Normalerweise tummeln sich französische Militärs in ihren Uniformen im 15. Pariser Arrondissement, wo sich das Verteidigungsministerium befindet. Doch an diesem Sonntag versammelten sich hier Antikriegsaktivisten zu Tausenden. Schon um zwölf Uhr mittags hatten sich lange Schlangen vor den Eingängen des Dome de Paris gebildet: Kufiyas, Gewerkschaftsbanner und Pace-Fahnen prägten das Stadtviertel.
Der Andrang zur europaweiten Antikriegskonferenz war groß, die Halle mit knapp 4000 Sitzplätzen seit Wochen ausverkauft. Es sei heute »ein bedeutender Tag für die europäische Antikriegsbewegung, wie wir ihn seit einer Generation nicht mehr erlebt haben«, rief Zarah Sultana der Menge zu. Die britische Angeordnete war eine der Hauptrednerinnen der sonntägigen Veranstaltung, die aus dem Umfeld von La France Insoumise organisiert wurde. Sie trat im Juli aus Labour aus, um mit Jeremy Corbyn eine neue Linkspartei aufzubauen[1].
Die Menge begrüßte Sultana frenetisch. Tosender Applaus kam auf, als der Moderator von ihren Plänen einer neuen Wahlalternative links der Sozialdemokratie berichtete. Sultana griff den britischen Premier Keir Starmer frontal an, kritisierte seinen Sozialabbau und den Verkauf von Rüstungsgütern in die Ukraine. »Die Regierungen sagen uns, es gäbe kein Geld für Sozialausgaben, Bildung und Gesundheit. Wieso gibt es immer Geld für Kriege, aber niemals für die Armen«, fragte sie. Die Nato sei eine Kriegsmaschinerie, die gestoppt werden müsse.
Zwischen ihrer Rede kam immer wieder tosender Applaus, teilweise Standing Ovations, auf. Sultana ist hier ein Politstar – und wie bei einem Popkonzert ist alles durchchoreografiert. »Wieso ist es um die Bühne so nebelig«, fragt ein befreundeter Gewerkschafter aus Wien, der die Konferenz über den Livestream verfolgt.
Mit Beginn der Veranstaltung wird das Licht im Saal stark gedimmt. Wenn während der Reden Applaus und Sprechchöre ausbrechen, wird die Halle für wenige Augenblicke erhellt, um sie dann wieder sanft zu verdunkeln: Das strikte Rednerprogramm soll nicht von politischen Manifestationen des Publikums unterbrochen werden. So wird zumindest der Zeitplan exakt eingehalten.
Die Redner betraten die Bühne nicht nur mit Lichteinlagen, sondern auch theatralischer Musikbeschallung. Nur Preise wurden keine vergeben – das unterschied das Tun auf der Bühne von einer Verleihungszeremonie. Das begann mit Videosequenzen von Arbeitskämpfen und Demonstrationen in ganz Europa – auch die 100 000 Teilnehmer der Gaza-Demonstration in Berlin waren zu sehen.[2]
Von Beginn an war der Fokus der Veranstaltung auf Gaza gerichtet. Eine härtere Gangart forderte Sultana gegen Israel. »Wir brauchen wahre politische, ökonomische und diplomatische Sanktionen. Großbritannien muss seine Abkommen mit Israel beenden und die israelischen Botschafter müssen aus allen Hauptstädten Europas ausgewiesen werden«, forderte sie.
Obwohl der Aufruftext sich gegen die Kriege in der Ukraine und Palästina gleichsam richtete, blieb die Ukraine ein Randthema. Zwar wurden die sozialen Konsequenzen der Hochrüstungspolitik der EU in den Reden thematisiert und der ukrainische Kriegsdienstverweigerer Andrii Konovalo war aus Köln angereist, um über die Unterminierung der demokratischen Rechte durch den Krieg in seinem Land zu sprechen und vor einem Atomkrieg zu warnen.
Doch den Fokus legten die Organisatoren bereits mit der Rednerliste fest: Zunächst sprachen palästinensische Aktivisten, dann Orly Noy von der israelischen Friedensorganisation B’Tselem: »Die Regierungen dieser Welt sind dafür verantwortlich, dass Israel ein Apartheidregime aufbauen konnte. Das Blut des Genozids klebt an ihren Händen.« Es gehe in dem Krieg nicht um Juden gegen Palästinenser, sondern es sei ein Konflikt zwischen »jenen, die Freiheit und Gerechtigkeit wollen, und jenen, die für Unterdrückung und Kolonialismus stehen«, erklärte Noy. Abermals laute Sprechchöre und Applaus, bis das Dämpfen des Lichts die Menge wieder zur Ruhe brachte.
Drei Stunden dauerten die Reden, darunter José Nivoi von den Hafenarbeitern in Genua, die sich gegen Waffenlieferungen nach Israel einsetzen, und Fran Heathcote, Generalsekretärin der britischen Beamtengewerkschaft PCS. Aus den USA waren Amara Enyia vom Movement for Black Lives, Medea Benjamin von Codepink-Women for Peace und der internationale Koordinator des Democratic Socialists of America, Andrew Basta, angereist.
»Euphorisch, energetisch, überzeugt, mehr zu tun«, reise Enyia in die USA zurück. »So viele Menschen, die alle dasselbe wollen, nämlich keinen Krieg, sondern Frieden, ist ein wunderbares Gefühl«, sagte sie »nd«.
Daran möchten die Organisatoren im kommenden Jahr anknüpfen: Da wird eine weitere Konferenz in London abgehalten werden, gab John Rees von der britischen Stop the War Coalition bekannt: »Gleich gegenüber Westminster, damit sie uns hören können.« Bis dahin soll es einen internationalen Aktionstag gegen Krieg geben.