nd-aktuell.de / 07.10.2025 / Kultur

Warum übernehmen jetzt Männer ihre Jobs?

Regisseur Gerd Kroke widmet sich in der Doku »Stolz & Eigensinn« den Frauen aus den ehemaligen Industrie-Großbetrieben der DDR. Ein Gespräch

Interview: Susanne Gietl
Silke Butzlaff arbeitet heute noch als Geräteführerin im Tagebau.
Silke Butzlaff arbeitet heute noch als Geräteführerin im Tagebau.

In Anlehnung an Oskar Negts und Alexander Kluges Veröffentlichung »Geschichte und Eigensinn« beschreibt »Stolz & Eigensinn[1]« die Arbeitswelt der Frauen in den 90ern. Woher kommt diese Idee?

Mir wurde das Ausgangsmaterial von dem Piratensender Kanal X im Archiv der Bürgerbewegung der DDR im Haus der Demokratie in Leipzig sehr zufällig zugespielt. Mein Film »Kehraus« (1990) wurde damals mehrfach illegal gesendet, und sie wollten sich um die Löschung auf den alten Sendebändern kümmern. Ich war aber völlig begeistert von der Piratenaktion und hatte auch kein Problem damit, dass der Film illegal gesendet wurde. Dann erzählte mir der Archivar von Interviews mit Frauen in den 90ern (1994). Ich fand das spannend. Wann gab es zuletzt einen deutschen Film, in dem eine Arbeiterin aufgetreten ist? Das ist schon sehr lange her. Ein weiterführender Gedanke des Films war, was eigentlich in einer Zeit passiert, in der gegenständliche Arbeit immer mehr verschwindet. Worüber definieren sich Frau oder Mann zukünftig?

Wie haben Sie die Frauen ausfindig gemacht?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man ab einem gewissen Lebensalter die Leute im Umkreis von 50 Kilometern wiederfindet. Ich konnte den Kontakt zu den Frauen herstellen, um sie mit diesem alten Filmmaterial wieder in Verbindung zu bringen und damit von der Lücke erzählen, die in den 30 Jahren entstanden ist. Ausschnitt für Ausschnitt hat das wie ein Fotobuch funktioniert, nur eben mit Splitscreen.

Wir treffen Frauen, die harte Arbeit in sogenannten Männerberufen verrichten. Eine Frau nennt sich Bergmann, weil sie sich mit dem Begriff wohler fühlt. Wie haben Sie die Frauen ausgewählt?

Die Basis war das Rohmaterial des Films »Früher waren wir gut genug« einer Bergbaugewerkschaft, deshalb war der Film anfangs ein bisschen bergbaulastig. Wir hatten fünf, sechs Stunden Rohmaterial und haben versucht, einen breiten Mix zusammenzustellen. Bärbel Grätz hat eine große F60-Anlage aus der Steinkohle in Welzow-Süd gefahren, und in Weißenfels haben wir mit Steffi Gänkler gesprochen, die dort zwölf Jahre in der Schuhmetropole gearbeitet hat und zum Schluss unter Manufakturbedingungen Mitte der 90er entlassen wurde, Christel Badler war an einer großen Gasanlage Ingenieurin in Leuna, Monika Schurmann war Lokführerin im Spreetal und Silke Butzlaff sitzt heute noch als Geräteführerin im Tagebau.
Beim Drehen ist mir aufgefallen, dass sich alle Frauen, die im Film vorkommen, über ihre Arbeit definieren. Äußerungen über Arbeit, Arbeitsverhältnisse und Entlohnung sind heute angstbesetzter, als sie es damals waren. Die Frauen sprechen mit einer unglaublichen selbstverständlichen Souveränität davon, dass sie überhaupt nicht nachvollziehen können, warum jetzt Männer ihre Jobs übernehmen, obwohl sie das jahrzehntelang geleistet haben. Sie verfallen in meinem Film nicht in eine Jammerei oder Ostalgie, sondern gehen souverän mit dem Bruch um.

Sie sprechen den Bruch durch die Wende an. Durch die Umstrukturierung gab es eine riesige Entlassungswelle.

Das passierte damals in einer unglaublichen Geschwindigkeit. Wenn man heute einen Baum fällen möchte und dafür eine Genehmigung braucht, dauert das länger als der gesamte Einheitsvertrag verhandelt wurde. Innerhalb von einem halben Jahr passierte das mit einer wahnsinnigen Respektlosigkeit den Menschen gegenüber. Ganze Familien befanden sich plötzlich in der Arbeitslosigkeit. Heute ist das die Quelle von vielen Sachen, die zu Unmut führen.

Es ist wichtig, auch davon zu erzählen …

Godard hat mal gesagt, »die beste Kritik an einem Film ist ein Film«. Ich habe voriges Jahr Torsten Körners Dokumentarfilm »Die Unbeugsamen 2 – Guten Morgen, ihr Schönen« gesehen, der mit Ostfrauen-Klischees hantiert und von patenten durch den Alltag springenden, tollen Ostfrauen erzählt, das Ganze wurde mit einem banalen Musiksoundtrack unterlegt. Das resultiert aus einer totalen Unkenntnis und vor allem auch aus einem völligen Desinteresse an den wirklichen Personen. Dass dahinter eine sehr harte Arbeitswelt stand, ist medial eine Riesenlücke. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Entscheidungsträger, die heute Geld für die Projekte geben, in der Regel nicht diesen Hintergrund mitbringen und nicht ostsozialisiert sind.

Heißt das in gewisser Weise, dass kein Interesse an unserer Vergangenheit besteht?

Es ist schwierig. Um mal ein Beispiel zu nennen: Der Film endet mit so einem Insert, wo beschrieben wird, dass Hunderttausende Frauen ihren Arbeitsplatz verloren haben. Wir haben versucht, eine konkrete Zahl zu finden, wie viele Industriearbeitsplätze bei Frauen in den drei Entlassungswellen verloren gegangen sind. Diese Zahl finden Sie nicht. Es scheint nicht gewollt zu sein, dass man diese Zahlen erfährt. Warum, weiß ich nicht. Ich erinnere mich aber, wie sehr in den 90er Jahren die Arbeitslosenstatistiken durch ABM-Maßnahmen, Schulungen, Ausgründungen und so weiter geschönt wurden.

Wird durch den Film eine Lücke geschlossen?

Vielleicht. Gleichzeitig merke ich aber nicht nur bei meiner erwachsenen Tochter und deren Umfeld, dass jetzt eine Generation nachwächst, die da genauer nach diesem Bruch und dem Wechsel von zwei Gesellschaftssystemen fragt. Das hat auch sehr viel mit der jetzigen politischen Situation zu tun, dass man diesen Vergleich möglicherweise braucht oder anders darauf hört als noch vor zehn, 15 Jahren. Im Fall von DDR-Frauen ist das besonders krass, weil das, was emanzipatorisch von der Verfassung vom 7. Oktober 1949 festgelegt war, verschwunden ist.

Was einst gewonnen war, ist nun verloren, so lautet auch ein Teil des Untertitels des Films ...

Genau. In Artikel 7 stand darin wörtlich: »Mann und Frau sind gleichberechtigt. Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung von Frauen entgegenstehen, sind aufgehoben.« Auch das Recht auf gleiche Bezahlung war so darin verankert. Es gab in der Übergangsregierung eine Gleichstellungsbeauftragte, die den »Frauenreport ’90« in Auftrag gegeben hat. Darin wurde die soziale und ökonomische Lage der DDR-Frauen durch Statistik, Befragungen und Erlebnisberichte zusammengetragen, um die rechtliche und soziale Gleichstellung voranzubringen. Wenn man das liest, ist das heute wie eine Bombe, weil darin aufgeführt ist, was für Frauen rechtlich schon geklärt war. Wenn ich mir unseren Kanzler angucke, kommt mir das Grauen ob der Rückwärtsgewandtheit seines Frauenbilds.

»Stolz & Eigensinn«: Deutschland, 2025. Regie und Buch: Gerd Kroske, 113 Min. Kinostart: 9. Oktober.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189161.stolz-und-eigensinn-der-wendebruch.html