Der Kopf unnatürlich weit nach hinten gebogen, der Körper liegend, zu Boden geworfen, der Mund weit aufgerissen. Das ist »Der Schrei«, eine Kaltnadelradierung von Lea Grundig aus dem Jahr 1937, Blatt sieben einer Folge »Der Jude ist schuld«. Diese und andere Kaltnadelradierungen von ihr und ihrem Mann Hans aus den 30er Jahren zeigt die BSW-Fraktion seit Dienstag auf ihrem Flur im Potsdamer Landtag, dazu noch Lithografien und Handzeichnungen aus den 60er Jahren.
Die Grundigs hatten 1928 geheiratet. Der KPD beigetreten waren sie bereits 1926. Als Kommunisten wurden sie von den Nazis verfolgt, Lea Grundig zusätzlich wegen ihrer jüdischen Herkunft. Hans saß ab 1940 im KZ Sachsenhausen, Lea flüchtete nach Palästina und erst 1949 sahen sie sich wieder. Hans starb 1958, Lea 1977. Beide seien in Dresden in einem Ehrenhain für Widerstandskämpfer beigesetzt, berichtet die Kunstsammlerin Maria Heiner. Sie war mit Lea Grundig befreundet und hat die Werke leihweise zur Verfügung gestellt, die jetzt im Landtag zu bewundern sind.
Maria Heiner ist am Dienstagnachmittag zur Eröffnung der Ausstellung »Krieg und Frieden« gekommen, die auch zwei Werke der Grundigs zum drohenden Atomtod[1] präsentiert. Beim Ansehen von »Der Schrei« würde Maria Heiner sich wünschen, dass diese Radierung die Menschen dazu bewegt, endlich aufzuhören mit dem Töten und Zerstören.
»Für uns Brandenburger ist der Einsatz für Frieden keine ferne Theorie.«
Niels-Olaf Lüders BSW-Fraktionschef
Punkt 16 Uhr kommt der Mann, der dieser Ausstellung im Vorfeld eine ungeahnte Aufmersamkeit allein dadurch verschaffte, dass er sein Erscheinen zusagte: der russische Botschafter Sergej Netschajew[2]. Sofort ist der 72 Jahre alte Herr, dessen Haare schlohweiß sind, von Journalisten umringt. Er soll sagen, ob er froh ist, dass ihm hier eine Bühne geboten werde. »Ich bin nicht Teil des Programms«, antwortet Netschajew verschmitzt. Es ist nicht vorgesehen, dass er eine Rede hält. Aber ehe er Platz nehmen und einfach Gast sein kann, werden ihm Mikrofone hingehalten. Wann Russland den Krieg gegen die Ukraine beenden werde? »Wir sind grundsätzlich für eine langfristige Vereinbarung eines Friedensabkommens«, beteuert Netschajew. »Wir warten noch auf eine Antwort der Ukraine.«
Dass die BSW-Fraktion den russischen Botschafter einlud, hat die oppositionelle CDU scharf kritisiert. Der Koalitionspartner SPD gestand verschnupft, er wäre auf so eine Idee niemals gekommen. Bevor am Montag über Netschajews Kommen in den Zeitungen zu lesen und im Radio zu hören war, hatten sich 70 Personen für die Eröffnung der Ausstellung angemeldet, danach mehr als 120. Plötzlich wollten auch viel mehr Journalisten einen Platz.
BSW-Fraktionschef Niels-Olaf Lüders[3] sagt: »Für uns Brandenburger ist der Einsatz für Frieden keine ferne Theorie.« Es seien die Botschafter von mehr als 40 Staaten eingeladen worden, auch die der USA und der Ukraine. Aufgetaucht ist neben Netschajew allerdings nur ein belarussischer Diplomat. Für Netschajew wird eifrig geklatscht, für den belarussischen Kollegen ein wenig. Stürmischen Applaus erhält die Schriftstellerin Daniela Dahn, als sie die Darstellung, Russland wolle den Westen im Jahr 2029 angreifen, mit dem Satz kommentiert: »Das empfinde ich als Täuschung.« Schließlich entfielen 55 Prozent des weltweiten Aufrüstens auf die Nato-Staaten und nur sechs Prozent auf Russland, sagt Dahn. Angesichts dessen sei es »eine Beleidigung der Vernunft«, zu behaupten, Russland plane eine Attacke auf die Nato. Die Schriftstellerin nennt das »geistige Mobilmachung«.
Schließlich stimmt die Band »Takayo« eine alternative Nationalhymne[4] mit dem Text von Bertolt Brecht an. Das dazu ermunterte Publikum steht auf und singt mit: »Nicht über und nicht unter andern Völkern woll’n wir sein«. AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt verharrt währenddessen schweigend auf seinem Stuhl in der letzten Reihe. Brechts Kinderhymne gefällt ihm eigentlich. Er hat sie im Parlament schon zitiert. Aber als Nationalhymne sei sie doch »unpassend«.
Die Ausstellung ist bis zum 31. Januar montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr im Landtag Brandenburg, Alter Markt 1, 14467 Potsdam, zu sehen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194559.bsw-brandenburg-krieg-und-frieden-im-landtag.html