nd-aktuell.de / 13.10.2025 / Politik

Lorenz A.: Ermittlungen auf Sparflamme

Anklage gegen Todesschützen in Oldenburg steht bevor

Aljoscha Hoepfner
Protest anlässlich des 22. Geburtstages von Lorenz A. in Oldenburg. Drei juristische Vertreter*innen sind aufseiten der Eltern mit dem Fall befasst.
Protest anlässlich des 22. Geburtstages von Lorenz A. in Oldenburg. Drei juristische Vertreter*innen sind aufseiten der Eltern mit dem Fall befasst.

Die Ermittlungen im Fall des von einem Oldenburger Polizisten erschossenen 21-jährigen Lorenz A. sind fast abgeschlossen. Mit der Entscheidung über eine mögliche Anklage des Polizeibeamten ist laut Staatsanwaltschaft »in den kommenden Wochen zu rechnen«. Die Behörde ermittelt wegen des Verdachts auf Totschlag gegen den Polizisten. Die juristischen Vertreter*innen von A.s Eltern – Lea Voigt, Nils Dietrich und Thomas Feltes – halten die bisherigen Ermittlungen jedoch für unzureichend.

»Es wurden noch nicht alle Möglichkeiten, den Tatablauf zu rekonstruieren, ausgeschöpft«, kritisiert Voigt gegenüber »nd«. Sie vertritt die Mutter des Getöteten in der Nebenklage. »Insbesondere wurden bisher die Polizeibeamten und Rettungskräfte, die unmittelbar nach Abgabe der Schüsse am Tatort eintrafen, nicht vernommen.« Nur der Streifenpartner des Schützen sei tatsächlich als Zeuge befragt worden. Einige, »jedoch bei Weitem nicht alle beteiligten Beamten« hätten lediglich schriftliche Berichte verfasst.

»Auch die in Auftrag gegebene 3D-Rekonstruktion[1] ist in der vorliegenden Fassung unbrauchbar«, meint die Anwältin. Die Standorte des Schützen und von A. sowie deren mutmaßliche Bewegungsabläufe seien darin nicht dargestellt. »Dies ist technisch möglich und zur bestmöglichen Aufklärung des Falls auch nötig.«

Die Erstellung eines vom LKA Niedersachsen angebotenen Gutachtens zur Lage der Patronenhülsen, um die Position des Polizisten bei der Schussabgabe zu ermitteln, hat die Staatsanwaltschaft nach Darstellung von Voigt abgelehnt. Eine Rekonstruktion des Tatorts mithilfe von Zeug*innen – etwa den eintreffenden Rettungskräften – sei ebenfalls nicht erfolgt.

Der 27-jährige Polizist erschoss Lorenz A. in der Nacht auf Ostersonntag[2]. Vorangegangen war eine Auseinandersetzung vor einer Bar in der Oldenburger Innenstadt, an deren Ende A. Pfefferspray gegen Türsteher eingesetzt haben und anschließend weggerannt sein soll. Mehrere Personen sollen ihn verfolgt haben. Laut Staatsanwaltschaft soll das spätere Opfer währenddessen ein Messer gezeigt – und dann wieder eingesteckt haben.

Bei seiner weiteren Flucht lief er an einer Polizeistreife vorbei, wobei er nach Darstellung der Beamten[3] auch Pfefferspray in deren Richtung gesprüht haben soll. Dann schoss der 27-jährige Polizist. Drei der fünf Kugeln trafen A. in Hinterkopf, Oberkörper und Hüfte. Ein vierter Schuss streifte seinen Oberschenkel. Das von A. mitgeführte Pfefferspray hat der Polizist dabei durchschossen, so Voigt. Rückschlüsse auf die mutmaßlich versprühte Menge seien deshalb nicht mehr möglich.

Der Polizist berufe sich auf Notwehr. Der bloße Einsatz von Pfefferspray durch Lorenz A. rechtfertige aber keinen Schusswaffeneinsatz, sagte die Anwältin gegenüber der »Hannoverschen Allgemeinen«. »Seine Angaben dazu sind nicht plausibel«, erklärt Voigt. »Wir sind davon überzeugt, dass Anklage erhoben werden muss«, bekräftigt ihr Kollege Dietrich, der den Vater vertritt, gegenüber der Zeitung.

Hinzu kommt: Der Polizist drohte den Einsatz der Schusswaffe nicht an und gab auch keinen Warnschuss ab. Das belegen die von den Ermittler*innen vor mehreren Wochen ausgewerteten Audio- und Videoaufnahmen der Tatnacht. »Ein Schusswaffengebrauch muss immer angedroht werden, es sei denn, es besteht eine unmittelbare Gefahr«, erklärt dazu der Kriminologe und ebenfalls Vertreter von A.s Mutter Thomas Feltes. Der Wissenschaftler war auch bei anderen Fällen tödlicher Polizeigewalt als Anwalt der Nebenklage beauftragt, für einige Monate etwa im Fall von Mouhamed Dramé in Dortmund.

Ein Schmauchspurengutachten ergab, dass der Beamte in Oldenburg aus weniger als vier Metern Entfernung auf Lorenz A. schoss. Feltes betont, dass eine weitverbreitete Annahme, die Polizei sei bei Messerangriffen aus einer Distanz von weniger als sieben Metern angehalten aus Eigenschutz schießen, keine Grundlage habe. Ohnehin würde eine solche Regel im Fall Lorenz A. auch nicht greifen, da der junge Mann die Polizisten nicht mit einem Messer attackiert habe. Diese Falschmeldung hatten mehrere Medien zunächst verbreitet.

Die Staatsanwaltschaft hat im Rahmen der Ermittlungen ein Sachverständigengutachten zum Tathergang anfertigen lassen. Auch das Handy des Schützen haben die Ermittler*innen ausgewertet. Sie haben es jedoch erst fast drei Tage nach der Tat beschlagnahmt, kritisiert Feltes. Das Handy seines Streifenpartners sei indes gar nicht ausgewertet worden, bemängeln die Jurist*innen gegenüber dem NDR.

Auf Bodycam-Aufnahmen können die Ermittler*innen nicht zurückgreifen. Die Kameras aller beteiligten Beamten waren ausgeschaltet. Das kritisiert die Initiative »Gerechtigkeit für Lorenz«. Sie fordert die lückenlose Aufklärung des Falles und Maßnahmen gegen Rassismus in der Polizei.

Dass ausgerechnet die benachbarte Polizei Delmenhorst ermittelt, verurteilt sie. Nicht nur gehört die Dienststelle zur selben Polizeidirektion und Staatsanwaltschaft wie Oldenburg. 2021 starb hier unter bis heute unaufgeklärten Umständen Qosay K. in Polizeigewahrsam. Damals ermittelte umgekehrt Oldenburg gegen Delmenhorst. Die Initiative setzt sich für eine unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstelle ein.

Die Vertreter*innen von Lorenz A.s Eltern haben vor der Entscheidung zur Anklageerhebung noch die Gelegenheit zur Stellungnahme gegenüber der Staatsanwaltschaft. Die wollte sich zu Einzelheiten des Ermittlungsverfahrens nicht äußern. Bei einer Anklage wegen Totschlags drohen dem Polizisten fünf Jahre Haft.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191929.oldenburger-todesschuesse-digitale-rekonstruktion-im-fall-lorenz-a.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191161.oldenburg-getoeteter-lorenz-a-schwarze-ballons-statt-geburtstagskerzen.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191114.toedliche-polizeigewalt-toedliche-schuesse-auf-lorenz-a-thema-im-landtag.html