nd-aktuell.de / 09.10.2025 / Politik

Hochbetrieb am Dresdner Hammerweg

Am Oberlandesgericht der sächsischen Stadt beginnen im November zwei spektakuläre Staatsschutzprozesse

Hendrik Lasch
Im Gerichtssaal am Hammerweg, in dem gegen die Gruppe um Lina E. (Mitte, verdeckt) verhandelt wurde, finden jetzt zwei weitere spektakuläre Prozesse statt
Im Gerichtssaal am Hammerweg, in dem gegen die Gruppe um Lina E. (Mitte, verdeckt) verhandelt wurde, finden jetzt zwei weitere spektakuläre Prozesse statt

Das Verfahren gegen die »Gruppe Lina E.« schrieb in Sachsen Justizgeschichte. An insgesamt 97 Prozesstagen[1] verhandelte der vom Vorsitzenden Richter Hans Schlüter-Staats geführte 4. Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden gegen vier militanten Antifaschisten, denen vorgeworfen wurde, brutale Überfälle auf Rechtsextremisten verübt zu haben. Das Urteil, bei dem langjährige Haftstrafen verhängt wurden, fiel exakt 939 Tage nach dem Auftakt des Prozesses, der unter extremen Sicherheitsvorkehrungen am Dresdner Hammerweg stattfand, direkt neben einer Justizvollzugsanstalt (JVA). Der Gerichtssaal war ursprünglich als Kantine einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge errichtet und dann zu einem Hochsicherheitssaal umgebaut worden, in dem beispielsweise Prozessbeteiligte und Zuschauer durch Panzerglas getrennt sind.

Ab 4. November läuft an gleicher Stelle quasi die Fortsetzung des Verfahrens. An dem Tag beginnt um 9.30 Uhr die Hauptverhandlung gegen Johann G., den Verlobten von Lina E., sowie sechs weitere Mitangeklagte. Auch ihnen wird von der Generalbundesanwaltschaft die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen, die von Leipzig aus operiert haben und Überfälle auf Rechtsextreme verübt haben soll. Der Hauptangeklagte, der im früheren Prozess regelmäßig als der »gesondert verfolgte G.«[2] apostrophiert wurde, galt neben Lina E. als Kopf der Gruppe, entzog sich aber den Ermittlern und tauchte unter. Nach ihm wurde bundesweit etwa mit Plakaten an Bahnhöfen gefahndet[3]. Erst am 8. November 2024 wurde er in einem Regionalzug gefasst.

Fast genau ein Jahr später beginnt nun der Prozess, der ebenfalls vor dem von Schlüter-Staats geleiteten 4. Staatsschutzsenat stattfindet. Es dürfte erneut ein Mammutverfahren werden. Zunächst hat das Gericht bis Juni nächsten Jahres 69 Verhandlungstermine festgelegt. In der Mitteilung wird aber bereits darauf hingewiesen, dass »weitere Termine ... bis zum 30. 7. 2027 bestimmt« seien. Das Verfahren findet erneut unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt; angekündigt sind etwa »umfangreiche« Kontrollen am Einlass. Schon bei der Verhandlung gegen Lina E. hatten sich Beobachter an »eine Art Terrorverfahren« erinnert gefühlt.

Eine Art Terrorverfahren findet am gleichen Ort parallel zu dem Prozess gegen Johann G. statt. Zwei Tage nach dem Auftakt der Hauptverhandlung gegen die militanten Antifaschisten wird am 6. November am Hammerweg das Verfahren gegen Susann E. eröffnet – womit ein symbolträchtiges Datum knapp verfehlt wird. Am 4. November 2011 wurden in Eisenach in einem Wohnmobil zwei Männer erschossen aufgefunden. Es handelte sich um Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die gemeinsam mit Beate Zschäpe das Kerntrio des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU)[4] bildeten, der als terroristische Vereinigung eingestuft ist.

Bei Susann E., die kurz nach dem 14. Jahrestag der »Selbstenttarnung« des NSU vor Gericht stehen wird, soll es sich um eine Unterstützerin der rechten Terrorzelle handeln. Nach Überzeugung der Generalbundesanwaltschaft, die auch in diesem Verfahren als Anklagebehörde fungiert, soll sie mehrfach ihre Krankenkassenkarte an Zschäpe abgetreten und ihr auch bei anderen Gelegenheiten ihre Personalien zur Verfügung gestellt haben. Zschäpe wurde Juli 2018 vom OLG München wegen zehnfachen Mordes und weiterer Delikte zu lebenslanger Haft verurteilt und sitzt in der JVA Chemnitz. E. soll zudem sie und Mundlos zum Abholtermin für das Wohnmobil gefahren haben, das beim letzten Banküberfall des NSU in Eisenach verwendet wurde.

Auch für die Verhandlung gegen die mutmaßliche NSU-Unterstützerin, die in dem Saal am Hammerweg ebenfalls unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen stattfindet, stehen Termine bis zum Sommer 2026 fest. Konkret hat der mit diesem Fall befasste 5. Staatsschutzsenat mit der Vorsitzenden Richterin Simone Herberger 42 Termine angesetzt. In Summe wird in beiden Verfahren an 111 Tagen verhandelt. Allein im Januar sind es zusammen 15 Verhandlungstage. Teilweise doppeln sich die Termine sogar, obwohl es am Hammerweg nur einen Gerichtssaal gibt. Das OLG erklärte auf Nachfrage des »nd« freilich, es handle sich nicht um ein Versehen. Vielmehr sei vorgesehen, »einzelne Hauptverhandlungstermine im Verfahren gegen Susann E. – wenn eine Verhandlung im Prozessgebäude nicht möglich sein sollte – in einem anderen Verhandlungssaal durchzuführen.« In jedem Fall wird in den nächsten Monaten Hochbetrieb am Hammerweg herrschen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189890.antifaschismus-das-urteil-nach-fast-verhandlungstagen-hat-bestand.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1186674.antifaschismus-gruppe-lina-e-der-gesondert-verfolgte-ist-gefasst.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1176571.johann-g-und-lina-e-nazis-helfen-staat-bei-fahndung.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193229.rechtsextremismus-chemnitz-und-nsu-in-der-taeterstadt-wird-der-opfer-gedacht.html