Datenschutzpannen, Überwachung, digitale Entmündigung – die Big Brother Awards [1]benennen jedes Jahr jene, die in diesen Disziplinen besonders hervorgetreten sind. Am Freitagabend wurden in Bielefeld zum 25. Mal die »Oscars für Überwachung« verliehen. Hinter der Preisverleihung steht der Verein Digitalcourage, der seit einem Vierteljahrhundert auf Missstände in der digitalen Gesellschaft aufmerksam macht.
So zeichnete die Jury auch in diesem Jahr wieder mehrere Akteur*innen aus, die in besonderer Weise zur Aushöhlung von Grundrechten beitragen. In der Kategorie Technik erhielt Google den Preis für sein Zwangs-KI-Feature Gemini, das sich ohne Zustimmung der Nutzer*innen tief in Android-Geräte einnistet. In der Kategorie Arbeitswelt traf es das Verwaltungsgericht Hannover und das Bundesarbeitsgericht, die mit Urteilen zugunsten von Amazon eine neue Form digitaler Kontrolle am Arbeitsplatz salonfähig machten. In der Kategorie Behörden und Verwaltung ging er an Alexander Dobrindt (CSU)[2], der mit seinen Plänen für seine Datenzentralisierung und automatisierte Gesichtserkennung die Grenze zwischen Sicherheit und Überwachung endgültig verwischt.
In der Sparte Social Media wurde Tiktok für algorithmische Manipulation, intransparente Mechanismen und gezielte Suchtförderung ausgezeichnet. In der Metakategorie »Was mich wirklich wütend macht« bekam der Begriff Bürokratieabbau den Preis – als Tarnwort für Deregulierung, Entstaatlichung und den schleichenden Abbau demokratischer Kontrolle. Und schließlich vergab eine Jugendjury den Jugendpreis an die iPad-Pflicht an manchen Schulen und den sozialen Druck, Whatsapp zu nutzen. Doch drei der Preisträger stehen besonders beispielhaft für den Zustand der digitalen Welt im Jahr 2025: Google, die deutsche Justiz und der Bundesinnenminister Alexander Dobrindt.
In der Kategorie Technik erhält Google den Award für die Entgrenzung digitaler Kontrolle. Das neue KI-System[3] Gemini«, das den bisherigen Google Assistant ersetzt, wurde Anfang des Jahres per Zwangsupdate auf Millionen Android-Smartphones installiert. Nutzer*innen, die ablehnen wollten, mussten sich durch Menüketten klicken, nur um am Ende zu erfahren, dass sich die KI nicht vollständig deaktivieren lässt.
Gemini kann Chats lesen, Mails zusammenfassen und Suchanfragen personalisieren – alles mit dem Versprechen größerer Effizienz. Doch die Kehrseite ist, dass jedes getippte Wort auf Googles Servern landet und zur Verbesserung der eigenen KI genutzt wird. Damit wird das Smartphone zur permanenten Wanze – »freiwillig« aktiviert und kaum noch zu kontrollieren. Der Laudator Frank Rosengart vom Chaos Computer Club warnt: Nichts auf dem eigenen Smartphone bleibt privat, solange Gemini aktiv ist.
Ein Novum in der Geschichte der Big Brother Awards sind die Preisträger der Kategorie Arbeitswelt – Gerichte. Die Laudatorin und Datenschutzberaterin Katharina Just verlieh den Preis an das Verwaltungsgericht Hannover und das Bundesarbeitsgericht. Sie wurden ausgezeichnet – nicht, weil sie selbst Daten sammeln, sondern weil sie jene schützen, die es tun.
Im Zentrum steht Amazon[4], wo Beschäftigte in Logistikzentren lückenlos überwacht werden: Scanner registrieren jede Bewegung, Kameras jeden Schritt, Algorithmen bewerten die Produktivität. Die niedersächsische Datenschutzbehörde hatte diese Praxis gerügt, doch das Verwaltungsgericht kassierte die Entscheidung – zugunsten Amazons. Noch weiter ging das Bundesarbeitsgericht, das einem Betriebsrat untersagte, gegen die Einführung einer neuen Personalsoftware zu klagen, die Daten in die USA überträgt. Mitbestimmung? Fehlanzeige.
Was hier geschieht, zeigt, wie tief die Logik der Überwachung zur Effizienzsteigerung in den Rechtsstaat eingesickert ist. Wo früher Grundrechte galten, herrscht heute das Unternehmensinteresse. Diese Urteile schwächen die Rechte von Beschäftigten massiv und tragen zur Stärkung der Überwachung in der Arbeitswelt bei.
In der Kategorie Behörden und Verwaltung wurde Alexander Dobrindt für sein sogenanntes Sicherheitspaket von der Laudatorin und Rechtsanwältin Elisabeth Niekrenz ausgezeichnet. Dieses sieht unter anderem die Nutzung von Gesichtersuchmaschinen und die Einführung der Palantir-Software[5] »Gotham« (BundesVeRA) durch das BKA vor.
Beide Technologien ermöglichen umfassende Überwachung: Gesichtersuchmaschinen identifizieren Personen anhand biometrischer Merkmale selbst auf alten oder öffentlichen Fotos, während die Palantir-Software Daten aus Polizeiermittlungen, Verbunddateien und Terrorismusdatenbanken analysiert, um Straftaten auf Grundlage statistischer Wahrscheinlichkeiten zu erkennen.
Kritisch ist, dass Dobrindt damit die Nutzung von Systemen legitimiert, die teils illegal sind und gegen Datenschutzbestimmungen verstoßen. Außerdem sind die Prognoseverfahren anfällig für Diskriminierung, da besonders sozial schwache Gruppen häufiger falsch als potenzielle Täter*innen erfasst werden. Die Maßnahmen sind Teil einer umfassenden Strategie, die Kontrolle und Überwachung als Mittel zur Sicherheit propagiert und zusätzlich das Bundeskriminalamt dabei in Abhängigkeit von privaten Softwareunternehmen bringt.
In diesem Fall in die Abhängigkeit eines Softwareunternehmens, das dem Milliardär Peter Thiel gehört – einem erklärten Antidemokraten und Trump-Anhänger, der einmal sagte, dass »Demokratie und Freiheit nicht vereinbar sind«. Die Big Brother Awards zeigen damit nicht nur, wer uns beobachtet, sondern auch, wie selbstverständlich Kontrolle zur Normalität geworden ist.