nd-aktuell.de / 13.10.2025 / Berlin

Berliner Stadtkonzept: Der kolonialen Metropole auf der Spur

Berlin war für den Kolonialismus wichtig. Jetzt gibt es das Stadtkonzept »Kolonialismus erinnern«

Jule Meier
Stadtmuseums-Vorständin Sophie Plagemann, Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson (parteilos) und der Kurator Ibou Diop und Dekoloniale-Koordinatorin Anna Yeboah (von links nach rechts)
Stadtmuseums-Vorständin Sophie Plagemann, Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson (parteilos) und der Kurator Ibou Diop und Dekoloniale-Koordinatorin Anna Yeboah (von links nach rechts)

In der Wilhelmstraße 92 in Mitte trafen sich 1884 führende Kolonialmächte, um die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents zu planen. Auf der Kolonialausstellung 1896 im Treptower Park wurden Sklaven aus den deutschen Kolonien in Afrika zur Schau gestellt. Und am Halleschen Tor gründete sich 1898 die »Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler« (E. d. K, später Edeka). Dies sind nur drei Beispiele, die zeigen, welche Bedeutung Berlin für den deutschen Kolonialismus hatte.

Die drei Beispiele sind auch im am Montag veröffentlichten Erinnerungskonzept »Kolonialismus erinnern« aufgelistet. Das Projekt wurde vom Stadtmuseum Berlin initiiert, gefördert von der Senatsverwaltung für Kultur und maßgeblich durch verschiedene antikoloniale zivilgesellschaftliche Strukturen erarbeitet. Am Montag hat das Projekt eine überarbeitete Fassung an Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson (parteilos) überreicht. Die erste Fassung wurde im April 2024 im Haus der Kulturen der Welt präsentiert.

Vor allem der Begriff des Kolonialismus sei geschärft worden, sagt Ibou Diop zu »nd«. Der Literaturwissenschaftler und Kurator hat das Projekt in den vergangenen drei Jahren koordiniert. Kolonialismus wird im Konzept zum einen als die historische Zeit der deutschen Kolonialherrschaft in Afrika, Asien und im Pazifik zwischen 1884 und 1919 begriffen. Zum anderen bezieht er sich auf »protokoloniale Bestrebungen« vor 1884 sowie auf Nachwirkungen in der Weimarer Republik, während der Nazi-Zeit, in DDR und BRD sowie auf koloniale Kontinuitäten[1] im Hier und Jetzt.

Berlin brauche einen zentralen Lern- und Erinnerungsort für Kolonialismus, lautet eine der drei zentralen Forderungen des Projekts. Diskutiert würden Orte wie das ehemalige Deutsche Kolonialmuseum am Hauptbahnhof, das frühere Königliche Museum für Völkerkunde neben dem Gropiusbau oder das Gelände der Kolonialausstellung im Treptower Park.

Zudem fordert das Projekt, bedeutende Orte der Kolonialgeschichte als solche zu markieren. »Auch angemessene Mahnmale für Deutschlands kaum beachtete Kolonialverbrechen wie den Völkermord an den Herero und Nama oder den genozidalen Maji-Maji-Krieg in Ostafrika sind vorgesehen«, teilt das Projekt mit. Es brauche darüber hinaus eine Stiftung »Kolonialismus erinnern« und die institutionelle Förderung zivilgesellschaftlicher Strukturen, um die Arbeit dauerhaft zu sichern.

Ziel sei es, »die bis heute spürbaren Kontinuitäten und Folgen des Kolonialismus [2]sichtbarer zu machen«. Im August 2019 hat das Berliner Abgeordnetenhaus die Entwicklung eines gesamtstädtischen Erinnerungskonzeptes zur Geschichte und zu den Folgen des Kolonialismus des Landes Berlins beschlossen. »Jetzt ist die Politik gefordert, Verantwortung zu übernehmen, die Finanzierung sicherzustellen und die Umsetzung gemeinsam mit der Zivilgesellschaft entschlossen voranzutreiben«, teilen die Projektbeteiligten mit.

»Ziel ist es, die bis heute spürbaren Kontinuitäten und Folgen des Kolonialismus sichtbarer zu machen.«

Projekt »Kolonialismus erinnern«

Zu ihnen gehören unter anderem der Afrika-Rat Berlin-Brandenburg, Decolonize Berlin und der Korea-Verband. Insgesamt seien über 30 verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen beteiligt gewesen, sagt Diop, als er der Kultursenatorin das »Kind« überreicht, wie er das Erinnerungskonzept liebevoll nennt.

Die seit Mai 2025 amtierende Senatorin Wedl-Wilson hat in ihrer Verwaltung derweil 110 Millionen Euro an Kürzungen geplant. Das sind 50 Millionen weniger als ursprünglich unter ihrem Vorgänger Joe Chialo (CDU) vorgesehen. »Wir haben das Maximum rausgeholt, was möglich ist in diesem Haushalt, der trotzdem noch ein Sparhaushalt[3] ist«, wird sie dazu im »Inforadio« zitiert.

Anlässlich der Veröffentlichung des Erinnerungskonzepts »Kolonialismus erinnern« in ihrem Amtszimmer bedankt sie sich beim Projekt, das die koloniale Geschichte Berlins und den Umgang damit von unten aufgearbeitet hat. »Wir in der Politik haben nun die Verantwortung und Aufgabe, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit dieser Prozess weiter vorangebracht werden kann«, teilt sie mit. Es gehe nicht allein um die Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern vor allem darum, »eine gemeinsame Zukunft zu gestalten«.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193639.juedischer-antizionismus-doykeit-statt-israel.html?sstr=kolonial
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190826.gewalt-postkolonialismus-mehr-postkolonialitaet-wagen.html?sstr=kolonial
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1183597.bildung-neukoelln-wegen-sparvorgaben-sollen-schueler-weniger-platz-haben.html?sstr=berlin sparen