nd-aktuell.de / 05.10.2025 / Politik

Fahren ohne Ticket soll nicht mehr im Gefängnis enden

Der Freiheitsfonds kämpft für die Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein. Noch stellen sich Politik und Justiz quer

Peter Nowak
Nur, weil sie Geldstrafen wegen Fahrens ohne Ticket nicht zahlen können, landen in Deutschland jedes Jahr Tausende Menschen im Gefängnis.
Nur, weil sie Geldstrafen wegen Fahrens ohne Ticket nicht zahlen können, landen in Deutschland jedes Jahr Tausende Menschen im Gefängnis.

Der Freiheitsfonds kauft immer wieder Menschen aus dem Gefängnis frei[1], die eine Geldstrafe nicht bezahlen konnten. Oft sitzen sie nur in einer Zelle, weil sie ohne gültiges Ticket gefahren sind – manche bis zu einem Jahr. Ihre Freikauf-Aktionen nennt der Verein »Freedom Day«[2]. Die nächste ist für den 27. November geplant.

»Die Betroffenen sind überwiegend arbeitslos, viele haben keinen festen Wohnsitz und sind suizidgefährdet«, sagte Leonard Ihßen vom Freiheitsfonds dem »nd«. »Niemand sollte im Gefängnis sitzen, nur weil er kein Geld hat. Deshalb kaufen wir die Menschen frei.« Ihßen bezeichnete den Freedom Day als »die größte Gefangenenbefreiung in der Geschichte der Bundesrepublik«.

1495 Menschen hat der Fonds bislang freigekauft – mit rund 1,3 Millionen Euro Spendengeldern. Gleichzeitig, so Ihßen, seien dem Staat dadurch 21 Millionen Euro Haftkosten erspart geblieben.

Für die Inhaftierten bedeutet der Gefängnisaufenthalt einen tiefen Einschnitt[3]: Manche verlieren ihre Wohnung oder den letzten Halt im sozialen Umfeld. Der Freikauf sei für sie existenziell. Dabei, betont Ihßen, sei das langfristige Ziel des Fonds, sich selbst überflüssig zu machen.

Ein Relikt aus der NS-Zeit

Die Organisation setzt sich für die Abschaffung des Paragrafen 265a im Strafgesetzbuch ein. Dieser kriminalisiert das »Erschleichen von Leistungen« – darunter fällt auch das Fahren ohne gültigen Fahrschein. Der Paragraf stammt aus dem Jahr 1935. Ihßen bezeichnet ihn als »Nazigesetz«, das ersatzlos gestrichen werden müsse.

Im vergangenen Jahr schien das Erreichen dieses Ziel in greifbare Nähe gerückt zu sein: Das von der FDP geführte Bundesjustizministerium hatte einen Gesetzesentwurf vorgelegt, mit dem das Schwarzfahren zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden sollte. Doch bevor der Bundestag darüber abstimmen konnte, platzte die Ampel-Koalition. Die aktuellen Regierung hat diesbezüglich nichts geplant, denn die Unionsparteien lehnen eine Änderung des Paragrafen strikt ab.

Städte gehen eigene Wege

Auch deshalb setzt der Freiheitsfonds nun auf einen dezentralen Ansatz: Immer mehr Städte weigern sich, in solchen Fällen Strafanzeigen zu stellen. Im September 2025 schloss sich Frankfurt am Main als 13. Kommune diesem Kurs an. Auf Antrag der dortigen Linksfraktion beschloss die Stadtverordnetenversammlung, dass Fahrten ohne Fahrschein nicht mehr automatisch zu Gefängnisstrafen führen sollen.

Trotzdem bleibt das Fahren ohne Ticket auch dort nicht straffrei, wie Ihßen betont. Verkehrsunternehmen dürfen weiterhin ein erhöhtes Beförderungsentgelt verlangen, das mitunter durch Inkassofirmen eingetrieben wird. Für die Betroffenen bedeutet das weiterhin Stress und Kosten. Aber: Solche Bußgelder führen nicht ins Gefängnis. Für den Freiheitsfonds ist das ein Fortschritt – doch die Debatte ist damit nicht beendet.

Widerstand in der CDU bröckelt

Der lange Atem der Initiative könnte sich auszahlen. Inzwischen gibt es selbst aus den Reihen der Union kritische Stimmen: Der hessische Innenminister Roman Poseck[4] (CDU) räumte ein, dass die Strafverfolgung des Delikts »erhebliche und möglicherweise unverhältnismäßige Ressourcen bindet«.

Das CDU-regierte Berlin zeigt sich davon bislang unbeeindruckt. Hier sitzen besonders viele Menschen in Haft, weil sie eine Geldstrafe für das Fahren ohne Ticket nicht zahlen konnten. Einige von ihnen werden am 27. November freigekauft.

Seit Langem fordern linke Initiativen einen Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr. Dann gäbe es weder Haftstrafen noch Bußgelder. Doch solange das nicht Realität ist, bleibt die Arbeit des Freiheitsfonds notwendig.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188589.strafrecht-klassenjustiz-das-ticket-aus-dem-knast.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190768.freiheitsfonds-ersatzfreiheitsstrafen-knete-statt-feile.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190767.ungleichheit-vor-gericht-darf-armut-vor-strafe-schuetzen.html
  4. https://de.wikipedia.org/wiki/Roman_Poseck