Bis zu 1000 verletzte Soldaten am Tag müssten deutsche Krankenhäuser nach Einschätzung der Bundeswehr im Kriegsfall versorgen. Allein die Berliner Kliniken müssten bis zu 100 von ihnen aufnehmen, hieß es am Wochenende in einem Bericht der »Berliner Zeitung« über den »Rahmenplan für die Zivile Verteidigung im Bereich der Berliner Krankenhäuser«. Das Dokument wirft allerdings mehr Fragen auf, als es beantwortet.
Von »Luftschlössern« spricht Andreas Umgelter angesichts der Lage in den Kliniken. »Im Moment geht es eher darum, die Krankenhäuser so auszustatten, dass die Kapazitäten im Frieden ausreichen«, sagt er zu »nd«. Umgelter ist Chefarzt der Zentralen Notaufnahme im Humboldt-Klinikum im Berliner Ortsteil Reinickendorf, betrieben vom landeseigenen Krankenhauskonzern Vivantes. Aus dem Rahmenplan gehe nicht hervor, wie die Infrastruktur für Schwerverletzte in dieser Größenordnung erweitert werden soll, so der Arzt. Der Rahmenplan wurde von der Senatsgesundheitsverwaltung, der Bundeswehr, der Berliner Krankenhausgesellschaft und den Betreibern von zwölf ausgewählten Krankenhäusern erstellt. Den Geschäftsleitungen der übrigen Berliner Krankenhäuser wurde das 28-seitige Arbeitspapier bereits im Juli vorgestellt.
Im Februar 2024 hatte Umgelter bei einer Anhörung im Berliner Abgeordnetenhaus gesagt, die Belastungsgrenze in den Krankenhäusern sei aus seiner Sicht bereits jetzt überschritten: »Das bedeutet, dass wir in einem unsicheren Bereich arbeiten. Wir verletzen täglich die Menschenwürde und etablierte Standards der Medizin und der Hygiene in viel zu kleinen, baulich veralteten, unterbesetzten und mangelhaft ausgestatteten Notaufnahmen.« Doch im Nachtragshaushalt des Berliner Senats für 2025 wurde wieder gekürzt: Die Krankenhäuser erhalten demnach 29 Millionen Euro weniger für Investitionen als geplant. Derweil stockt auch die bundesweite Krankenhausreform – ein Anpassungsgesetz soll nun die Umstellungsfristen noch einmal erweitern.
Nach Angaben des Deutschen Pflegerats fehlten Anfang des Jahres insgesamt rund 115 000 Pflegefachkräfte bundesweit. Das Problem durch eine allgemeine Dienstpflicht für junge Männer und Frauen zu lösen, wie sie Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) fordert, lehnen Gewerkschaften ab. Stattdessen fordern sie bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne, um den Beruf attraktiver zu machen.
Gewerkschaftliche Mitbestimmung dürfte aber im Kriegsfall schwerer werden: Die Rede ist von Krankenhauseinsatzleitungen, die ab dem Zeitpunkt der Alarmierung durch das Bundesinnenministerium und die Senatsverwaltung für Gesundheit einberufen werden sollen, angelehnt an Katastrophenschutzpläne. Diese gibt es laut Andreas Umgelter zwar »mit gutem Recht« – im Rahmenplan werde aber nur vage dahingestellt, welche Institutionen »im Kriegsfall noch hineinregieren sollen«. Sprich, welche Rolle das Militär spielt und wer das letzte Wort hat: Ziviles Personal oder der Sanitätsdienst der Bundeswehr, die verletzte Soldaten schnell wieder einsatzfähig sehen will?
Benötigt werden vor allem Krankenhausbetten mit hoher Versorgungsstufe. Deshalb sollten »bereits aufgenommene Patientinnen und Patienten nach Möglichkeit entlassen beziehungsweise in eine Klinik oder Station mit niederer Versorgungsstufe verlegt werden«, heißt es im Rahmenplan. Kriterien für Triage-Entscheidungen über Leben und Tod seien »nicht ohne Weiteres vorab zu klären«. Als »offene und sehr komplexe Fragestellung« wird die Priorisierung von militärischem Personal gegenüber Zivilpersonen bezeichnet.
Andreas Umgelter verweist dagegen auf die Genfer Konventionen zum Schutz von Zivilpersonen und Regularien des Weltärztebundes: »Eine Benachteiligung ziviler Personen kommt damit nicht infrage.« Manche Krankenhausgeschäftsführer würden sich von dem Rahmenplan vielleicht erhoffen, dass für die Kliniken Mittel aus dem Sondervermögen des Bundes zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit abfallen, so der Arzt. »Aber das rechtfertigt aus meiner Sicht nicht die Umwidmung von ziviler Infrastruktur, die der öffentlichen Daseinsvorsorge dient.«
Sehr kritisch sieht auch Stella Merendino, gelernte Krankenpflegerin und Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion, den Rahmenplan: »Er treibt eine Militarisierung des Gesundheitswesens voran, ohne dass die Beschäftigten oder die Öffentlichkeit ernsthaft in die Diskussion einbezogen werden«, so die Fraktionssprecherin für Krankenhaus- und Notfallversorgung zu »nd«.
Besonders problematisch sei, dass die Bundeswehr in Entscheidungs- und Leitungsstrukturen eingebunden werden soll, sagt Merendino. »Wer im Ernstfall in einer Krankenhauseinsatzleitung das letzte Wort hat, die zivile Klinikleitung oder militärische Vertreter, bleibt bewusst offen.« Das bedeute, dass Ärzt*innen und Pflegekräfte »in hoch belastenden Situationen ohne klare rechtliche und ethische Leitplanken entscheiden müssten, unter Umständen im Spannungsfeld militärischer Interessen«.
Immerhin ist laut Rahmenplan das Berliner Bestattungswesen »entsprechend organisiert«: Auch bei einem »Massenanfall von Verstorbenen« seien daher keine anonymen Massengräber zu erwarten.