Es kommt nicht allzu oft vor, dass sich Präsident*innen der EU-Kommission einem Misstrauensantrag des Europaparlaments stellen müssen. Genauer gesagt: In der Geschichte der europäischen »Volksvertretung« ist dies bislang nur sieben Mal geschehen. Erfolgreich war keiner dieser Vorstöße zur Absetzung der EU-Spitze. Allerdings führten Vorwürfe von Betrug, Missmanagement und Vetternwirtschaft 1999 zum Rücktritt des EU-Kommissionschefs Jacques Santer – der damit einem Misstrauensantrag zuvorkam.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht sich in dieser Woche gleich mit Misstrauensantrag zwei und drei konfrontiert. Dabei amtiert die deutsche frühere Multi-Ministerin in ihrer zweiten Amtszeit auf dem Chefsessel der Kommission gerade einmal ein gutes Jahr. Bereits im Juni hatte es im EU-Parlament einen Misstrauensantrag gegen von der Leyen gegeben, eingebracht von Abgeordneten aus den extrem rechten Fraktionen. Sie hatten der Kommissionspräsidentin Missmanagement und undurchsichtige Medikamentengeschäfte in der Coronakrise vorgeworfen. Der Antrag fiel im Parlament durch, vor allem, weil die große Mehrheit der Abgeordneten nicht mit den Rechtsextremen stimmen wollte.
Zumindest der in dieser Woche zur Abstimmung stehende Antrag der Linksfraktion hat jedoch ein anderes Kaliber. Unmittelbar nach von der Leyens Rede zur Lage der EU im September[1] hatte The Left ihren Misstrauensantrag eingereicht. Martin Schirdewan, Ko-Vorsitzendender der Linksfraktion, warf der Kommissionspräsidentin soziale Kälte und wirtschaftliches Scheitern vor: »Während Millionen um ihre Jobs und ihre Rente bangen, treibt sie Freihandel, Aufrüstung und Sozialabbau voran«, erklärte er gegenüber »nd«.
Im Antrag von The Left heißt es, die Kommission habe »ohne Mandat ein Abkommen zwischen der EU und den USA akzeptiert« – gemeint ist die Handels- und Zollvereinbarung – »das den europäischen Interessen schadet«. Das Abkommen mit den USA mache die EU faktisch zum Vasallen von Donald Trump, so Manon Aubry, ebenfalls Ko-Chefin der Linksfraktion. Auch zeige die Kommission »Unfähigkeit und mangelnden Willen, die sich verschärfende soziale und klimatische Krise, insbesondere die negativen Auswirkungen auf soziale Rechte und die Wohnungskrise in ganz Europa, zu bewältigen.« Zudem verurteilt The Left die praktische Inaktivität der EU gegenüber Israels Völkerrechtsbrüchen im Nahen Osten. Aubry: »Die EU verschließt die Augen vor einer der schlimmsten Katastrophen unseres Jahrhunderts – mit mehr als 60 000 Toten«. Die EU habe es »versäumt, das Abkommen zwischen der EU und Israel auszusetzen oder Sanktionen zu verhängen[2], anders als bei den Maßnahmen gegen Russland«, heißt es in dem Antrag.
Der Zoll-Deal wird auch im Antrag der PfE moniert, der zeitgleich mit jenem von The Left eingebracht wurde und ebenfalls diese Woche zur Abstimmung steht. Daneben ist den Rechtsextremen selbst die verschärfte Migrationspolitik der EU noch viel zu lasch und die »Bevormundung« aus Brüssel zu massiv. »Wer die Anträge vergleicht, erkennt sofort den Unterschied«, sagt Schirdewan zu Versuchen, beide Vorstöße gleichzusetzen. »Der Antrag der Rechtsextremen basiert allein auf Ressentiments und bietet keinerlei Inhalte. Unserer hingegen steht für einen klaren sozialen Politikwechsel.«
Dass der Misstrauensantrag Erfolg haben wird, ist unwahrscheinlich. Dazu müssten zwei Drittel der insgesamt 719 Europaabgeordneten zustimmen. »Wir werben um die Stimmen aller Demokratinnen und Demokraten im Europäischen Parlament, die erkennen, dass die Kommission unsere Gesellschaft in die völlig falsche Richtung steuert«, betont Schirdewan im Gespräch mit »nd« – und verweist neben sozialen Fragen auch auf die massive Aufrüstung, Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen und den Klimawandel. Abgestimmt über die Anträge von The Left und PfE wird am Donnerstag.