nd-aktuell.de / 14.10.2025 / Kultur

Comics aus den Philippinen: »Woran kannst du dich erinnern?«

Philippinische Comics wenden sich ab von den USA und versuchen, einen neuen Blick auf die Geschichte des Landes zu entwickeln

Tobias Prüwer
Eine martialische Auseinandersetzung mit der Kolonialge­schichte in atemberaubender Schönheit: »Alandal« von Alex Niño und J. Philip Ignacio
Eine martialische Auseinandersetzung mit der Kolonialge­schichte in atemberaubender Schönheit: »Alandal« von Alex Niño und J. Philip Ignacio

Für den Mannheimer Verleger Josua Dantes haben philippinische Comics »mehr Kante«. Dantes ist im Hauptberuf Krankenpfleger, Comics verlegt er aus Leidenschaft. Er besuchte die »Komiket«, den philippinischen Comic- und Kunstsalon, auf dem er Zeichner und Autoren kennenlernte. »Wenn ich der Erste bin, der sie verlegt, dann mache ich das«, sagt Dantes, der bisher vor allem Klassiker wie den britischen Keltenkrieger »Slaine« oder den Samuraihasen »Usagi Yojimbo« aus den USA neu auflegte. Und nun ist er mit seinem Verlag in Deutschland fast so etwas wie ein Monopolist für philippinische Grafikliteratur.

»Gute Kunst mit tollen Geschichten«, so fasst er sie zusammen. Viele Comics schlagen eine Brücke von asiatischen zu US-Stilen. Was auch daran liegt, dass die Talente lange für den westlichen Markt zeichneten und die Menschen im eigenen Land erst spät als direkte Adressaten erkannten. Ein legendärer Zeichner wie Alex Niño begann in den 70er Jahren erst für DC und Marvel zu arbeiten und dann in den 80ern für Warren. Doch in seinen eigenen Comics ist er viel subjetiver: »Das ist kein Einheitsbrei, kein Industrieprodukt. Das sind persönliche Werke mit Herzblut«, meint Dantes.

In seinem Verlag ist »Alandal« erschienen. Niño hat hier eine martialische Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte in atemberaubender Schönheit hingetuscht, Szenarist ist der Musiker und Filmemacher J. Philip Ignacio, der hier als Comic-Autor sein Debüt gibt.

Die Philippinen standen unter spanischer, dann US-amerikanischer Herrschaft. Erst nach der Befreiung von der japanischen Besetzung wurden sie 1946 unabhängig. Ignacio und Niño lassen eine Kriegerin durch eine gewalttätige Inselwelt tänzeln, hin und her gerissen zwischen Rache und Vergebung. Originell ist die Erzählweise: Oft zieht sich ein Panoramafenster über zwei Seiten im ungewöhnlichen Querformat. Mal bleibt diese Horizontlinie die einzige Ebene, manchmal sind kleinere Panels ins Wimmelbild eingelassen. Zunächst chaotisch in der Optik, erschließen sich die Bilder beim genaueren Hinsehen als höchst kunstvoll.

In »Elmer« von Gerry Alangulian folgt man einem Huhn, das als Zeitungsreporter von der Welt der Menschen berichtet. Mit feinem Strich fast wie ein US-Manga gezeichnet, geht hier der Blick nicht nur auf den Menschen und seinen Umgang mit Tieren, auch die philippinische Geschichte wird mit Witz beleuchtet. Wenn der geflügelte Reporter die »Gleichheitsverkündigung« zwischen Mensch und Huhn erläutert, touchiert das auch die ethnischen Konflikte des Inselstaats, in dem der Dikator Ferdinand Marcos zwischen 1972 und 1986 die Demokratie abschaffte und später Präsident Rodrigo Duterte seine Anhänger zum blutrünstigen »War on Drugs« aufrief: »Vergesst Gesetze und Menschenrechte!«

Der Horrorkrimi »Trese« von Budjette Tan und Kajo Baldisimo führt mit einer Ermittlerin in die Nächte Manilas. Wie im Film noir liegt alles jenseits von Gut und Böse. Brillant ist der permanente Wechsel der Outlines zwischen Schwarz und Weiß. Die Panels verhalten sich wie Positiv und Negativ zueinander. Einige Bilder wirken wie auf Schabekarton erstellt, wenn daraus Ungetüme hervorbrechen.

Von Monstern und Menschen, ergo von der Frage nach der Menschlichkeit handelt »Josefina« von Russell L. Molina und Ace C. Enriquez, das zur Zeit der japanischen Besetzung der Philippinen spielt. Es ist zeichnerisch etwas konventioneller gehalten, dennoch voller Explosivität.

Aufgrund der jahrzehntelangen Vorherrschaft der USA wurde in dem Inselstaat lange nur das akzeptiert, was aus den USA kam, sagt Verleger Dantes. »Dass man in einem Land lebt, von dem man nichts weiß, ändert sich gerade. Das merkt man den Comics an, die ein Medium dafür sind.« Deutlich wird das an Paolo Heras »Strange Natives« (Zeichnungen: Jerico Marte), in dem man übersinnliche Fähigkeiten benötigt, um auf neue Weise die Geschichte der Philippinen zu betrachten. »An einen wie großen Teil unseres Heimatlands kannst du dich erinnern? Unsere Vergangenheit ist neu geschrieben, neu vorgestellt und vergessen worden.« Die philippinischen Comics helfen, Verschüttetes wieder auszugraben, was deutsche Leser nun entdecken können.

www.dantes-verlag.de