Russland setzt seine massiven Angriffe auf die Infrastruktur der Ukraine fort. Dabei habe Moskau eine neue Phase des Energiekrieges begonnen, heißt es in Kiew. Nachdem die russische Armee Öl- und Gasanlagen ins Visier nahm und geschätzte 60 Prozent der ukrainischen Gasförderkapazitäten zerstörte, gelten die Angriffe nun der Energieinfrastruktur.
Anders als im vergangenen Jahr werden nicht mehr Transformatoren und Stromleitungen zum Ziel, sondern vor allem Kraftwerke. Mindestens zehn seien in den vergangenen Tagen getroffen worden. Auch in Kiew kommt es immer wieder zu Ausfällen. Erst am Sonntag traf es die östlichen Vororte der Hauptstadt.
Militäranalysten beobachten dabei eine veränderte Strategie. Anders als im Vorjahr greift Russland nun vor allem mit Drohnen, ballistischen Raketen, Marschflugkörpern mit kurzer Reichweite sowie mit Lenkbomben an. Die Luftwaffe beteiligt sich hingegen nicht. Das führt zu Angriffen, die überraschender und präziser sind und ihre Vorhersage sowie Abwehr erheblich schwerer machen.
Die russischen Fortschritte in diesem Bereich haben die ukrainische Flugabwehr in eine Systemkrise gestürzt und die Ineffizienz westlicher Waffen in dem sich hinziehenden Krieg gezeigt, beschwerte sich der frühere stellvertretende Vorsitzende des Generalstabs der Armee, Ihor Romanenko. Die Wirksamkeit der Patriot-Systeme sei von 42 auf sechs Prozent gesunken, so der frühere Generalleutnant.
Die unmittelbaren Folgen spüren die Menschen bereits. Am Freitag gingen Bilder von Dixi-Klos und Wasserflaschen, die ins Parlament geliefert wurden, durch ukrainische Medien. Und Fotos von Toiletten in einem sehr üblen Zustand in einem Schutzraum einer Kiewer Metrostation.
Seitdem haben mehrere offizielle Stellen Warnungen an die Bevölkerung herausgegeben. »Ukrainer, bereitet euch auf Blackouts vor«, hieß es aus dem Ministerium für digitale Transformation. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko rief die Menschen in der Hauptstadt auf, Wasser- und Lebensmittelvorräte anzulegen und wurde dafür von Präsident Wolodymyr Selenskyj gerügt.
Die Abgeordnete Marjana Besuhla riet den Menschen, über den Winter die Städte, insbesondere Kiew, zu verlassen. Als symbolisches Ziel könne die Hauptstadt verstärkt Ziel russischer Angriffe werden. Wer kein Auto hat, für den könnte das eventuell schwer werden. Russland hat auch Gleisanlagen ins Visier genommen. Am Wochenende meldete die ukrainische Bahn mehrere Streckensperrungen und teils stundenlange Umwege ihrer Züge.
Gehen die Angriffe weiter wie bisher, wird der Winter zu einer »kritischen Herausforderung«, heißt es in der Ukraine. Das Land verfüge weder über die Ressourcen zum Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur noch für den Schutz der Versorgungsnetze, das gestehen selbst die Behörden teilweise ein. Der kommende Winter werde der härteste seit Beginn des Krieges, prophezeite Charkiws Bürgermeister Ihor Terechow. Schon jetzt fallen in mehreren Regionen Wasser- und Stromversorgung immer wieder aus.
In Lwiw verschob die Stadtverwaltung den Beginn der Heizsaison bereits nach hinten. Das Rathaus rief die Menschen auf, sich mit alternativen Wärmequellen zu versorgen und denjenigen zu helfen, die die Situation nicht allein meistern können. »Bereiten Sie Kanonenöfen, Taschenlampen und warme Kleidung vor«, so das Rathaus.
Auch der Bürgermeister von Dnipro, Bors Filatow, sprach sich dafür aus, »möglichst spät« mit dem Heizen anzufangen. Wie sich die Menschen in der drittgrößten ukrainischen Stadt vorbereiten sollen, wollte er nicht empfehlen, dennoch solle man etwas unternehmen. »Jeder Bürger muss sich darum kümmern, wie er diesen Winter überstehen wird. Denn einfach wird er ganz sicher nicht«, schrieb Filatow bei Facebook.