Bei der im Februar 2023 wiederholten Berliner Abgeordnetenhauswahl war die AfD um 5,1 Prozentpunkte auf 9,1 Prozent abgerutscht. Das reichte damals noch für 17 Abgeordnete. Doch in den Meinungsumfragen zeigte sich zuletzt ein Trend nach oben. Mit 16 Prozent könnte die Berliner AfD inzwischen wieder rechnen – und darum nominiert sie am Wochenende vorsorglich 35 Kandidaten für die nächste Abgeordnetenhauswahl im September 2026.
Zur Spitzenkandidatin wird dabei die Landes- und Fraktionsvorsitzende Kristin Blinker gemacht – mit 400 von 437 Stimmen. »Ich hoffe, alle sind trotz der Pfeifen, die da draußen rumturnen, gut angekommen«, sagt sie am Samstag um 10.39 Uhr zur Begrüßung. Mit den Pfeifen meint Brinker die Gegendemonstranten[1], die ein Stück entfernt vor der Halle stehen und eintreffende AfD-Mitglieder auspfeifen. Diese Mitglieder hatten erneut eine längere Anreise. Weil die AfD für ihre Parteitage in Berlin inzwischen keinen Versammlungsort mehr findet, weicht sie ein ums andere Mal in die Wiesenhalle im brandenburgischen Jüterbog aus.
Die Gegendemonstranten sind am Samstag bereits sehr früh am Tag zur Stelle. Ein Bus des Gewerkschaftsbundes DGB beispielsweise sei schon um 6.45 Uhr in Berlin abgefahren, sagt Tom Ritter vom DGB-Kreisverband Teltow-Fläming. Er koordiniert vor Ort die Proteste. Dazu gehören neben einem Spendenlauf auf dem Markt eine Demonstration vom Bahnhof aus und zwei Blockadepunkte, die den Zugang zur Wiesenhalle wenn möglich abriegeln sollen. An einem dieser Punkte ist ab 8 Uhr vom DGB schon langfristig eine Kundgebung angemeldet gewesen. Dort ist tatsächlich kein Durchkommen. Die AfD-Mitglieder müssen aber nur ein Stück weiter zu einer Stelle laufen, wo ihnen die Polizei neben einem zweiten Blockadepunkt eine Gasse freihält. »Haut ab, haut ab«, wird den Männern und Frauen der AfD dort zugerufen.
An dieser Ecke hat die als parlamentarische Demonstrationsbeobachterin nach Jüterbog gekommene Bundestagsabgeordnete Isabelle Vandré[2] (Linke) kurzerhand eine spontane Versammlung angemeldet. »Die AfD ist gefährlich und muss verboten werden, weil sie unsere Demokratie aushöhlen möchte und menschenfeindliche Politik macht«, sagt Vandré. Trotz des hinderlichen Schienenersatzverkehrs für die Regionalbahn aus Berlin sind wohl an die 500 bis 1000 Berliner und Brandenburger auf den Beinen, um sich an den verschiedenen Protestaktionen zu beteiligen, schätzt die Politikerin. Vandré meint, die Stadt hätte solche Parteitage in Jüterbog schon längst verhindern können. Sie hätte der AfD die Halle einfach nicht vermieten sollen.
Der frühere Jüterboger Bürgermeister Arne Raue[3] hat an einer solchen Verweigerungshaltung gewiss kein Interesse. Er ist Ende 2024 in die AfD eingetreten und sitzt inzwischen im Bundestag. Am Samstag ist er in der Wiesenhalle zu Gast und verweist auf schmutzige Feuchtigkeitsflecken an der Decke. Dies werde aber nicht mehr repariert, sondern die Halle abgerissen und schöner und größer wieder aufgebaut – quasi extra für künftige Parteitage der Berliner AfD, behauptet Arne Raue launig.
»Ja, es gibt Sanierungsbedarf an der Wiesenhalle«, bestätigt der örtliche Landtagsabgeordnete Erik Stohn (SPD) dem »nd« auf Nachfrage. Möglicherweise bieten sich ihm zufolge die Mittel aus dem Sondervermögen des Bundes an, um die Halle zu sanieren. Darüber würden aber die Stadtverordneten mit der Stadtverwaltung entscheiden und nicht ein Ex-Bürgermeister – und die Halle würde dann für Kinder und Jugendliche und für die Sportvereine gemacht und nicht für den nächsten Parteitag der Berliner AfD, versichert Stohn.
»Die AfD ist gefährlich und muss verboten werden, weil sie unsere Demokratie aushöhlen möchte und menschenfeindliche Politik macht.«
Isabelle Vandré Linke-Bundestagsabgeordnete
Die fühlt sich hier sowieso ins Exil vertrieben und würde ihre Parteitage künftig lieber wieder in Berlin abhalten. Zumindest sagt Uwe Kasper das so. Er wäre gern auf Listenplatz vier gesetzt worden, unterliegt jedoch in der ersten Kampfabstimmung des Tages mit 295 zu 116 Stimmen Jan Streeck. Beide waren die ersten Bewerber für einen vorderen Listenplatz, die bisher noch nicht im Abgeordnetenhaus sitzen. Schon drin im Parlament sind Alexander Bertram und Rolf Wiedenhaupt, die auf die Listenplätze zwei und drei gesetzt werden.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194661.afd-berliner-afd-nominiert-kandidaten-im-exil.html