Im Maschinenraum der Digitalökonomie brummt, pustet und piepst es. Vor Computern, die wie Geldkassetten aussehen und sich hinter transparenten Türen stapeln, kleben die Logos von internationalen Konzernen. »Hier spielt die Musik«, ruft Günter Eggers und erklärt, warum es in diesem ansonsten kahlen Raum sehr laut ist. »Die Rechenaktivität der Computer ist so hoch, dass sie heiß laufen würden, wenn wir nicht aktiv mit kalter Luft oder Wasser kühlen.« Ohne Kühlung erreichten die Computer und ihre Chips schnell kritische Temperaturen.
Eggers ist Sprecher von NTT Data, einem japanischen Daten- und Infrastrukturkonzern, der zu den weltweit größten Betreibern von Rechenzentren gehört. In Hattersheim, einem Vorort von Frankfurt am Main mit 29 000 Einwohnern, betreibt das Unternehmen die Anlage »Frankfurt 4« mit einer IT-Last von 34,4 Megawatt. »Wir befinden uns in einem Wachstumsgeschäft«, sagt der Sprecher, als er den Maschinenraum verlässt. NTT Data will die Kapazität bald verdoppeln.
Ohne solche Zentren würde nicht nur die Wirtschaft, sondern auch das Alltagsleben kaum funktionieren. Vom Versenden kleiner E-Mails bis zum Bestellen neuer Schuhe, von Passwortmanagern bis zum verzögerungsfreien Streaming von Fußballspielen benötigen wir klobige Rechenzentren wie dieses: riesige graue Hallenkomplexe voller Computer und Backup-Rechner.
Die Branche erlebt einen Riesenboom.[1] In Deutschland haben sich die IT-Anschlussleistungen seit 2010 auf 2700 Megawatt verdoppelt, sollen sich bis 2030 erneut fast verdoppeln. Anderswo wird Ähnliches erwartet. Die EU beschloss dieses Jahr, 200 Milliarden Euro in Künstliche Intelligenz (KI) zu investieren, um die Kapazität binnen fünf bis sieben Jahren zu verdreifachen.
Befeuert wird dieser Boom durch die KI-Modelle großer Anbieter wie Google, AWS (Amazon) und Microsoft. Hinzu kommen all diejenigen, die im umkämpften KI-Geschäft aufholen wollen[2]. Die Rechenzentren werden immer schneller, größer und allgegenwärtiger.
Nur wird das für den Planeten zu einem Problem: Die Zentren sind Riesenstromfresser. In Frankfurt, London, Amsterdam, Paris und Dublin – bisher Europas führende Standorte solcher Anlagen – machen sie laut dem britischen Thinktank Ember zwischen 33 und gar 80 Prozent des lokalen Stromverbrauchs aus. Tendenz: wohl steigend. Denn der Strombedarf[3] der Branche dürfte laut Ember über die nächsten zehn Jahre um rund 150 Prozent zunehmen.
Eine Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) schätzt, dass ein heutiges Rechenzentrum von 100 Megawatt in etwa so viel Strom verbraucht wie 100 000 Haushalte. Schon jetzt machen Rechenzentren 1,5 Prozent des globalen Stromverbrauchs aus.
Auch jenseits des Energiehungers sind Investoren und Betreiber von Rechenzentren in den vergangenen Jahren vermehrt in die Kritik geraten. In Hattersheim, wo NTT Data in den Bau mehrerer Anlagen investiert hat, wollte eine Bürgerinitiative[4] das Vorhaben im Jahr 2024 verhindern. Sie kritisierte unter anderem die »unwiderrufliche Zerstörung der Böden durch Versiegelung«, »Temperaturerhöhungen des umliegenden Wohngebiets um zwei Grad Celsius« und Lärmbelästigung am lokalen Friedhof.
Es sind Bedenken, die auch anderswo gemeldet werden, sagt Werner Neumann. Der ältere Herr, der einst für die Stadt Frankfurt arbeitete und zurzeit dem Vorstand der hessischen Abteilung des Naturschutzvereins BUND angehört, ist im Videocall sichtlich gereizt. »Die Betreiber von Rechenzentren reklamieren gerne für sich, dass sie ja kaum Emissionen verursachten, sobald genügend Erneuerbare im Strommix seien. Aber sie verbrauchen dermaßen viel Strom, dass sie eine grüne Energiewende umso schwieriger machen.«
Zudem steht auf praktisch jedem Rechenzentrumsgelände ein Notstromaggregat, das mit Diesel betrieben wird – falls der reguläre Zufluss mal ausfallen sollte. Günter Eggers von NTT Data hat bei der Tour durchs Rechenzentrum in Hattersheim betont, dass diese Anlagen immer nur kurz zur Probe anspringen. Werner Neumann hält dagegen: »Hunderte von Notstromdieseln im Rhein-Main-Gebiet stoßen schon im Testbetrieb so viel Stickoxide und Feinstaub aus wie ein kleines Kohlekraftwerk.«
Vorgaben für Bau und Betrieb gibt es bislang nur wenige. Das Energieeffizienzgesetz (EEG), das die vorige Regierung aus SPD, Grünen und FDP 2023 durchs Parlament brachte, sieht aber einiges vor: Demnach soll der in Rechenzentren verwendete Strom ab 2027 nur noch aus Erneuerbaren bestehen. Normen zur Energieeffizienz verlangen, dass sie möglichst ressourcensparend laufen. Und Regeln zur Abwärmenutzung geben vor, dass die Zentren für ihre Umgebung als Quelle zur Fernwärme wirken.
Aber in der Praxis? Werner Neumann schüttelt den Kopf. »Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung markiert hier deutliche Rückschritte.« In der Bemühung, die Entwicklung von KI zu stärken, scheinen die Regeln nun weniger ernstgenommen zu werden. »Das EEG gibt vor, dass ab Juli 2026 gebaute Zentren mindestens zehn Prozent ihrer Abwärme wiederverwenden müssen.« Ab Juli 2028 sollen es 20 Prozent sein. Während dem BUND die Werte zu gering scheinen – Berechnungen zeigen, dass auch 40 Prozent Abwärme nutzbar wären –, hat Neumann aber einen größeren Kritikpunkt: »Viele Betreiber unterlaufen die Regeln, indem sie sich als Standorte Kommunen suchen, wo die Wärme gar nicht abgenommen werden kann.«
Ralph Hintemann vom auf Nachhaltigkeits- und Technologiethemen spezialisierten Thinktank Borderstep aus Berlin beobachtet eine Tendenz: »Es ist schon so, dass Kommunen bei diesen Themen oft etwas überfordert sind. Damit die Abwärme genutzt werden kann, brauche ich die nötige Infrastruktur – ein Fernwärmenetz.« Das muss vielerorts erst noch gebaut werden.
Gemeinden, in denen Rechenzentrumsbetreiber bauen wollen, fehlt oft das Know-how, um etwa Investoren zu Gegenleistungen zu verpflichten. Werner Neumann von BUND vergleicht: »Wenn früher Atomkraftwerke kommen sollten, verlangten Bürgermeister, dass noch ein Schwimmbad gebaut wurde. So etwas gibt es hier bisher nicht.« So sei es auch nicht die Norm, dass die Abwärme eines Rechenzentrums im Ort genutzt wird.
Aus der Sicht der Nachhaltigkeit bleiben große Potenziale ungenutzt. Der Sektor setzte 2024 um die 14 Milliarden Euro um, wächst mit zweistelligen Raten. Geld für einen Ausbau des Wärmenetzes wäre wohl da. Aber gegen Verpflichtungen hierzu stemmt sich die Branche.
Kaum jemand kennt sich im Umgang mit Rechenzentren so gut aus wie Marcus Gwechenberger. Als Dezernent für Planen und Wohnen der Stadt Frankfurt versucht der SPD-Politiker seit Jahren, die Interessen der Wohnbevölkerung mit jenen der Betreiber von Rechenzentren sowie deren Kunden in Einklang zu bringen.
In seinem Büro klickt sich Gwechenberger durch eine Powerpoint-Präsentation. »Hier in Frankfurt sind auch wegen der Rechenzentren vor allem zwei Dinge knapp geworden«, sagt er mit Blick auf seine Folien: »Platz und Strom.« Die 84 Rechenzentren in der Stadt haben mit ihrem Stromhunger dafür gesorgt, dass Anschlüsse ans Netz für neue Betriebe zum Problem werden. »Ein weiterer Ausbau ist nur möglich, wenn wir es geordnet machen.«
»Die Betreiber reklamieren für sich, dass sie ja kaum Emissionen verursachten, sobald genügend Erneuerbare im Strommix seien. Aber sie verbrauchen dermaßen viel Strom, dass sie eine grüne Energiewende umso schwieriger machen.«
Werner Neumann BUND Hessen
Gwechenberger hat dafür ein Konzept entworfen. »Für neue Rechenzentren müssen wir darauf achten, dass wir das Potenzial der Abwärme nutzen.« Er denkt dabei an Industriecluster oder neue Wohnanlagen. 21 Rechenzentren werden zurzeit geplant. Es müsse klar sein, wo sich neue Anlagen ansiedeln können und wo nicht. Frankfurts wirtschaftliche Vielfalt dürfe nicht gefährdet werden.
In Hattersheim, wohin sich Rechenzentrumsbetreiber auch deshalb orientieren, weil in Frankfurt der Platz knapp geworden ist, lehnt man Gwechenbergers Pläne dankend ab. Bürgermeister Klaus Schindling blickt aus dem Fenster seines Büros auf eine gemähte Wiese. »Ich halte nichts von allzu viel Regulierung«, sagt der CDU-Politiker, dessen Parteiengruppe sich auch auf EU-Ebene gegen strengere Regeln einsetzt, was Energieeffizienz oder Abwärme angeht.
Als Gemeinde solle man sich bemühen, einen guten Draht zur Wirtschaft zu halten, ihr keine Ketten anlegen. Schindling, der sich nebenbei in der German Datacenter Association engagiert, weshalb ihm schon Interessenkonflikte vorgeworfen worden sind, sieht es so: »Wir sind ländlich geprägt und müssen uns fragen: Was möchten wir? Als Kommune haben wir wenige Möglichkeiten, Geld einzunehmen.« Als kleiner Ort, der viel Platz hat, sonst aber eher wenig zu bieten, müsse man sich Investoren öffnen.
Mit der Ansiedlung von NTT Data sowie einem weiteren Betreiber fließen Gewerbesteuereinnahmen in Höhe einer »großen siebenstelligen Summe«, so der Bürgermeister. »Wir haben unsere Sportplätze auf den neuesten Stand gebracht, Sportfunktionsgebäude mit Massageräumen.« Die Weihnachtsbeleuchtung sei jetzt schöner als früher. Schindling murmelt: »Architekturpreise gewinnen Rechenzentren nicht. Aber die allermeisten hier im Ort sind froh, dass wir das gemacht haben.«
Was die Umweltbilanz angeht, hält man sich in der Branche auffallend bedeckt. Auf die Frage, wie hoch die CO2-Emissionen oder der Wasserverbrauch von Rechenzentren bisher sind, ist nicht nur Werner Neumann vom BUND immer wieder ohne Antwort geblieben. Klaus Schindling antwortet hierauf nur mit: »Keine Angabe.« Bei NTT Data – ähnlich wie bei Microsoft, das teils eigene Rechenzentren betreibt, ein Interview aber abgelehnt hat – wurden Nachfragen nicht beantwortet.
»Wir investieren nur, wenn es nachhaltig ist«, hat Günter Eggers im Inneren der Anlage »Frankfurt 4« betont. Was das konkret heißt, bleibt vage. Rund um die Frage, was zum Beispiel der Notstromdieselgenerator auf der Anlage an Schadstoffen ausstößt, hieß es: »Die Zufriedenheit unserer Kunden hat hier oberste Priorität.«
Woher der Strom kommen wird, sieht man in der Branche eher als Problem der Energiepolitik – nicht als eigenes. In Irland, wo Dublin und das Umland mittlerweile derart mit Rechenzentren überlastet sind, dass schon ein Moratorium für den Anschluss neuer Anlagen beschlossen wurde, machen sie landesweit 22 Prozent des landesweiten Strombedarfs aus, 2030 dürfte es knapp ein Drittel sein. Eine Analyse der Bank Barclays erwartet, dass dafür künftig wieder mehr fossile Brennstoffe eingesetzt werden.
Mitarbeit: Bart Grugeon, Michele Bertelli, Anna Toniolo
Die Kosten für diese Recherche wurden durch ein Stipendium von Journalismfund.eu finanziert. Einfluss auf den Inhalt wurde nicht genommen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194742.kuenstliche-intelligenz-stromfresser-rechenzentrum.html