nd-aktuell.de / 06.10.2025 / Politik

Frankreich: Die Eintagsregierung

Nach Rücktritt des Premiers muss Macron das Kabinett komplett neu aufstellen

Ralf Klingsieck, Paris
Von den Republikanern alleingelassen: Sébastien Lecornu bei seiner Rücktrittserklärung
Von den Republikanern alleingelassen: Sébastien Lecornu bei seiner Rücktrittserklärung

Die neue Regierung, auf die die Franzosen einen Monat warten mussten und deren Zusammensetzung erst am Sonntagabend bekanntgegeben worden war, hat sich nicht einmal 24 Stunden gehalten. Den Rekord der kürzesten Amtszeit hatte bisher eine Regierung 1950 aufgestellt – mit zwei Tagen.

Noch Sonntagabend hatte der Innenminister Bruno Retailleau[1], der zugleich Vorsitzender der rechtskonservativen Partei Les Républicains (LR) ist, die Zusammensetzung der Regierung kritisiert, weil sie »nicht den versprochenen Richtungswandel in der Politik widerspiegelt«. Am Montagmorgen stellte er offen die Unterstützung des neuen Kabinetts durch seine Partei infrage, ohne die das Regierungslager im Parlament über keine Mehrheit verfügt und damit handlungsunfähig ist.

Lecornu stellt Kompromissbereitschaft der Parteien infrage

Daraufhin bot Regierungschef Sébastien Lecornu[2] Präsident Emmanuel Macron seinen Rücktritt an, den dieser annahm. In einer kurzen, bewegenden Fernsehansprache erklärte Lecornu, er sei an der Unfähigkeit großer Teile der Parteien des Regierungslagers und der rechten Opposition gescheitert, im Interesse aller Franzosen die dringendsten Probleme des Landes gemeinsam in Angriff zu nehmen. »Die politischen Parteien nehmen weiterhin eine Haltung ein, als hätten sie alle die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung«, sagte Lecornu. »Im Grunde befand ich mich in einer Situation, in der ich zu Kompromissen bereit war, aber jede politische Partei will, dass die andere politische Partei ihr gesamtes Programm übernimmt.«

Zugleich betonte er, er habe Lehren aus der Vergangenheit gezogen und sei neue Wege gegangen. Tatsächlich hatte Lecornu beispielsweise jüngst erklärt, auf Paragraf 49.3 der Verfassung zu verzichten, mit dessen Hilfe Beschlüsse der Regierung auch ohne Zustimmung des Parlaments durchgesetzt werden können. Damit hatte er dem Parlament die vollen Kompetenzen zurückzugeben.

Frankreich rutscht in beispiellose Krise

Mit dem Rücktritt des Premiers und dem Scheitern der Kurzzeitregierung befindet sich das Land in einer beispiellosen politischen Krise. Die noch Sonntagabend für Montag angekündigte Ministerratssitzung und die für Dienstagnachmittag geplante Regierungserklärung sind hinfällig. Alle warten gespannt, welchen Ausweg Präsident Macron aus dieser Situation suchen wird. Beobachter schließen eine Übergangsregierung von parteilosen Experten nicht aus, um Zeit für eine dauerhafte Lösung zu gewinnen.

Macron bleiben im Grunde drei Optionen: die Ernennung des vierten Premierministers binnen eines Jahres, die Ausrufung von Neuwahlen zum Parlament oder sein eigener Rücktritt. Da die letzten beiden Optionen aber den extrem rechten Rassemblement National (RN)[3] an die Macht bringen würde, dürfte es am wahrscheinlichsten sein, dass der Präsident erneut einen Premier sucht, der den Kürzungshaushalt 2026 durch die Nationalversammlung bringen soll.

Rechte will Neuwahlen

RN-Chef Jordan Bardella[4] forderte Macron auf, wie im Juni 2024 das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzuberaumen. Die Rechten sind sich offenbar sicher, dass sie dabei eine überzeugende Mehrheit erringen können, dass dem Präsidenten also keine andere Wahl bliebe, als Bardella zum Premier zu ernennen und mit der Regierungsbildung zu beauftragen.

In diesem Fall müsste Macron das Land bis zum Ende seiner Amtszeit im Mai 2027 in »Cohabitation« mit dem Rassemblement National regieren, der auf diese Weise anderthalb Jahre eher an die Hebel der Macht käme als bisher erwartet. Mit dieser Vision sind die Rechten nicht mehr wie noch vor Jahren isoliert. Denn inzwischen ist bei den rechtskonservativen Républicains ein Teil der Basis und der Parteiführung aufgeschlossen für ein Zusammengehen mit den Rechtsextremen und die Bildung einer »Neuen Rechten« wie in Italien.

Doch nach einer Sitzung der Parteiführung der Republikaner am Montag betonte diese, nach wie vor zu Macron und dem Regierungslager zu stehen. Zugleich verlangt die LR-Spitze mehr Einfluss.

Die linken Oppositionsparteien prangern das »politische Chaos« an, in dem sich das Land befindet und das nach Einschätzung des Sprechers der Parti Socialiste, Arthur, Delaporte durch die Politik von Macron »nur immer schlimmer wird«.

Linke will Macrons Amtsenthebung

Jean-Luc Mélanchon und seine Bewegung La France insoumise (LFI) wollten die Gelegenheit nutzen, um noch am Montagnachmittag im Parlament die Amtsenthebung von Macron zu beantragen und dafür eine Mehrheit zusammenzubringen. Das wäre nicht unmöglich, allerdings de facto nur durch ein Zusammenwirken mit den Rechtsextremen.

Der Sturz des Präsidenten um jeden Preis hat für LFI höchste Priorität. Mélenchon macht für die gegenwärtige Lage immer noch die Entscheidung Macrons vor einem Jahr verantwortlich, keinen linken Politiker mit der Regierungsbildung beauftragt zu haben, obwohl ein Bündnis linker Kräfte das beste Wahlergebnis erzielt hatte. Stattdessen ging der Präsident ein Zweckbündnis mit den Republikanern ein.

Macron hatte seine Entscheidung seinerzeit unter anderem damit begründet, dass eine linke Regierung, in der die kämpferische LFI den Ton angibt, keine Koalitionspartner finden könne, um erfolgreich zu regieren. Die Lage ist aber heute nicht anders, denn der LR-Parteichef bleibt dabei, dass für seine Partei eine Zusammenarbeit mit einem linken Regierungschef »völlig ausgeschlossen« sei. Am Montag von der Zeitung »Le Figaro« veröffentlichten Umfrageergebnissen zufolge stehen 46 Prozent der Wähler den Rechtsextremen ablehnend gegenüber. Zugleich lehnen 58 Prozent La France insoumise ab.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194176.generalstreik-in-frankreich-grosste-beteiligung-an-protesten.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193996.proteste-proteste-in-frankreich-die-ete-warnung.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191481.frankreich-die-horatier-kommen-aus-dem-schatten.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1183869.rassemblement-national-frankreich-die-flut-steigt-weiter.html