nd-aktuell.de / 10.10.2025 / Berlin

Zwiespältige Gefühle in der KZ-Gedenkstätte

28 Handwerkslehrlinge aus Bremen reparieren Fenster in Sachsenhausen

Andreas Fritsche
Lehrlinge aus Bremen reparieren Fenster der einstigen Revierbaracke des KZ Sachsenhausen.
Lehrlinge aus Bremen reparieren Fenster der einstigen Revierbaracke des KZ Sachsenhausen.

Als 1942 sich die Blitzkriegsstrategie der Nazis als gescheitert erwies, erwachte das Interesse der SS-Spitze, die Arbeitskraft leicht erkrankter KZ-Häftlinge wiederherzustellen, um diese Menschen weiter in der Rüstungsindustrie ausbeuten zu können. Doch die entsprechende Direktive wirkte sich kaum aus auf die menschenverachtende Handlungsweise der SS-Ärzte. Sie verübten weiter medizinische Verbrechen, erprobten beispielsweise in Menschenversuchen die Wirkung von Aufputschmitteln, die es den Matrosen von Zwei-Mann-U-Booten ermöglichen sollten, vier Tage ohne Schlaf zu operieren. Am 11. September 1944 schoss die SS fünf Häftlingen des KZ Sachsenhausen in die Beine, um Giftmunition zu testen, die angeblich für einen geplanten Anschlag auf Stalin bestimmt war. Es starben alle fünf – wahrscheinlich waren es sowjetische Kriegsgefangene. Mehr weiß man nicht über die Opfer.

Über dergleichen informiert mit 1000 Exponaten die Dauerausstellung »Medizin und Verbrechen«[1]. Seit 2004 ist sie in der ehemaligen Krankenrevierbaracke des Konzentrationslagers Sachsenhausen zu sehen. Die Fenster dieser Baracke wurden in dieser Woche von Auszubildenden aufgearbeitet. 28 Handwerkslehrlinge des Schulzentrums Alwin-Lonke-Straße in Bremen sind für diese und andere Arbeiten eine Woche lang nach Oranienburg gekommen. Es ist die mittlerweile 28. Auflage der speziellen Projektwoche »Lernen und Arbeiten im ehemaligen KZ Sachsenhausen«[2]. Zum Konzept gehört, dass die Lehrlinge nicht nur Hand anlegen, sondern auch einen Rundgang durch die Gedenkstätte machen und sich einzelne Ausstellungen anschauen.

Dieses Jahr war die angehende Tischlerin Leonie Feltes dabei. »Bei der Arbeit geht mir häufiger durch den Kopf, dass sich einerseits so viele Menschen für diesen Ort interessieren und engagieren«, erzählt die 25-Jährige. »Aber andererseits spiegeln die stetig steigenden Prozentzahlen für rechte Parteien dies nicht wider.«

In Bremen legte die AfD bei der Bundestagswahl im Februar 8,2 Prozentpunkte zu und heimste 15,1 Prozent der Stimmen ein. Bei der Oranienburger Bürgermeisterwahl[3] am 28. September erhielt die Kandidatin Anja Waschkau (AfD) 28,1 Prozent und geht nun mit neun Prozentpunkten Vorsprung in die Stichwahl gegen Jennifer Collin-Feeder (SPD). Bisher konnten bei solchen Stichwahlen in Brandenburg die Bewerber der AfD noch immer abgefangen werden. Doch in Oranienburg gibt es nun erstzunehmende Befürchtungen, dass es am 19. Oktober ausgerechnet in der Stadt des KZ Sachsenhausen anders laufen könnte.

Wie sich die Stimmung gefährlich dreht, zeigt sich auch am nachlassenden Interesse der Medien an Terminen der Gedenkstätte Sachsenhausen. Zur Projektwoche der Handwerkslehrlinge hat sie nach den Erfahrungen der letzten Jahre Journalisten schon gar nicht mehr eingeladen, sondern nur noch eine Pressemitteilung verschickt. Dabei handelt es sich um ein sehr verdienstvolles Engagement, das mehr Beachtung verdient hätte. Diesmal reparierten die jungen Leute unter anderem ein Geländer eines Wachturms und bauten ein Tor und eine Tür für Gebäude im alten Industriehof.

»Es macht viel Spaß, hier zu arbeiten, weil man auch ältere Arbeitstechniken wie das Verkitten lernt[4]«, erklärte der Maler- und Lackiererlehrling Julian Nicklisch. Auf dem Bau wird heute in der Regel mit modernen Kunststoffenstern gearbeitet. Kitt wie bei den alten Holzfenstern des Krankenreviers ist dabei nicht mehr gefragt. Die Fertigkeit zu erlernen, kann allerdings nicht schaden. Bei der Sanierung denkmalgeschützer Häuser kann es von Nutzen sein. Das wissen die Lehrlinge zu schätzen. »Aber irgendwie fühlt es sich nicht gut an, weil hier so viele Menschen gelitten haben«, sagte der 18-jährige Julian Nicklisch über seinen Einsatz. Andererseits fühle es sich gut an, die Gedenkstätte zu sanieren, damit sie für kommende Generationen erhalten bleibe.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/116339.ss-erprobte-giftmunition-an-haeftlingen.html?
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1185603.gedenken-an-naziopfer-sachsenhausen-stein-auf-stein-fuer-die-erinnerung.html?
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194288.buergermeisterwahl-eine-rose-fuer-oranienburg.html?
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1126382.kz-gedenkstaette-eine-lehre-in-sachsenhausen.html?