nd-aktuell.de / 05.10.2025 / Politik

Es wird eng für die freie Software

Digitale Technologien eröffneten Möglichkeiten, eine bessere Welt zu entwickeln. Doch der kurze Sommer der digitalen Anarchie ist vorbei

Anne Roth
Offizielles Maskottchen des freien Betriebssystems Linux: Tux, der Pinguin
Offizielles Maskottchen des freien Betriebssystems Linux: Tux, der Pinguin

»Schau, es ist ziemlich verdammt offensichtlich, dass Freie Software und Open-Source nicht mehr die Sorte Hippie-Kram sind, für die wir sie damals hielten, als sie dir mit Computer-Zeitschriften CDs mit Linux-Distributionen gegeben haben.« Ich bin kürzlich über einen Blogpost[1] gestolpert, der diesen harmlosen, aber doch provokanten Satz enthielt. Provokant, weil im Text der Vorschlag folgt, selbst entwickelte Software nicht mehr allen umsonst zur Verfügung zu stellen. Und das ist einer der Grundsätze freier und offener Software: Dass Software in einer Weise geschrieben und veröffentlicht wird, die es anderen ermöglicht, sie zu benutzen, zu prüfen und nach Bedarf zu verändern. Einfach so, ohne etwas kaufen zu müssen.

(Ich bitte hiermit alle um Entschuldigung, die jetzt den starken Impuls verspüren, auf die Feinheiten und Unterschiede hinzuweisen, die ich gerade übergehe. Für alle, die damit nicht vertraut sind: Vergleichbar mit einer Zusammenfassung von ›Das Kapital‹ in ein paar Sätzen.)

Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir manchmal für Software bezahlen müssen und manchmal nicht. In manchen Fällen gibt es die Apps umsonst und wir ›bezahlen‹ sie mit unseren Daten und der eingeblendeten Werbung, und in anderen gibt es die freie Software, die keine Daten von uns sammelt, aber dennoch nichts kostet. Dahinter steckt reiner Idealismus. Mit Software sollte eine alternative digitale Welt geschaffen werden, die niemandem gehört und deren Bestandteile von allen geteilt, genutzt und verbessert werden.

Warum soll es diese freie Software nun nicht mehr für alle geben? Weil, so der Blogtext, die Idee der freien Software nicht mehr funktioniert. Um das zu verstehen, ein kurzer Blick zurück.

Die Wurzeln der freien Software

Wie kam es überhaupt dazu? Vor genau 40 Jahren, im Oktober 1985, war die ›Free Software Foundation‹ (FSF) gegründet und damit ein Grundstein für das Selbstverständnis gelegt worden, dass Software-Entwicklung besser ist, wenn sie gemeinsam, unreguliert und nicht von individuellen Profitinteressen geleitet stattfindet. Eine bessere Welt, digital.

Wie bei allen Utopien und Bewegungen gab es in der Praxis allerlei handfeste Probleme. Etwa, dass die Open-Source-Entwickler*innen von Anfang an weit überdurchschnittlich weiß, männlich[2] und finanziell gut aufgestellt waren – weit mehr, als es bei kommerzieller Softwareproduktion der Fall war und ist. Das spiegelt sich natürlich auch darin wider, wie Software gestaltet ist. Viele hatten und haben kein Problem damit, dass ein Frauen- und Transfeind[3] im Vorstand der FSF sitzt.

Ist es möglich, im falschen Leben ein besseres anzufangen? Es sieht nicht gut aus, aber es bleibt alternativlos.

Einem weiteren Problem widmete sich der US-amerikanische Professor David Golumbia, der in seinem 2024 posthum veröffentlichten Buch »Cyberlibertarianism. The Right-Wing Politics of Digital Technology[4]« gut begründet die These vertrat, dass diese sich als so ganz anders verstehende Netzkultur wesentliche Wurzeln im rechten Libertarismus hat. Mit ›frei‹ ist danach eher der freie Markt und die Abwesenheit von gesetzlichen Regulierungen beispielsweise zur Meinungsfreiheit gemeint. Meiner Meinung nach übersah er, klar mit Blick auf die politischen Auseinandersetzungen in den USA, dass es auch eine sehr legitime linke Kritik am Staat, seinen Gesetzen und ihrer Durchsetzung gibt. Richtig ist aber, dass die Abwesenheit von Regelungen etwa zum Schutz von Schwächeren in der Gesellschaft keine progressive Form der Freiheit ist.

Beide Beispiele ändern nichts daran, dass es richtig war, das Netz nicht Unternehmen, Militär und Sicherheitsbehörden zur Gestaltung zu überlassen. Freie Software ist keine Nische, sondern ein wesentlicher Teil unserer digitalen Infrastruktur.

Dazu gehört, dass das idealistische freie Netz auf der einen und das kommerzielle Netz auf der anderen Seite nicht getrennt voneinander existieren. Wo sich anfangs beide Seiten noch sehr ideologisch bekriegten, haben wir inzwischen eine Situation, in der viele Unternehmen die Vorteile der freien Software sehr zu schätzen wissen. Viele bezahlen mittlerweile ihre eigenen Entwickler*innen dafür, an Open-Source-Software mitzuarbeiten, und viele Unternehmen wie auch Behörden nutzen gern Software-Bausteine, die bereits vorhanden sind, nichts kosten und sogar von anderen kostenlos gepflegt werden. Würde das gut funktionieren und wären alle zufrieden mit der Situation, wäre das womöglich kein Problem. Tatsächlich ist es so, dass es zu vielen dieser Software-Bestandteile keine Community gibt, die sie ehrenamtlich und gemeinsam aktuell halten.

Der verlorene Kampf um die bessere digitale Welt

Aria Salvatrice stichelt im eingangs erwähnten Blogtext: »Open Source ist zu einer Art unbezahltem Praktikum geworden, um schlechte Apps zu machen, die unserer Welt mehr Überwachung und Werbung bringen.«

Der Effekt: In den letzten Jahren hat es immer wieder spektakuläre IT-Sicherheits-Vorfälle gegeben, die aus Situationen entstanden sind, in denen von vielen genutzte und sicherheitsrelevante Software von einem Baustein abhing, der von einzelnen Entwickler*innen in der Freizeit in Ordnung gehalten wurde. Das IT-News-Portal »Heise online« titelte 2021 zu einem solchen Fall »Sicherheitslücke Log4Shell: Internet in Flammen«[5]. Warum diese Arbeit nicht angemessen bezahlt wurde und wird: gute Frage. Einerseits, weil die Programmierer*innen es selbst nicht wollen und die Unabhängigkeit durchaus auch schätzen; andererseits, weil Unternehmen nichts zahlen, was sie nicht müssen, und die meisten Regierungen im neoliberalen Schwung der letzten Jahrzehnte nicht verstehen, dass stabile Infrastruktur eine staatliche Aufgabe ist.

Vor 20 Jahren schon stellten Frank Rieger und Rop Gonggrijp beim jährlichen Congress des Chaos Computer Clubs in einem viel beachteten Talk fest: »We lost the war[6]«, wir haben den Krieg verloren. Sie bezogen das zunächst auf die Gefahr, dass digitale Technologien schon damals immer mehr für Überwachung genutzt wurden. Es war einige Jahre nach dem 11. September 2001, der »War on Terror« tobte, und auch hierzulande wurden unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Terrorismus viele Überwachungsgesetze eingeführt. Das eigentliche Thema des Vortrags war aber, dass der Kampf gegen die Kommerzialisierung von IT-Produktion und Internet verloren war. Mit »wir« waren erst mal die Hacker*innen, die Netz- oder IT-Community gemeint, aber mit dem Aufruf, Aktivist*innen und soziale Bewegungen mit technischen Fähigkeiten zu unterstützen, war klar, dass es um mehr ging. Auch die 2005 schon anrollende Klimakatastrophe wurde erwähnt.

Nichtsdestotrotz gibt es bis heute die Vorstellung, dass die Welt im Netz eine ganz andere sei oder jedenfalls hätte sein können. Ein Freiraum, der von denen »in der alten Welt« nicht verstanden wurde und wird, der ihnen mangels technischen Verständnisses nicht zugänglich war und auch erst mal nicht sein sollte. Das Misstrauen war gegenseitig, denn die Nerds lebten mit dem Image der etwas seltsamen und nicht recht gesellschaftsfähigen, unsportlichen und blassen Außenseiter*innen. Das änderte sich erst mit den Enthüllungen von Edward Snowden 2013 und dem Wissen von der technischen Massenüberwachung durch die Geheimdienste. Plötzlich waren die Nerds cool, denn sie wussten, wie Kommunikation verschlüsselt werden kann und hatten Alternativen zu den kommerziellen Plattformen, die mit den Behörden kooperieren.

Der kurze Sommer der Anarchie

Der digitale Freiraum bot viele Möglichkeiten, das digitale Zusammenleben ganz anders und besser zu gestalten, es wurde entwickelt und experimentiert und es entstanden großartige Dinge. Leider hat sich dieses Tor zu einer besseren Welt inzwischen fast vollständig geschlossen. Der Krieg ist verloren und der Hippie-Kram ist verstaubt oder aufgekauft. Es bleiben die Abwehrkämpfe gegen die Dominanz von Big Tech und Überwachung.

Mich erinnert das an die Freiräume der Häuserbesetzungen in Berlin nach der Wende. Die halbe Stadt (Ost) stand leer, über 100 Häuser wurden besetzt, dazu die Clubs, die Projekte und so viel mehr. Alles war möglich. Wir haben gebaut, gemalt, Wände versetzt. Wir hatten tagelang Plenum, wir haben uns die Nazis vom Hals gehalten und so viel Krach gemacht, wie wir Lust hatten. Wir haben sehr viel gelernt. Wir haben gefühlt, wie anders die Welt sein könnte. Was ist davon geblieben? Sehr wenig, denn womit wir uns nicht beschäftigt haben: mit der Welt um uns herum, und die ist nicht stehen geblieben. Irgendwann wurden die Häuser gekauft, die Clubs wegen Lärmbelästigung dicht gemacht und alle vor die Tür gesetzt. Der Kapitalismus hatte gewonnen und Berlin war wieder langweilig. Hätten wir besser die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften besetzen sollen? In Büros an Gesetzesvorlagen gegen Immobilienkonzerne arbeiten? Vielleicht. Das wäre von Anfang an sehr langweilig gewesen und wenn es jemand vorgeschlagen hätte, hätten vermutlich nicht sehr viele mitgemacht. (Wobei Deutsche Wohnen & Co. Enteignen[7] ja gerade zeigt, dass Gesetzentwürfe und Glitzer sehr gut zusammenpassen – Respekt!)

Ist es möglich, im falschen Leben ein besseres anzufangen? Es sieht nicht gut aus, aber es bleibt alternativlos.

Links:

  1. https://aria.dog/barks/forklift-certified-license/
  2. https://www.researchgate.net/publication/264799720_FLOSSPOLS_Deliverable_D_16_Gender_Integrated_Report_of_Findings
  3. https://www.heise.de/news/Lautstarker-Protest-gegen-Richard-Stallmans-Rueckkehr-zur-FSF-5998079.html
  4. https://www.upress.umn.edu/9781517918149/cyberlibertarianism/
  5. https://www.heise.de/news/Sicherheitsluecke-Log4Shell-Internet-in-Flammen-6304730.html
  6. https://events.ccc.de/congress/2005/fahrplan/events/920.en.html
  7. https://dwenteignen.de/