nd-aktuell.de / 14.10.2025 / Politik

Italien und Frontex bestätigen Angriff auf Geflüchtete vor Malta

Maltesische Behörden wollten Flüchtlingsboot nicht retten – durch Schüsse Verletzte auf Sizilien in Krankenhäuser gebracht

Matthias Monroy
Ein Frontex-Flugzeug hat den brutalen Vorfall in der maltesischen Rettungszone beobachtet – die dortigen Streitkräfte retteten das Boot aber nicht (Symbolbild).
Ein Frontex-Flugzeug hat den brutalen Vorfall in der maltesischen Rettungszone beobachtet – die dortigen Streitkräfte retteten das Boot aber nicht (Symbolbild).

Nach einem gewaltsamen Angriff auf ein Flüchtlingsboot im zentralen Mittelmeer[1] haben italienische Behörden am Montag die Insassen gerettet und dabei drei durch Schusswaffen Verletzte gemeldet[2]. Die 140 Menschen, die aus Libyen gekommen waren, wurden etwa 40 Seemeilen vor der sizilianischen Küste von Pozzallo an Bord genommen. Ein erster Teil, darunter die Verletzten, wurde von der Küstenwache nach Pozzallo gebracht. Rund 70 weitere Personen folgten mit einem Boot der italienischen Finanzpolizei.

Nach Angaben der Überlebenden sollen libysche Patrouillenboote das Feuer eröffnet und ihr Boot gerammt haben. Einer der Männer wurde dabei durch einen Kopfschuss verletzt und liegt im Koma. Ein weiterer Verletzter wurde laut italienischen Behörden im Gesicht getroffen und befindet sich in einem kritischen, aber stabilen Zustand. Die dritte Person erlitt eine Schussverletzung am Bein. Die Verletzten wurden in Krankenhäuser in Sizilien gebracht.

Auf den Angriff am Sonntag hatte zuerst Alarm Phone aufmerksam gemacht[3]. Die Seenotrettungsinitiative hatte mehrfach telefonischen Kontakt mit den Insassen, zuletzt am Montagmittag. Auch ein Team von Mediterranea Saving Humans stand mit den Geflüchteten in Verbindung. »Sie erzählten uns, dass sie aus Libyen flohen. Sie befanden sich an Bord eines Bootes, das in den vergangenen Stunden von der libyschen Küstenwache mit Schusswaffen angegriffen wurde«, erklärte Beppe Caccia[4] von Mediterranea. Der Vorfall soll sich etwa 100 Seemeilen südöstlich von Malta ereignet haben – und damit im maltesischen Such- und Rettungsgebiet. Die libysche Küstenwache soll das Flüchtlingsboot auch gerammt haben.

Die Geflüchteten berichteten Alarm Phone außerdem von einem Mann, der durch die Schüsse getötet worden sei. Diese Angaben bestätigten die italienischen Behörden zunächst nicht, kündigten aber Ermittlungen an. Daran will sich auch Frontex beteiligen: Auf Anfrage von »nd« bestätigte die EU-Grenzagentur, dass eines ihrer Flugzeuge bei der Attacke zugegen war. »Die Besatzung entdeckte ein Fischerboot mit rund 140 Menschen an Bord und beobachtete später ein weiteres nicht identifiziertes Schiff, das gefährlich in der Nähe manövrierte«, teilte Frontex mit. Das Flugzeug habe auf Anweisung der maltesischen Rettungsleitstelle eine Warnmeldung ausgesendet, »in der das nicht identifizierte Schiff aufgefordert wurde, einen sicheren Abstand einzuhalten«.

Alarm Phone hatte, wie in solchen Fällen üblich, auch die Seenotleitstelle in Valletta über den Vorfall informiert – Hilfe von Malta blieb jedoch aus. Am Montagnachmittag erklärten die maltesischen Streitkräfte, nach Bekanntwerden des Vorfalls eine Luftüberwachung gestartet und ein Schiff geschickt zu haben. Diese hätten jedoch »keine sichtbare Unruhe« an Bord festgestellt. Man habe das Boot deshalb in Richtung Italien weiterfahren lassen – diese immer wieder tödliche Praxis kritisieren Seenotrettungsorganisationen seit Jahren.

Die Eskalation mit Schusswaffen war kein Einzelfall. Im August hatte ein libysches Patrouillenboot 20 Minuten lang das Rettungsschiff »Ocean Viking« unter Feuer genommen[5], als es unter norwegischer Flagge in internationalen Gewässern fuhr. An Bord befanden sich 87 Geflüchtete, die kurz zuvor gerettet worden waren. Zwar blieb die Crew unverletzt, doch wurden Antennen, Rettungsboote und Scheiben auf der Brücke des Schiffes zerstört.

Das libysche Schiff, mit dem die »Ocean Viking« angegriffen wurde, war 2023 von Italien im Rahmen eines EU-finanzierten Programms im Wert von 59 Millionen Euro an Libyen übergeben worden. Die Regierung in Rom hat für diese Kooperationen ein sogenanntes Memorandum of Understanding abgeschlossen. Sollte es bis zum 2. November 2025 nicht aufgehoben werden, verlängert es sich automatisch um weitere drei Jahre.

Am Mittwoch beginnen deshalb in Rom Aktionstage gegen die Neuauflage des italienisch-libyschen Abkommens. Das im Februar 2017 erstmals unterzeichnete Memorandum zwischen Italien und Libyen soll offiziell der »Bekämpfung illegaler Migration« dienen. Tatsächlich habe es seitdem mehr Leid, mehr Tote und mehr Verbrechen gegen die Menschlichkeit bedeutet, erklären die aufrufenden Menschenrechtsorganisationen, Seenotrettungsinitiativen und die Selbstorganisation Refugees in Libya. Das Bündnis fordert die sofortige Beendigung der Kooperation, die Evakuierung der in Libyen festsitzenden Menschen und sichere Fluchtwege nach Europa.

Ebenfalls am Mittwoch steht im Bundestag die Verlängerung des EU-Militäreinsatzes Irini im Mittelmeer auf der Tagesordnung. Der Kabinettsantrag[6] sieht – anders als noch 2022 – keine Ausschlussklausel für das Training der sogenannten libyschen Küstenwache durch die Bundeswehr vor.

Einen Tag vor der Bundestagsdebatte hat die Seenotrettungsorganisation Sea-Watch zudem einen Bericht zu extremen Gewalttaten libyscher Akteure im Mittelmeer[7] veröffentlicht. Die Datensammlung enthält 60 Fälle des Vorgehens libyscher Milizen gegen Flüchtende sowie europäischer ziviler und staatlicher Akteure auf See und beginnt im Jahr 2016. Dazu zählen gezielter Beschuss, gefährliche Manöver und Verfolgung von Booten in Seenot, Behinderung von Rettungsaktionen, Bedrohung von Rettungskräften, Misshandlungen von Personen in Not sowie das absichtsvolle Zurücklassen von Leichen auf See. Mindestens 54 der Vorfälle ereigneten sich in internationalen Gewässern.

Allein im Jahr 2024 verzeichnete die Internationale Organisation für Migration mehr als 21 700 Personen, die vom Mittelmeer nach Libyen entführt wurden, wo sie systematischer Folter, Sklaverei und sexueller Gewalt ausgesetzt sind – mit Wissen der Europäischen Union. Die Praxis dürfte weitergehen: Für diesen Dienstag war der Besuch einer Delegation aus Ostlibyen bei der Frontex-Zentrale in Warschau angekündigt[8] – bisher kooperiert die Grenzagentur nur mit der international anerkannten Regierung in Westlibyen. Am Mittwoch und Donnerstag wird die ostlibysche Delegation dann bei der EU-Kommission in Brüssel erwartet.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194708.libysche-kuestenwache-schuesse-auf-gefluechtete-im-mittelmeer-n-offenbar-ein-toter.html
  2. https://www.ilfattoquotidiano.it/2025/10/13/migranti-feriti-da-armi-da-fuoco-sbarcano-a-pozzallo-uno-colpito-alla-testa-e-in-coma-spari-da-motovedette-libiche/8159071/
  3. https://alarmphone.org/en/2025/10/13/stop-the-shootings-at-sea/
  4. https://netzpolitik.org/2025/staatstrojaner-in-italien-wir-kaempfen-gegen-repression-nicht-gegen-menschen/
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193538.rettungsschiff-schwerer-angriff-auf-ocean-viking.html
  6. https://dip.bundestag.de/drucksache/fortsetzung-der-beteiligung-bewaffneter-deutscher-streitkräfte-an-der-durch-die/282096
  7. https://sea-watch.org/60-libysche-angriffe-auf-see-bundesregierung-plant-libysche-kuestenwache-zu-trainieren/
  8. https://irpimedia.irpi.eu/secret-mission-in-europe-frontex-hosts-libyan-officials-from-haftar-for-the-first-time/