nd-aktuell.de / 14.10.2025 / Berlin

Zu viele Plätze, zu wenig Kinder: Kitas kämpfen mit Geburtenknick

Befristete Verträge und Standort­schließungen: Die geringe Auslastung der Kitas hat Folgen

Christian Lelek
Weniger Kinder bedeuten weniger Geld für die Träger.
Weniger Kinder bedeuten weniger Geld für die Träger.

Noch vor ein paar Jahren kannte jede*r die Geschichte: Eltern, die ihr Kind in einer Kita anmelden wollten, mussten sich in eine lange Warteliste eintragen. Tausende Kitaplätze fehlten[1], vor allem in Prenzlauer Berg. Mittlerweile hat sich die Situation längst ins Gegenteil verkehrt. Der Geburtenknick sorgt für immer weniger Kinder[2] in den landeseigenen Einrichtungen, aber auch bei freien Trägern.

Die rückläufige Kinderzahl in den Einrichtungen ist für die Träger ein wirtschaftliches Problem, weil Personal- und Sachkosten – darunter auch Miete, Energie und Verpflegung – anteilig über eine Pauschale für jedes Kita-Kind refinanziert werden. Heißt: Je weniger Kinder eine Einrichtung besuchen, desto geringer fällt der Entschädigungsbetrag des Landes aus. Für das erste Lebensjahr geht die Familienverwaltung von jährlichen Kosten von 24 000 Euro pro Kind in der Ganztagsbetreuung aus, ab dem dritten Lebensjahr von 13 000 Euro. Dabei bleiben die Sachkosten mit 4000 Euro gleich, die Personalkosten variieren je nach vorgesehenem Personalschlüssel, sie bilden den Großteil der Kosten.

Seit 2023 sind berlinweit 83 Kitas geschlossen worden. Das teilt die Senatsverwaltung für Jugend und Familie auf Anfrage der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus mit. 2023 wurden demnach 42 Standorte aufgegeben, 2024 waren es 30 und im laufenden Jahr bisher 25. Über die Zahlen, die »nd« vorliegen, hatte zuerst der »Tagesspiegel« berichtet. In Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg wurden in diesem Zeitraum jeweils 19 Einrichtungen geschlossen, in Spandau und Marzahn-Hellersdorf nur jeweils eine.

Laut dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg gab es 2023 in Berlin 2832 Kitas, 31,5 Prozent mehr als noch 2013[3]. Dabei befinden sich lediglich 10,6 Prozent in Trägerschaft eines landeseigenen Kita-Betriebes. Anfang 2025 standen in Berlin 189 000 Plätze zur Verfügung, mehr als 18 000 Plätze waren unbesetzt, davon wiederum 5000 bei landeseigenen Kitas. Die Zahlen nannte die Jugendverwaltung dem RBB.

Um der geringen Auslastung in den Einrichtungen entgegenzusteuern, geben Träger einzelne Häuser auf und füllen die verbleibenden Standorte mit den übrig gebliebenen Kindern auf. Die Erzieher*innen wechseln in der Regel mit. So berichtete es zuletzt auch der RBB für zwei Einrichtungen des landeseigenen Kita-Betreibers Süd-West in Steglitz-Zehlendorf. Wie die zuständige Senatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) dem RBB sagte, seien weitere Schließungen bei den Eigenbetrieben nicht ausgeschlossen. Wiederum dem »Tagesspiegel« sagte eine Senatssprecherin, der Abbau von Personal[4] sei nicht geplant. Man habe daher den Betreuungsschlüssel für unter Dreijährige von 5:1 auf 4:1 Kinder je Erzieher*in angepasst.

»Wir dürfen nicht den Fehler wiederholen, soziale Infrastruktur leichtfertig aufzugeben, die in absehbarer Zeit wieder dringend gebraucht werden könnte.«

Marianne Burkert-Eulitz Grüne

Die rückläufigen Kinderzahlen stellten besonders kleine Träger vor erhebliche Herausforderungen, erklärte die Grünen-Abgeordnete Marianne Burkert-Eulitz. Um weder Räume noch Engagement zu verlieren, plädiert sie für »eine kreative und gemeinwohlorientierte Zwischennutzung«. »Wir dürfen nicht den Fehler wiederholen, soziale Infrastruktur leichtfertig aufzugeben, die in absehbarer Zeit wieder dringend gebraucht werden könnte«, so die Grünen-Politikerin.

Der Verband der Kleinen und Mittelgroßen Kitaträger Berlin (VKMK) betreut 245 Kitas. »Es wird zunehmend schwieriger, ausreichend Kinder für die Einrichtungen zu gewinnen«, sagt Geschäftsführer Lars Békési im Gespräch mit »nd«. Man sei aber daran gewöhnt; in Pankow kämpfe man bereits seit drei Jahren mit Auslastungen von teils unter 70 bis 80 Prozent. Die Schließung von zwei Standorten habe der Verband bisher begleitet. Békési nimmt einen klaren Trend wahr: »Von beispielsweise 15 Auszubildenden werden häufig nur noch sieben bis acht in ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis übernommen.« Gleichzeitig nehme der Anteil befristeter Verträge zu.

Die Anpassung des Personalschlüssels nennt Békési eine »Beruhigungspille für Verdi«, auch wenn er hoffe, dass sie das System stabilisiere. Die Gewerkschaft hatte letztes Jahr mit Streiks versucht, den Betreuungsschlüssel in den Eigenbetrieben über einen Tarifvertrag abzusenken[5]. Die eigentliche Belastung liege aufgrund längerer Betreuungszeiten und komplexerer Bedürfnisse in der Betreuung älterer Kinder, sagt Békési. Angesichts der sinkenden Geburtenzahlen bleibe »die eigentliche Zeitbombe die Sachkostenpauschale«, denn Ausgaben für Räume, Energie und Infrastruktur blieben unverändert, so der VKMK-Geschäftsführer.

Békési geht davon aus, dass die Situation noch drei bis fünf Jahre anhalten wird. »Danach könnte die Geburtenrate in Berlin wieder steigen – vorausgesetzt, die politischen Rahmenbedingungen werden so gestaltet, dass Familiengründungen wieder attraktiver werden.« Er präzisiert: »Familien brauchen Verlässlichkeit – bei Wohnraum, Betreuung und Infrastruktur.«

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1088231.protest-von-berliner-eltern-aufstehen-gegen-die-kitakrise.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1184633.erziehung-kitas-in-berlin-platzmangel-war-gestern.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1100215.senat-foerdert-zusaetzliche-kitaplaetze.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189696.bildung-kitas-vor-dem-kollaps.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1185944.arbeitskampf-in-berlin-nach-kita-streik-verbot-ueberall-verlierer.html