Mit der Gründung des Nationalen Sicherheitsrats (NSR) vollzieht die Bundesregierung eine der größten institutionellen Reformen der deutschen Sicherheitsarchitektur seit Jahrzehnten. Erstmals bündelt ein Gremium unter Leitung des Bundeskanzleramts sämtliche Fragen der äußeren, inneren und wirtschaftlichen Sicherheit und soll ressortübergreifende strategische Kohärenz schaffen und Doppelstrukturen beseitigen. Nun soll er erstmals aktiv werden, um Strategien im Umgang mit den Drohnenvorfällen, wie zuletzt am Münchner Flughafen, zu entwickeln.
Die Idee ist nicht neu. Bereits 1998, unter der rot-grünen Regierung Schröder[1], gab es Pläne, den geheim tagenden Bundessicherheitsrat zu einem echten nationalen Koordinationsgremium auszubauen. Das Projekt scheiterte ebenso wie spätere Versuche unter Angela Merkel[2] (2016) und Olaf Scholz[3] (2023) – stets am gleichen Hindernis: dem Widerstand des Auswärtigen Amts, das keinen Machtverlust gegenüber dem Kanzleramt hinnehmen wollte. Erst jetzt, da beide Ressorts wieder von derselben Partei geführt werden[4] und jener klassische Machtkonflikt ausblieb, gelang die Umsetzung.
Der neue Rat ist als ständiger Kabinettsausschuss eingerichtet und wird vom Bundeskanzler geleitet. Ihm gehören neben dem Kanzler neun Minister*innen an: Finanzen, Auswärtiges, Inneres, Verteidigung, Justiz, Wirtschaft, Digitales, Entwicklung und der Chef des Kanzleramts. Je nach Lage können weitere Akteur*innen hinzukommen – etwa der Generalinspekteur der Bundeswehr, die Chefs der drei Nachrichtendienste (BND[5], MAD, Verfassungsschutz[6]), Vertreter*innen von Bundeskriminalamt und Bundespolizei, das Bundespresseamt sowie bei Bedarf Expert*innen aus Think Tanks, oder Vertreter*innen internationaler Organisationen wie EU, Nato, verbündeter Staaten sowie der Bundesländer.
Bislang galt der 1955 gegründete Bundessicherheitsrat als wichtigstes Gremium für Sicherheitsfragen – dieser wird zum Jahresbeginn 2026 aufgelöst. Er entschied über Rüstungsexporte und wird direkt vom Kanzleramt geführt. Seine Kompetenzen blieben jedoch eng begrenzt: Außen-, Verteidigungs- und Wirtschaftspolitik liefen weitgehend nebeneinander her. Der neue Nationale Sicherheitsrat soll diese Lücken schließen, ressortübergreifend innen- und außenpolitisch denken und handeln und Sicherheit nicht nur militärisch, sondern auch ökonomisch, technologisch und gesellschaftlich begreifen.
Im Unterschied zum alten Bundessicherheitsrat soll der NSR auf Einladung des Vorsitzes regelmäßig arbeiten. Er ist im Bundeskanzleramt angesiedelt und wird vom Leiter der Stabsstelle Nationaler Sicherheitsrat, Jacob Schrot (CDU), in Abstimmung mit dem Chef des Kanzleramtes koordiniert. Die neu geschaffene Stabsstelle umfasst 13 Stellen, ist dem Kanzlerbüro angegliedert und in drei Referate unterteilt: Geschäftsstelle, Strategische Vorausschau und Integriertes Lagebild. Zusätzlich soll ein Vorbereitungsausschuss auf Staatssekretärsebene geschaffen werden.
Der Nationale Sicherheitsrat soll keine bindenden Entscheidungen treffen, sondern Empfehlungen erarbeiten, Szenarien bewerten und Krisenmanagement koordinieren. In komplexen Lagen – etwa bei hybriden Bedrohungen, Cyberangriffen oder Fragen der Energiesicherheit – bündelt er Informationen und bereitet politische Handlungsoptionen vor. Operativ zuständig bleiben weiterhin Kabinett und Ressorts.
Doch faktisch verschiebt der NSR die Gewichte innerhalb der Regierung. Seine Ansiedlung im Kanzleramt stärkt die Rolle des Kanzlers in Sicherheitsfragen. Befürworter*innen sehen darin eine notwendige Modernisierung. Da Außen-, Innen-, Wirtschafts- und Technologiesicherheit immer stärker vernetzt seien, brauche es eine Stelle, die die Fäden zusammenführt. Kritiker*innen warnen vor einer Schwächung der Fachressorts und der parlamentarischen Kontrolle. Der Bundestag erhält keine Einsicht in die Beratungen, was Transparenzfragen aufwirft.
Offiziell soll der Nationale Sicherheitsrat Doppelstrukturen beseitigen und folgt internationalen Vorbildern wie den USA, Großbritannien oder Frankreich, die seit Jahrzehnten über vergleichbare Koordinationsstellen verfügen. In Zeiten permanenter Krisen – vom Ukraine-Krieg zu Cyber- und Desinformationsbedrohungen soll er schnelleres Regierungshandeln ermöglichen und Deutschlands sicherheitspolitische Eigenständigkeit stärken.
Ob der neue Sicherheitsrat tatsächlich zu mehr Effizienz und Handlungsfähigkeit führt oder vor allem die Macht des Kanzleramts stärkt, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch: Mit seiner Gründung verschiebt sich das institutionelle Koordinatensystem der Republik – weg von der ministeriellen Pluralität, hin zu einer sicherheitspolitischen Zentralisierung, wie sie die Bundesrepublik in dieser Form bisher nicht kannte.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194570.sicherheit-der-neue-nationale-sicherheitsrat.html