Erneut hat die sogenannte libysche Küstenwache im zentralen Mittelmeer auf Geflüchtete geschossen: Laut Alarm Phone griff die Miliz am Sonntag ein Boot mit mehr als 100 Menschen 90 Seemeilen südöstlich von Malta an. Die Seenotinitiative hat nach eigenen Angaben[1] währenddessen mehrfach telefonischen Kontakt mit den Insassen gehabt – zuletzt am Montagmittag. Demnach starb eine Person, drei weitere wurden verletzt. Bestätigen ließen sich diese Angaben nicht.
Das Flüchtlingsboot soll sich zum Zeitpunkt des Angriffs bereits im maltesischen Such- und Rettungsgebiet befunden haben. Das Alarm Phone hatte wie in diesen Fällen üblich auch die Seenotleitstelle in Valletta über den Vorfall informiert – Hilfe blieb aber aus. Stattdessen hielten sich bewaffnete Milizen weiterhin in der Nähe des Bootes auf und setzten den Angriff fort, schrieben die Aktivist*innen auf dem Kurznachrichtendienst X. Dabei sollen sie das Boot sogar gerammt haben.
Nach eigenen Angaben hätten die maltesischen Streitkräfte nach Bekanntwerden des Vorfalls sofort eine Luftüberwachung gestartet und ein Schiff geschickt, jedoch »keine sichtbare Unruhe« an Bord festgestellt, berichtet das Magazin »Newsbook Malta«[2]. Die Behörden hätten das Boot deshalb weiterfahren lassen – diese oft tödliche Praxis kritisieren Seenotrettungsorganisationen seit Jahren[3]. Den gemeldeten Schussvorfall wollte der maltesische Militärsprecher »weder bestätigen noch widerlegen«.
Die Eskalation mit Schusswaffen war kein Einzelfall. Im August hatte ein libysches Patrouillenboot 20 Minuten lang das Rettungsschiff »Ocean Viking« unter Feuer genommen[4], als es unter norwegischer Flagge in internationalen Gewässern fuhr. An Bord befanden sich 87 Geflüchtete, die kurz zuvor gerettet worden waren. Zwar blieb die Crew unverletzt, doch wurden Antennen, Rettungsboote und Scheiben auf der Brücke des Schiffs zerstört. In den Jahren zuvor hatte es ähnliche Vorfälle gegeben, ohne dass die Verantwortlichen je belangt wurden.
Welches Patrouillenboot – und damit welche libysche Miliz – den Angriff durchführte, ist aber unklar. Es könnte sich um die Brigade »Tareq Bin Zeyad« handeln, die immer wieder in maltesische Gewässer fährt, um Boote mit Geflüchteten von dort nach Libyen zurückzubringen – unter Duldung der Regierung in Valletta.
Das libysche Schiff, mit dem die »Ocean Viking« angegriffen wurde, war 2023 von Italien im Rahmen eines EU-finanzierten Programms im Wert von 59 Millionen Euro an Libyen übergeben worden. Die Regierung in Rom hat für diese Kooperationen ein sogenanntes Memorandum of Understanding abgeschlossen. Sollte es bis zum 2. November 2025 nicht aufgehoben werden, verlängert es sich automatisch um weitere drei Jahre.
Am Mittwoch beginnen deshalb in Rom Aktionstage gegen die Neuauflage des italienisch-libyschen Abkommens, aufgerufen hat dazu ein breites Bündnis aus Menschenrechtsorganisationen, Seenotrettungsinitiativen, Jurist*innen, Wissenschaftler*innen, kirchlichen Vertreter*innen und der Selbstorganisation Refugees in Libya.
Das im Februar 2017 erstmals unterzeichnete Memorandum zwischen Italien und Libyen soll offiziell der »Bekämpfung illegaler Migration« dienen. Tatsächlich, so die Organisator*innen, habe es seitdem mehr Leid, mehr Tote und mehr Verbrechen gegen die Menschlichkeit bedeutet. Mit Mitteln der EU seien libysche Milizen ausgebildet, ausgerüstet und finanziert worden – jene, die nun auf Geflüchtete und zivile Retter*innen schießen. Das Bündnis fordert daher – genauso wie das Alarm Phone – die sofortige Beendigung der Kooperation, die Evakuierung der in Libyen festsitzenden Menschen und sichere Fluchtwege nach Europa.
Die Veranstaltungen[5] in Rom münden am 18. Oktober in eine großen Kundgebung auf der Piazza dei Santi Apostoli. Überlebende libyscher Haftlager und der Überfahrten über das Mittelmeer wollen dort öffentlich die Verantwortung der europäischen Regierungen benennen. Ihre Forderungen: »Stoppt das blutige Geschäft, stoppt die Gewalt, steht für Menschlichkeit!«