nd-aktuell.de / 09.10.2025 / Sport

Europas Tischtennis-Elite tritt aus Asiens Schatten

In Kroatien kämpfen Europas beste Spielerinnen und Spieler ausnahmsweise um mehr als die Plätze hinter den asiatischen Superstars

René Hamann
Die 19-jährige Annett Kaufmann soll die deutschen Frauen bei der Team-Europameisterschaft erneut zu einer Medaille führen.
Die 19-jährige Annett Kaufmann soll die deutschen Frauen bei der Team-Europameisterschaft erneut zu einer Medaille führen.

Ab Sonntag ist Europa wieder unter sich. Wenn im kroatischen Zadar an der Adria die diesjährigen Europameisterschaften im Tischtennis[1], wohlgemerkt nur für Teams, stattfinden, sind China, Japan und Südkorea naturgemäß nicht dabei. Das wird vor allem die europäischen Frauen im Wettbewerb erleichtern: Sie sind auf globaler Ebene immer noch deutlich im Hintertreffen im Vergleich zu den Größen aus Asien; ein Umstand, der sich bei den Männern schrittweise, aber inzwischen schon recht deutlich zu ändern scheint.

Also werden in der nächsten Woche die Deutschen, die Französinnen, die Rumäninnen um den Titel wetteifern, Spielerinnen, die bei internationalen Turnieren sonst, sobald asiatische Spielerinnen auf den Plan treten, nicht viel zu lachen haben. So waren beispielsweise beim China Smash Ende September nach der zweiten Runde keine Frauen mehr dabei, die nicht für China (plus Macao, Hongkong, Taiwan), Japan oder Südkorea am Start waren. Am Ende standen sich zwei Chinesinnen im Finale gegenüber. Man könnte also zugespitzt sagen: Bei den Frauen ist Tischtennis ein Spiel für zwei oder vier Spielerinnen, die einen kleinen Plasteball auf einem Tisch über ein Netz schlagen, und am Ende gewinnen die Chinesinnen[2].

Keine kreischenden Teenager-Massen erwartet

Was das Fehlen der Stars aus Asien aber auch bedeutet: Man muss abwarten, wie hoch das Niveau in Zadar sein wird und wie viele Begeisterte den Weg in die Tischtennishalle finden werden. Bei der letzten EM im österreichischen Linz wohlgemerkt die für Doppel- und Einzelwettbewerbe, die im letzten Herbst stattfanden, gab es durchaus ein fachkundiges, euphoriefähiges Publikum. Aber mit kreischenden Teenager-Massen, wie es sie beim China Smash gab, einem der neuen Großturniere im Tischtennis-Jahreskalender, dürfte eher nicht zu rechnen sein.

In China sind die schüchterne Smash-Siegerin Wang Manyu und vor allem Sun Yingsha absolute Stars. Ihre Auftritte werden stets groß bejubelt und bekreischt. Ein Phänomen, das man hierzulande allerhöchstens von Timo Boll kennt und gerade in kleinerem Rahmen mit dem Erscheinen von Fan Zhendong[3] beim Bundesligisten 1. FC Saarbrücken erleben darf. Sabine Winter und Annett Kaufmann, um mal die beiden derzeit besten deutschen Spielerinnen zu nennen, kennen diese Begeisterung nicht. Nicht im Entferntesten.

Tischtennis ist immer noch eine Randsportart[4], dafür aber eine besonders schöne. In Zadar trifft sich also die europäische Spitze, um die jeweils beste Nation zu ermitteln, bei den Frauen wie bei den Männern; den für Los Angeles 2028 geplanten Mixed-Wettbewerb wird es bei der EM noch nicht geben.

DTTB-Frauen wollen ihren Titel verteidigen

Lange Rede, kurzer Aufschlag: Wer sind die Favoriten und wie werden die Deutschen eingeschätzt? Bei den Frauen sind sie tatsächlich die Titelverteidigerinnen. Bei der EM 2023 in Malmö schaffte das Team des Deutschen Tischtennis Bundes (DTTB) einen Durchmarsch von 3:0-Triumphen bis hin zum Titel. Das wird dieses Mal eher nicht passieren. Spitzenspielerin Nina Mittelham vom ttc Berlin eastside zum Beispiel sucht nach längeren Verletzungsproblemen noch nach ihrer alten Form. Doch dank Annett Kaufmann[5] und der weiter aufstrebenden Sabine Winter sollte das Team trotzdem um den Titel mitspielen können. Die harte Konkurrenz wird wieder aus Rumänien kommen, aber auch mit Frankreich oder Italien wird zu rechnen sein.

Bei den Männern sieht das etwas anders aus. Hier scheinen die goldenen Zeiten spätestens seit dem Rücktritt von Timo Boll passé. Dimitrij Ovtcharov, inzwischen 37 Jahre alt und wie Boll ehemaliger Weltranglistenerster, wird in der Weltrangliste allmählich nach unten durchgereicht. Für die EM wurde er nicht mal mehr nominiert. Offiziell wird ihm eine »Wettkampfpause« zugestanden. Benedikt Duda, diesmal der Kapitän, bleibt der Lichtblick. Dagegen haben Patrick Franziska und Dang Qiu mit heftigen Formschwankungen zu kämpfen.

Mit Losglück zur Medaillenchance

Für die Männer dürfte es daher schwierig werden, wie 2023 das Finale zu erreichen. Die Schweden rund um Europe-Smash-Sieger Truls Möregardh und besonders die Franzosen mit den Lebrun-Brüdern[6] werden weit vorne erwartet, auch Dänemark und Belgien rechnen sich Chancen aus. Eine Medaille für den DTTB wäre insofern schon ein Erfolg.

Los geht es am Sonntag mit der Vorrunde, die für beide deutschen Teams kein großes Problem darstellen sollte. Die Frauen treffen auf die Ukraine und Serbien, die Männer auf Serbien und Slowenien. Ab Dienstag geht es im Achtelfinale dann mit K.o.-Spielen weiter. Ein bisschen Losglück wird dabei auch eine Rolle spielen, damit es klappt mit mindestens einer deutschen Medaille.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1184190.sommersport-tischtennis-ist-eine-hoechst-dramatische-angelegenheit.html?sstr=tischtennis
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1184133.olympische-spiele-tischentennis-in-der-arena-sued-wird-olympia-zu-asienspielen.html?sstr=tischtennis
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193623.tischtennis-superstar-in-saarbruecken-olympiasieger-fan-zhendong-schlaegt-auf.html?sstr=tischtennis
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191852.tischtennis-mit-karl-lauterbach-keine-kellen-mehr-im-keller.html?sstr=tischtennis
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191715.tischtennis-ueber-pfingsten-wird-erfurt-zur-tischtennis-hauptstadt.html?sstr=tischtennis
  6. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1184227.olympische-spiele-olympia-tischtennis-wunderkind-felix-lebrun-verliert-in-paris.html?sstr=tischtennis