nd-aktuell.de / 13.10.2025 / Politik

Gaza: Die eigentliche Arbeit beginnt jetzt erst

Der Krieg in Gaza mag vorbei sein, an seine Stelle tritt aber kein Frieden, zumindest nicht so schnell

Mirco Keilberth
Rückkehr nach Ramallah. Öffentliche Freude über die Ankunft ihrer Angehörigen durften die Palästinenser anders als die Israelis nicht zeigen.
Rückkehr nach Ramallah. Öffentliche Freude über die Ankunft ihrer Angehörigen durften die Palästinenser anders als die Israelis nicht zeigen.

Vielen Israelis auf dem »Platz der Geiseln« in Tel Aviv standen die Tränen der Freude im Gesicht, als am Montagmorgen Mitarbeiter des Roten Kreuzes die letzten am 7. Oktober 2023 Verschleppten an die Armee übergeben. Zwei Jahre hatten Zehntausende in Straßenprotesten [1]der Polizeigewalt und der Abwiegelung von Netanjahu getrotzt.

Jubel und Erleichterung hatte es mehrere Tage zuvor im Süden des Gazastreifens gegeben. Minuten nach Inkrafttreten des Waffenstillstandes machten sich mehr als 200 000 Palästinenser auf den Weg nach Norden, um zu sehen, ob ihre Wohnung oder ihr Haus noch stehen. Ihre Angst, aus dem Gazastreifen vertrieben zu werden, ist ebenso zu Ende wie die Angst der Angehörigen der Hamas-Geiseln.

Trump ist flexibel bei seinen Ankündigungen

»Der Krieg ist vorbei«, sagte US-Präsident Donald Trump stolz an Bord seiner Air Force One. Und verriet, wie es dazu kam, dass der 13. Oktober, an dem die Umsetzung seines vagen 20-Punkte Plans[2] gefeiert wird, tatsächlich in der ganzen Region als große Chance auf Frieden gilt: Flexibilität statt starres Festhalten an Grundsätzen.

»Die Hamas wird erst einmal dort bleiben, wo sie ist. Wenn zwei Millionen Leute in ein Trümmerfeld zurückkehren, muss es eine gewisse Ordnung geben«, so Trump vor den mitreisenden Journalisten. Über die von Israel geforderte Entwaffnung der Hamas soll nun später gesprochen werden.

Flexibel zeigt sich Trump auch gegenüber seinen früheren Ankündigungen. Wie dem lapidaren Kommentar, dass die Palästinenser den Gazastreifen verlassen und Immobilienunternehmer auf den Trümmern von Khan Junis und Gaza-Stadt Neubau-Projekte für »Menschen aus der Region« hochziehen sollten.

Israel feiert US-Präsidenten als Friedensbringer

Trump wurde am Montagmittag von den Abgeordneten der Knesset mit stehenden Ovationen empfangen. Die Freilassung noch lebender Geiseln feiert Benjamin Netanjahu als Sieg. Diesen hat er auch über die Hamas verkündet, anders als die Mehrheit der Chefs der Geheimdienste Shin Bet und Mossad, die alle Kriegsziele bereits im letzten Jahr als erfüllt ansahen.

Zukünftig steht er unter dem Druck der Angehörigen der in der Zwischenzeit verstorbenen Geiseln, die ihm immer wieder den Wunsch auf die Schaffung eines Großisrael und damit langen Krieg auf Kosten der Leben ihrer Töchter und Söhne vorwarfen. Die Errichtung eines Großisrael werden Koalitionspartner Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich nicht aufgegeben. Für sie ist die Schaffung eines palästinensischen Staates Geschichte, sie wollen die Verschärfung des Besatzungsregimes und die Schaffung palästinensischer Enklaven innerhalb neuer Grenzen.

Israel reißt weiter in Gaza ab

In den noch von der israelischen Armee besetzten Gebieten des Gazastreifens, über der Hälfte des Territoriums, sind Abrissbagger weiterhin im Einsatz[3]. Was als Zerstörung der Hamas-Tunnel bezeichnet wird, sehe tatsächlich aus wie die Vernichtung der zivilen Infrastruktur, sagt der Al Jazeera-Reporter Hani Mahmoud, der am Sonntag von der unsichtbaren Linie berichtete, die Gaza-Stadt nun in eine israelische und eine palästinensische Zone unterteilt.

Im Stadtteil Sabr hatte sich am Vortag gezeigt, wie unvorhersehbar die nächsten Wochen bleiben werden, auch wenn Trump mit seinem Besuch in der Knesset Netanjahu und seine radikalen Partner regelrecht zu einem Kriegsende verdonnert hat. In den Morgenstunden hatten bewaffnete zurückkehrende Palästinenser nach übriggebliebenen Sprengsätzen suchende Mitarbeiter des Zivilschutzes angegriffen.

Der prominente Journalist Saleh Aljafarawi wurde Zeuge des Überraschungsangriffs des angeblich von Israel logistisch und finanziell unterstützten Doghmush-Clans. Am Tag zuvor hatte er die zwei Jahre lang getragene mit der Aufschrift »Press« versehene Schutzweste und den von allen Journalisten getragenen blauen Schutzhelm abgelegt. Am Sonntagmorgen töteten ihn sieben von Kugeln der Milizionäre.

Clans könnten die Rückkehr der Palästinenser verhindern

Die politischen Kommentatoren im Gazastreifen sind davon überzeugt, dass der Doghmush-Clan und ähnliche mit der Hamas verfeindete Gruppierungen Lebensmittelkonvois der Vereinten Nationen überfielen, mit dem Verkauf von Hilfsgütern Millionen verdienten und somit den Ruf des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen ruinieren sollten. Nun könnten sie Auftrag haben, die Rückkehr der Zivilisten zu verhindern und Zwischenfällen mit Hamas zu provozieren, die dann die israelische Armee ein Argument zum Eingreifen oder Verzögerung ihres Abzuges bieten könnten, warnt die Journalistin Nida Ibrahim.

Die eigentlich für Al Jazeera aus Ramallah berichtende Reporterin musste nach Amman ausweichen, weil der katarische Nachrichtensender wie auch einige palästinensische Nachrichtenplattformen im besetzten Westjordanland verboten wurden. »Weder in dem 20-Punkte-Plan, noch in Trumps Reden kommt der palästinensische Wunsch nach Eigenstaatlichkeit vor. Schon gar nicht ein Staat, den 157 von 193 Mitgliedern der Vereinten Nationen anerkennen. Fünf Jahre nach dem letzten Abkommen in Oslo sollte so ein Staat gegründet werden, die drei Phasen des aktuellen Plans haben keinen Zeitplan.«

Israel verbietet Palästinensern öffentliche Freude

Auch im Zentrum von Ramallah hatten sich am Montagmittag tausende Neugierige und Angehörige von Gefangenen versammelt. Als sich die Türen der Busse öffneten, in denen sich die ersten der 2000 Palästinenser befanden, die aus den Hochsicherheitsgefängnissen Ofer und Ketzion freigelassen wurden, flossen auch hier Tränen der Freude. Doch die gedämpfte Stimmung zeigte, dass der 13. Oktober nur das Ende des Gaza-Krieges markiert. Den Familien der Freigelassenen hatten die Besatzungsbehörden öffentlichen Jubel verboten. Politische Anführer wie Marwan Margouti wurden nicht freigelassen. Ein Ende des Besatzungsregimes, wie es ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshof fordert, verlangt derzeit nicht einmal die Opposition in der Knesset.

Mit den Worten »Good Job«, bezeichnete Trump dort das Vorgehen der israelischen Armee. Ein Affront für seine ebenfalls stets hochgelobten Alliierten in Amman, Doha, Riad, Ankara und Kairo. Für die in Sharm El Sheikh versammelten arabischen Staaten besiegelt die erste Phase des Abkommens das Scheitern des von Israel versuchten Genozids an der Bevölkerung von Gaza.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193856.gaza-krieg-massenprotest-in-jerusalem-n-geisel-angehoerige-fordern-deal.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194406.friedensplan-zu-schoen-um-wahr-zu-sein.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191209.gaza-krieg-israels-kriegsziel-ist-die-vertreibung.html