehmen.

Nato und EU wollen Ostflanke stärken

Wer auch immer für die zahlreichen ominösen Drohnenflüge in Dänemark und in Norwegen verantwortlich ist; was auch immer hinter dem Eindringen von rund zwei Dutzend russischen Drohnen am 9. September in Polen[3] steckt; wie auch immer der Flug russischer Militärjets durch den Luftraum Estlands am 19. September zu beurteilen ist: Nato und EU haben dies alles zum Anlass genommen, um ihre militärischen Positionen in der Ostsee sowie an der Nato-Ostflanke weiter zu stärken. Den Anfang machte die Nato, als sie am 12. September die Operation Eastern Sentry (Östliche Wache) ausrief – einen umfassenden, integrierten Einsatz zur Kontrolle des Luftraums über ihrer gesamten Ostflanke, der die Verstärkung ihrer Aufklärungsflüge sowie allerlei weitere Maßnahmen etwa zur Drohnenabwehr umfasst. Es folgte am 27. September die Ankündigung, die schon im Januar eingeleitete Operation Baltic Sentry (Ostsee-Wache) auszuweiten. Diente Baltic Sentry bislang vor allem dem Bemühen, kritische Infrastruktur auf dem Meeresboden – Pipelines, Kabel – zu schützen, so werden die Überwachungsaktivitäten jetzt ausgeweitet. Zudem wird eine auf Flugabwehr spezialisierte Fregatte in die Ostsee entsandt.

Die EU wiederum nimmt sich neue Maßnahmen zur Drohnenabwehr an ihren östlichen Außengrenzen vor. Am 10. September – nur wenige Stunden, nachdem russische Drohnen nach Polen eingedrungen waren – kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer diesjährigen State-of-the-Union-Rede an, den Aufbau eines »Drohnenwalls« im Osten zu unterstützen. Dies solle, äußerte von der Leyen, in enger Zusammenarbeit mit der Ukraine geschehen; für eine »Drohnen-Allianz« mit Kiew werde Brüssel bis zu sechs Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Die Debatte gewann schnell an Schwung; bereits am 26. September kündigte EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius an, die Errichtung des Drohnenwalls habe für die EU »unmittelbare Priorität«. Kubilius bekräftigte dies im Anschluss an ein Treffen mit den Verteidigungsministern der Staaten an der Nato- beziehungsweise EU-Ostflanke, die von Norwegen und Finnland über die baltischen Staaten, Polen, die Slowakei und Ungarn bis nach Rumänien und Bulgarien reicht. Für das Vorhaben werde die EU die erforderliche Unterstützung leisten, von finanziellen Hilfen bis zur Förderung des Aufbaus der notwendigen industriellen Kapazitäten.

Baltische Pläne zur Drohnenabwehr

Die EU hat die Pläne zum Aufbau eines Drohnenwalls nicht aus dem Boden gestampft. Im Baltikum wurden sie bereits im Frühjahr vergangenen Jahres diskutiert. Im Mai 2024 gab die Innenministerin Litauens, Agnė Bilotaitė, bekannt, die baltischen Staaten hätten sich mit Polen, Finnland und Norwegen zusammengetan, um einen Drohnenwall an ihren Ostgrenzen zu installieren. Mit dem Einsatz von Drohnen im Verbund mit fest installierten Anlagen habe man vor, jegliche »Provokation seitens unfreundlicher Länder« zu unterbinden – ob es sich dabei um russische Drohnen handle, um Schmuggel oder auch um Versuche von Flüchtlingen, aus Russland oder Belarus in die EU einzureisen. High-Tech-Firmen aus den baltischen Staaten, insbesondere aus Estland, begannen rasch, sich an die Entwicklung erster Elemente für den Drohnenwall zu machen. Schon recht bald wurde ein erster Antrag auf finanzielle Förderung in Brüssel eingereicht, wenn auch nur mit einem Finanzvolumen von zwölf Millionen Euro. Die EU lehnte die Förderung des von seinem Umfang her noch relativ begrenzten Vorhabens im März dieses Jahres ab.

Über die politischen Gründe, die Brüssel veranlassten, noch im März zu einem Projekt nein zu sagen, das man jetzt fördern will, kann man nur spekulieren. Tatsache ist, dass Anfang März die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) mit einem Positionspapier an die Öffentlichkeit trat, in dem sie forderte, Deutschland und die EU müssten sich in der Rüstung von den USA unter Präsident Donald Trump dringend unabhängig machen. Ein mögliches Vorhaben hob die DGAP explizit hervor: den Bau eines Drohnenwalls an der Ostflanke. Nur wenig später meldeten sich erste deutsche Rüstungs-Startups zu Wort, die Drohnen bauen; man wolle sich an dem Drohnenwall beteiligen, gaben etwa Helsing oder Quantum Systems bekannt. Beide beliefern Kiew mit Drohnen und entwickeln diese in enger Kooperation mit den ukrainischen Streitkräften – oft sogar in Frontnähe – fort. Sie sind daher, was die sich rasant entwickelnde Technologie des Drohnenkriegs angeht, stets auf neuestem Stand. Ihnen böte eine Beteiligung am Bau des Drohnenwalls die Chance, ihre Drohnenproduktion auf industrielles Massenniveau zu steigern – nebenbei: dies technologisch weitestgehend unabhängig von den USA.

Pistorius zeigt sich überraschend skeptisch

Auf dem informellen EU-Gipfel am Mittwoch in Kopenhagen stimmten die Staats- und Regierungschefs dem Bau des Drohnenwalls vorläufig zu. Über das Vorhaben soll nun bis zum regulären EU-Gipfel am 23. und 24. Oktober in Brüssel weiter diskutiert werden. Überraschend skeptisch hatte sich zu Wochenbeginn Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gezeigt. Wieso, das ist mit Blick auf die bisherigen deutschen Drohnenwall-Pläne nicht wirklich klar. Man wird die Debatte weiter beobachten müssen.

Unabhängig davon hat Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) Pläne für eine nationale Drohnenabwehr präsentiert. Zum einen will er ein Drohnenabwehrzentrum gründen, in dem Bundespolizei, Bundeskriminalamt und die Länderpolizeien ihre Kompetenzen bündeln sollen. Dabei gehe es um das Aufspüren und Abfangen, wenn nötig auch das Abschießen gefahrbringender Drohnen. Um das Abschießen zu gewährleisten, sprach sich Dobrindt klar dafür aus, das Luftsicherheitsgesetz zu ändern; demnach soll die Bundeswehr der Polizei bewaffnete Amtshilfe gegen Drohnen leisten dürfen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187588.drohnen-komische-flugobjekte-in-deutschland-und-den-usa-am-himmel.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188928.abwehrmittel-versagen-drohnensichtungen-jetzt-auch-an-patriot-standort.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193954.ukraine-krieg-russische-drohnen-in-polen-abgeschossen.html