Berlin ist ein gefährliches Pflaster – offenbar auch für Bundestagsabgeordnete. Gleich zwei von ihnen gerieten in der vergangenen Woche in Konflikt mit der Polizei. Cem Ince und Lea Reisner, beide Abgeordnete der Linkspartei, sahen sich als Gegenstand polizeilicher Maßnahmen bei Demonstrationen.
Ein auf dem Kurznachrichtendienst Twitter verbreitetes Video[1] zeigt, wie der niedersächsische Bundestagsabgeordnete Ince bei der Demonstration »Geld für den Kiez statt Waffen für den Krieg« am Sonntag in Wedding von Beamten einer Einsatzhundertschaft festgenommen wird. Ince wird dabei aus einer größeren Menschenmenge herausgezogen und in den Schwitzkasten genommen. Die Polizisten werfen ihn anschließend in ein bereitstehendes Polizeiauto. Das Video zeigt von hinten Bewegungen eines Polizisten im Wagen, die augenscheinlich ein Schlagen oder heftiges Stoßen darstellen.
Eine lila Weste weist Ince dabei als parlamentarischen Beobachter aus. Ince selbst macht dies auch verbal deutlich. »Sie haben gerade einen parlamentarischen Beobachter festgenommen«, ist auf dem Video deutlich aus seinem Mund zu vernehmen.
»Die Polizei hat mich heute gewaltsam mit mehreren Schlägen ins Gesicht aus der Demonstration herausgezogen«, schreibt Ince auf Instagram zu dem Vorfall. »Natürlich mussten sie mich direkt wieder gehen lassen, ein Privileg, welches anderen verwehrt bleibt.« Damit spielt Ince auf seine parlamentarische Immunität an, die ihn vor Strafverfolgung schützt.
Eine Anfrage an die Berliner Polizei, mit welcher Begründung Ince festgenommen wurde, blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Laut »B.Z.« soll ihm vorgeworfen werden, Polizisten attackiert zu haben. In einer Pressemitteilung wird Benjamin Jendro, Pressesprecher der Gewerkschaft der Polizei, damit zitiert, Ince habe »die Versammlungsfreiheit für Straftaten missbraucht, unsere Kollegen attackiert und verfassungsfeindliche Parolen gegrölt«.
Bei der Demonstration mit etwa 500 Teilnehmern in Wedding, die sich gegen eine geplante Waffenfabrik richtete, wurden nach Polizeiangaben 30 Demonstranten festgenommen[2]. Strafverfahren wurden wegen Körperverletzung, Widerstand und des Rufens verbotener Parolen eröffnet. Sechs Polizisten wurden demnach verletzt.
Bereits am Dienstag vergangener Woche, dem Jahrestag des Hamas-Massakers in Israel am 7. Oktober, kam es zu einem ähnlich gelagerten Vorfall: Ein auf Twitter verbreitetes Video[3] zeigt, wie die nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Lea Reisner bei einer Demonstration am Alexanderplatz in Mitte von einem Polizisten ins Gesicht geschlagen wird. Das ohne Tonspur vom türkischen Fernsehsender TRT veröffentlichte Video zeigt, wie Reissner auf eine Polizeikette zuläuft, bevor ihr einer der Beamten dem Augenschein nach unvermittelt einen einzelnen Schlag in das Gesicht verpasst. Auch Reisner war an ihrer Warnweste als parlamentarische Beobachterin erkennbar.
Zu der Demonstration am Alexanderplatz hatten propalästinsische Gruppen aufgerufen. Die Veranstalterinnen, die Alliance of International Feminists, sprachen in einem Aufruf vom »heldenhaften Widerstand«, der sich am 7. Oktober gezeigt habe. Daraufhin verbot die Polizei die Demonstration. Demonstranten, die sich trotzdem versammelten, wurden auseinandergetrieben und zeitweise eingekesselt. 193 Menschen wurden festgenommen.
Reisner selbst kommentierte auf Twitter, das Video zeige Polizisten beim »Ausrasten«. Die Berliner Polizei reagierte bis Redaktionsschluss nicht auf eine nd-Anfrage.
Ines Schwerdtner, Bundesvorsitzende der Linkspartei, sprach auf Twitter davon, dass es vermehrt Polizeigewalt auf Demonstrationen gebe, »auch gegen unsere Abgeordneten als parlamentarische Beobachtungen«. Man werde den Fällen nachgehen und das Demonstrationsrecht schützen. Parlamentarische Abgeordnete werden im Demonstrationsrecht nicht gesondert erwähnt, ihre Rolle wird allerdings häufig von Polizei und Demonstranten akzeptiert.