nd-aktuell.de / 09.10.2025 / Politik

Milei entgeht seiner Entmachtung

Reform der Dekrete schränkt die Möglichkeiten des Präsidenten allerdings ein. Unterstützung der USA entscheidend

Jürgen Vogt
Präsident in Fahne: Javier Milei präsentierte Anfang der Woche in der Movistar Arena in Buenos Aires sein neues Buch.
Präsident in Fahne: Javier Milei präsentierte Anfang der Woche in der Movistar Arena in Buenos Aires sein neues Buch.

Argentiniens libertärer Präsident Javier Milei ist noch einmal glimpflich davongekommen. Am Mittwoch stimmte zwar die Abgeordnetenkammer mit großer Mehrheit für eine Reform der Präsidialdekrete, mit deren Hilfe Milei bislang durchregieren kann. Sie konnte sich jedoch in der Einzelabstimmung nicht auf alle Punkte der Reform einigen. Der Gesetzentwurf geht nun zurück an den Senat, dessen erneute Zustimmung aber als sicher gilt. Damit behält Milei einen großen Teil seiner präsidialen Macht. Fraglich ist, ob das die internationalen Geldgeber des Landes beruhigt – an ihrem Urteil hängt das Schicksal Argentiniens.

Eine komplette Zustimmung der Abgeordneten zu der Reform hätte die Befugnisse des Präsidenten erheblich eingeschränkt. Künftig hätten alle Präsidialdekrete innerhalb von 90 Tagen vom Kongress genehmigt werden müssen.

Seit 2006 haben argentinische Präsidenten per Gesetz die Befugnis, Notverordnungen ohne vorherige Zustimmung des Kongresses zu erlassen. Bislang wurden diese Notwendigkeits- und Dringlichkeitsdekrete nur selten im Kongress zur Abstimmung gestellt. Außerdem war für eine Ablehnung eine negative Abstimmung beider Kammern erforderlich. Mit der Reform würde künftig eine Ablehnung durch eine Kammer ausreichen. Auch mit einem Veto würde der Präsident wohl nur Zeit gewinnen. Denn in den vergangenen Wochen hatte der Kongress drei präsidiale Vetos gegen Sozialgesetze mit großer Mehrheit außer Kraft gesetzt – ein bislang einmaliger Vorgang seit Argentiniens Rückkehr zur Demokratie 1983.

Mileis schwindende Durchsetzungskraft hatte denn auch am Finanzmarkt für Nervosität gesorgt, gilt der Präsident den Anlegern doch als Garant eines harten Sparkurses. Die Furcht vor dem Wiedererstarken der peronistischen Opposition hatte in den letzten Wochen den Kurs der Landeswährung Peso gegenüber dem US-Dollar abstürzen lassen, was die Inflation in die Höhe treibt. Um den Peso zu stärken, musste die Zentralbank mehrere Milliarden Dollar verkaufen, um die Peso-Abwertung zumindest etwas zu bremsen.

Milliarden für Trumps Verbündeten

Dennoch geht das Gespenst von der Zahlungsunfähigkeit um: Die schwindenden Dollarreserven würden nicht ausreichen, um den anstehenden Schuldendienst zu bedienen, so der Tenor. Wirtschaftsminister Luis Caputo ist daher eilig nach Washington geflogen und versucht seit Tagen, mit dem Internationalen Währungsfonds und dem US-Finanzministerium ein Hilfspaket zu schnüren. Es geht um einen 20-Milliarden-Brückenkredit bis zu den Kongresswahlen am 26. Oktober. US-Finanzminister Scott Bessent hatte bereits zugesagt, »alles zu tun was nötig ist«, um Argentinien zu stützen.

Der Vorgang zeigt, wie kritisch die Lage am Río de la Plata inzwischen ist, aber auch, dass US-Präsident Donald Trump seinen einzigen und bedingungslosen Verbündeten auf dem südamerikanischen Kontinent unter keinen Umständen verlieren will. Wie viele Dollar fließen werden, wann und unter welchen Bedingungen, wird sich erst nächste Woche zeigen, wenn Javier Milei selbst zu einem Blitzbesuch bei Trump nach Washington fliegt.

Zu den finanziellen Turbulenzen kommen eine Reihe Skandale im Regierungslager. Diese reichen von Vorwürfen der Bereicherung durch Mileis Unterstützung einer Kryptowährung über Korruptionsvorwürfe gegen seine Schwester Karina Milei [1]bis hin zu den Geschäftsbeziehungen von Mileis Spitzenkandidaten José Luis Espert bei den Kongresswahlen mit dem mutmaßlichen Drogenhändler Alfredo Machado. Nachdem Espert zugeben musste, dass er 200 000 Dollar von Machado erhalten hatte, strich Milei seinen Spitzenkandidaten von der Kandidatenliste. Machado befindet sich derzeit in Auslieferungshaft und wartet auf seine Überstellung in die Vereinigten Staaten, wo ihm die US-Justiz Drogenhandel und Geldwäsche vorwirft.

»Noch vor drei Monaten war ein Sieg von Mileis Regierungspartei bei den Kongresswahlen mehr als wahrscheinlich«, sagte der Politikwissenschaftler Lucas Romero dem »nd«. »Jetzt besteht die reale Möglichkeit einer Niederlage«, so der Analyst des Meinungsforschungsinstituts Synopsis in Buenos Aires. Insbesondere der jüngste Skandal um Espert wirkt sich negativ auf den Präsidenten aus. Denn Milei hatte seine politische Autorität und Legitimität darauf aufgebaut, den Praktiken der von kriminellen Organisationen finanzierten Politik ein Ende zu setzen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193807.argentinien-argentinien-praesident-milei-hat-aerger-wegen-der-chefin.html