nd-aktuell.de / 07.10.2025 / Kultur

Ende der Beeumelung: Franz Josef Wagner ist gestorben

Zum Tod des Montag-bis-Freitag-Kolumnisten von »Bild«

Christof Meueler
Lyrische Crazyness, handwerklich akkurat serviert: Franz Josef Wagner, 2011 im RBB
Lyrische Crazyness, handwerklich akkurat serviert: Franz Josef Wagner, 2011 im RBB

Kürzlich starb der Hamburger Untergrund-Impressario Alfred Hilsberg[1] im Alter von 77 Jahren. Ich hatte ihn Mitte der 80er Jahre für eine Schülerzeitung interviewt – und fiel fast vom Stuhl, als er mir eröffnete, dass er Bier und Haschisch ablehne, weil das die Leute blöd machen würde. Stattdessen empfahl er die regelmäßige Lektüre von »Bild« als bewusstseinserweiternde Droge. Es war diese betont originalistische Haltung, mit der meine Kollegen und ich uns Anfang der Nullerjahre in einer linken Kulturredaktion regelmäßig über die »Harald Schmidt Show«[2] auf Sat1 und über »Post von Wagner« in »Bild« beeumelten.

Wir wollten alles ironisch sehen. Allerspätestens seit der ersten Trump-Administration geht das nicht mehr, denn diese abstrusen Jokes sind ernst gemeint und bedrohlich. Doch damals lachten wir über die lyrische Crazyness, die der Katholik und Kommunistenfeind Wagner ziemlich akkurat servierte, rein handwerklich gesehen, mit einer teilweise bestechenden Mischung aus Kitsch, Wahn und Genialität.

Von Montag bis Freitag verfasste er ab 2001 kleine Texte in Briefform in 40 Zeilen, die sich an Politiker (»Lieber Bundeskanzler«), Sportler (»Liebe Nationalmannschaft«), Schauspieler, aber auch an Jahreszeiten und Körperteile (»Liebes kleines, winziges Herz«) richten konnten, stets unterschrieben mit »Herzlichst, Ihr Franz Josef Wagner«. Die letzte Kolumne veröffentlichte er am 7. September: »Lieber heiliger Teenager«, adressiert an den 2006 verstorbenen Carlo Acutis, den der neue Papst am 6. September heiliggesprochen hatte. Wagner sah die Sache so: »Ich bin Katholik, für mich verbringt nur Gott Wunder«. Am Dienstag titelte seine Zeitung online: »Der Bild-Poet schreibt jetzt im Himmel«, denn am 7. Oktober ist Wagner im Alter von 82 Jahren gestorben.

Geboren 1943 im heutigen Tschechien, wuchs der Sohn eines Lehrerehepaars in Regensburg auf, sang im Domspatzen-Chor, fiel beim Abitur durch und wurde Reporter. 1966 fing er beim Axel-Springer-Verlag an, er arbeitete die ganze Palette durch, bis hoch in die Chefredaktionen, für die er aber oft zu krass war, sodass er sich mit allen möglichen Leuten überwarf, obwohl er auch Ghostwriter für Franz Beckenbauer, Udo Jürgens und Boris Becker gewesen war, wie er sagte. Deshalb war sein Kolumnisten-Job ein Modus Vivendi, mit dem im Springer-Konzern allen gedient war: »Da wird geweint und gelacht, mal voller Zorn, mal voller Mitgefühl« lobte ihn »Bild« online 2010. Das stimmte sogar teilweise, aber trotzdem blieb Wagner rechts und reaktionär. Im Kanon der Kulturindustrie gehört er in eine Reihe mit James Last und Fips Asmussen[3].

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193434.nachruf-alfred-hilsberg-eine-etwas-andere-musik.html?sstr=hilsberg
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1186985.eurovision-song-contest-stefan-raab-ist-ein-selbstdarsteller-auf-kosten-der-schwachen.html?sstr=harald|schmidt
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1140375.der-jetzt-gehtrs-rund-humor.html?sstr=fips|asmussen