Einmal im Jahr dürfen Bürger*innen zuschauen, wie Deutschlands mächtigste Geheimdienste Rede und Antwort stehen. Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) lädt die Chefs vom Bundesnachrichtendienst (BND)[1], Verfassungsschutz[2] und Militärischen Abschirmdienst (MAD) zur öffentlichen Anhörung. Es soll ein Moment demokratischer Aufsicht sein: Transparenz über das, was sonst hinter verschlossenen Türen geschieht. Doch in diesem Jahr zeigte sich, wie brüchig die Balance zwischen Kontrolle und Nähe geworden ist. Denn ausgerechnet Marc Henrichmann, CDU-Abgeordneter und Vorsitzender des Gremiums, forderte bereits vor Zusammenkommen desselben gegenüber der »dpa« eine Erweiterung der Zuständigkeiten deutscher Geheimdienste. Kontrolle klingt anders.
Dabei ist es argumentativ durchaus nachvollziehbar, dass Deutschland in Zeiten russischer Drohnen[3], chinesischer Spione[4] und grassierender Desinformation handlungsfähige Nachrichtendienste haben will. Nur dass das PKGr dafür die Lobbyarbeit übernimmt, ist bestenfalls eigenartig, da seine eigentliche Funktion eben die Kontrolle der Geheimdienste ist und nicht die Lobbyarbeit für einen weiteren Ausbau nachrichtendienstlicher Befugnisse und Kapazitäten.
Der Inhalt der Redebeiträge war brisant. So erklärte der Chef des BND, Martin Jäger: »In Europa herrscht bestenfalls ein eisiger Friede, der punktuell jederzeit in heiße Konfrontation umschlagen kann. Wir müssen uns auf weitere Lageverschärfungen vorbereiten.« Der Chef des Verfassungsschutzes, Sinan Selen, legte dar, dass Russland und China die gesamte Bandbreite nachrichtendienstlicher Arbeit in Deutschland ausüben, von Platzierung nachrichtendienstlicher Assets bei politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern zu analogen wie virtuellen Spionageaktivitäten. Hinzu komme Russlands Einsatz gezielter Desinformationskampagnen. Die Chefin des MAD, Martina Rosenberg, berichtete wiederum, dass Angehörige der Bundeswehr auch bei Reisen nach Belarus oder Russland gezielt angesprochen werden, um diese als Assets zu gewinnen. Eine eigene MAD-Stelle in Litauen solle die dort stationierte Bundeswehr-Brigade beschützen.
»Mich interessieren Ergebnisse, nicht so sehr Prozesse.«
Martin Jäger Chef des BND
Der Ton der Sitzung ähnelte dem eines Stammtisches – man war unter Freunden. Die drei Präsident*innen, die im Bundestag Rede und Antwort standen, lieferten gewohnt diszipliniert Lagebilder: Russland gefährlich, China aktiv, Islamismus latent, Rechtsextremismus fortbestehend. Die Fragen waren unkritisch und erinnerten teils an einen vorauseilenden Gehorsam. Über die Notwendigkeit des Ausbaus von Befugnissen und Kapazitäten der Nachrichtendienste waren sich ihre Bewacher einig. Es gab Platz für James-Bond-Witze und nette Worte. Mehrfach erklärten die Nachrichtendienstchefs, dass sie an sie gerichtete Fragen – die teilweise selbst eher Lageberichte waren – selbst nicht besser hätten formulieren können. Das sollte aufhorchen lassen, gerade wenn mit dem Nationalen Sicherheitsrat[5] bald ein weiteres Gremium sicherheitspolitisch aktiv wird.
Der Tenor: mehr Handlungsspielraum, weniger Vorschriften. BND-Chef Martin Jäger wünscht sich von seinen Mitarbeitern höhere Risikobereitschaft – zu Beginn seiner Arbeit habe er ihnen erklärt: »Mich interessieren Ergebnisse, nicht so sehr Prozesse.« Gleichzeitig betont er die Bedeutung der Aufsicht: »Wir müssen gezielt Risiken eingehen und suchen. Das heißt nicht, dass wir Bonanza spielen oder James Bond werden. Keine Sorge. Wir bleiben auf dem Boden unserer gesetzlichen Grundlage.« Der mit der Kontrolle verbundene Aufwand »bindet aber viele Ressourcen«. Die Abgeordneten nickten verständnisvoll, von Konfrontation keine Spur – eher kollegiale Anteilnahme.
Das hat auch strukturelle Gründe. Das PKGr ist das zentrale Aufsichtsorgan des Bundestags für die Nachrichtendienste des Bundes. Seine Mitglieder werden vom Bundestag gewählt und sollen sicherstellen, dass die Dienste im Rahmen von Recht und Gesetz handeln. Die Beratungen finden in der Regel geheim statt; einmal im Jahr tritt das Gremium öffentlich zusammen, um über Schwerpunkte und Herausforderungen der Nachrichtendiensttätigkeit zu informieren.
Auch wenn das Gremium kein dezidiertes Werkzeug der Opposition ist und die Nachrichtendienste auch nicht Teil der Regierung, verliert es dennoch einen wichtigen Teil seiner Funktion, wenn von den elf Mitgliedern nur eines – Konstantin von Notz (Grüne) – aus der Opposition stammt. Aufgrund mangelnden Vertrauens hatte das Parlament zwei AfD-Kandidaten und die Fraktionsvorsitzende der Linken, Heidi Reichinnek, abgelehnt[6]. So ist die Linke im Kontrollgremium derzeit gar nicht vertreten. Nun soll die linke Innenpolitikerin Clara Bünger[7] nachrücken, doch bis dahin bleibt die Opposition außen vor.
Ohne eine echte Opposition aber fehlt das Reibungsmoment, das Kontrolle ausmacht. Wenn sich alle im Raum einig sind, dass die Sicherheitslage gefährlich ist und die Dienste mehr Rechte und Kapazitäten brauchen, wirkt der Aufsichtsmechanismus wie ein Teil derselben Sicherheitsarchitektur. Der Eindruck entsteht, das Gremium wolle vor allem helfen – nicht hinterfragen.
Dabei ist das PKGr eines der sensibelsten Instrumente parlamentarischer Demokratie. Es darf Einblick nehmen in geheime Operationen, Abhörmaßnahmen, Haushaltspläne – und soll sicherstellen, dass die Dienste im rechtlichen Rahmen handeln. Kritik kommt derweil von außen. So mahnt Jahn Köstering, Mitglied im Innenausschuss: »Egal ob Extremismus in Sicherheitsbehörden oder die aktuell breit diskutierten Drohnenvorfälle. In der parlamentarischen Arbeit müssen wir um jede Information kämpfen. Dass das PKGr nur alle zwei Jahre öffentliche Berichte zur Arbeit des Gremiums veröffentlicht, ist mir bei der Tragweite der dort verhandelten Themen zu wenig.«
Auch die linke Innenpolitikerin Clara Bünger kritisiert die Vorhaben der Nachrichtendienste: »Das Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und operativer Gefahrenabwehr ist eine unmittelbare Lehre aus den Verbrechen der Gestapo. Die Forderung nach mehr operativen Befugnissen für Nachrichtendienste im sogenannten Spannungsfall ist daher hochproblematisch.« Wenn ausgerechnet in Krisenmomenten – in denen Kontrolle und Transparenz besonders wichtig seien – Nachrichtendienste quasi im Ausnahmezustand agieren dürfen, hebele das die Grundprinzipien der Demokratie aus, so Bünger. »Wir brauchen keine Entgrenzung von Überwachung, sondern eine wirksame Kontrolle der Geheimdienste.«