Die Internetkonkurrenz zwinge sie nun in die Knie, sagt Stefanie Ehrlich, die im Jahr 1992 die kleine »Fontane-Apotheke« im eher einkommensschwachen Hamburger Stadtteil Hamm von ihrem Vater übernommen hatte. Nicht allein ältere Menschen hätten nach der Ankündigung der Schließung ein paar Tränen verdrückt, erzählt sie einer örtlichen Zeitung. Sie liebe ihre Arbeit, aber die Zeiten seien für stationäre Apotheken immer rauer geworden. Besonders E-Rezepte und Internetapotheken seien Probleme. »Besonders wenn dann noch Promis im Fernsehen Werbung dafür machen«, meint sie. »Ich nehme das Günther Jauch übel.« Er sei doch gar nicht auf diese Einnahmen angewiesen.
Der prominente TV-Moderator wirbt auf allen Medienkanälen für den Versandhändler »Shop-Apotheke«. Das Unternehmen ist neben der Doc-Morris-Gruppe Marktführer im Online-Handel mit Arzneiartikeln. Jauchs Reklame kommt auch sonst in der Branche nicht gut an: Anfang des Jahres hatte sich eine Apothekerin aus Schleswig-Holstein direkt an Jauch gewandt und ihm ein Praktikum angeboten. Schließlich sei es sehr verwunderlich, dass »fremdgesteuerte Großkonzerne« dem funktionierenden Versorgungsnetz vorgezogen werden sollten. Apotheke sei viel mehr als Schubladeziehen, Apotheke sei »Wissenschaft, Heilberuf, soziale Anlaufstelle, Begleitung von der Geburt bis zum Tod, Logistik«[1]. Zudem trage sie dazu bei, wohnortnahe Ausbildungs- und Arbeitsplätze, in erster Linie für Frauen, zu schaffen. Und die Attraktivität von Dörfern und Städten zu erhalten. All dies könne zerstört werden, »Schritt für Schritt«, warnt die Apothekerin.
Jauchs Büro antwortete in einer Mail. Es gelte für Verbraucher, die Wahl zwischen stationären und digitalen Dienstleistungen zu haben, auch im Apothekenbereich. Dass lokale Geschäfte dadurch Umsatzanteile an die digitale Konkurrenz verlieren, »sei durchaus eingeräumt«.
Ähnliche Entwicklungen in der sogenannten Plattformökonomie haben das Ende der klassischen Postfiliale herbeigeführt, und der Amazon-Schock kostete vielen stationären Einzelhändlern die Existenz. Im Ergebnis strotzt manches Ortszentrum in Deutschland heute vor Leerstand. Plattformökonomie ermöglicht es Konzernen, große Stückzahlen kostengünstiger als Einzelhändler anzubieten.
Seit 2004 ist in Deutschland der Internethandel mit rezeptpflichtigen und -freien Medikamenten erlaubt. [2]Im Bereich der Selbstmedikation hat der Versandhandel bereits mehr als 20 Prozent Marktanteil erreicht. Bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln liegt der Anteil mit unter einem Prozent allerdings deutlich niedriger.
Die Branche selber sieht sich als schwächstes Glied in der Gesundheitskette. [3]Im Jahr 2013 wurde das Honorar letztmalig von der Bundesregierung angepasst – auf 8,35 Euro pro rezeptpflichtigem Arzneimittel, beklagt die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) in Berlin. Dem Verband gehören auch Onlinehändler an. Hinzu kommt ein Zuschlag von 3 Prozent des Einkaufspreises der Arzneimittel. Davon abzuziehen ist der Apothekenabschlag von 1,77 Euro zugunsten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Doch während seither die Einnahmen der GKV um über 70 Prozent stiegen, legten die der Apotheken trotz rasant gestiegener Kosten lediglich um rund 10 Prozent zu. Der Gewinn vor Steuern liegt laut Verbandsangaben nur noch bei durchschnittlich 162 000 Euro. »Dieser Betrag entspricht aber keineswegs einem Bruttogehalt«, erklärt ein ABDA-Sprecher. Die studierten Inhaberinnen und Inhaber müssten davon Steuern abführen, Investitionen tätigen sowie ihre Altersvorsorge und Krankenversicherung bestreiten.
Immerhin hat die schwarz-rote Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag Besserung gelobt. Die »Vor-Ort-Apotheken« sollten von Bürokratie entlastet und die Vergütung auf 9,50 Euro pro Packung erhöht werden, für »ländliche Apotheken« sogar auf bis zu 11 Euro.
Die Zahl der Apotheken ist schon seit Langem rückläufig. Gab es im Jahr 2000 noch 21 592 Geschäfte, waren es zur Jahresmitte 2025 noch 16 803. Auf die Einwohnerzahl bezogen, liegt Deutschland damit weit unter dem EU-Durchschnitt. Das Apothekensterben beunruhigt mittlerweile auch die Zivilgesellschaft. So wies die Vorsitzende des Sozialverbandes Deutschland, Michaela Engelmeier, kürzlich auf die existentielle Bedeutung der Apotheken vor Ort hin, besonders im ländlichen Raum. Dabei ist die Apothekendichte in vielen ostdeutschen Landkreisen noch höher als im Westen. Engelmeier: »Gerade für ältere, chronisch kranke oder mobilitätseingeschränkte Menschen ist eine wohnortnahe Versorgung unverzichtbar.«