Kapazitäten auf- oder abbauen? In der CDU regt sich Widerstand gegen neue Flüchtlingsunterkünfte. »Die Zeiten, in denen wir weitere Unterkünfte aufbauen, sind vorbei«, sagte CDU-Fraktionschef Dirk Stettner am Montag dem »Tagesspiegel«. Man könne sogar darüber nachdenken, bestehende Unterkünfte abzubauen oder sie etwa zu Studierendenwohnheimen umzuwidmen. Im Doppelhaushalt 2026/2027, der zurzeit im Abgeordnetenhaus debattiert wird, sind eigentlich 1,1 Milliarden Euro für den Bau neuer Unterkünfte vorgesehen.
Hintergrund von Stettners Vorschlag ist die zuletzt gesunkene Zahl von neu ankommenden Flüchtlingen. Erreichten 2023 noch etwa 17 000 Flüchtlinge Berlin, waren es 2024 nur noch knapp über 10 000 Neuankömmlinge. Alle Zeichen weisen darauf, dass sich diese Zahl im laufenden Jahr noch weiter reduzieren wird: Bis September erreichten 4500 Flüchtlinge die Hauptstadt. Die Zahl der neu ankommenden Ukrainer, die separat gezählt werden, entwickelte sich ähnlich und sank von 15 144 Ankünften im Jahr 2023 auf 5068 bis September des laufenden Jahres[1].
Gegen Stettners Pläne regt sich trotzdem Widerstand beim Koalitionspartner SPD. Gegenüber dem »Tagesspiegel« gab die zuständige Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) an, weiter Kapazitäten aufbauen zu wollen. »Es wäre fahrlässig, die geplanten Unterkünfte abzusagen«, pflichtet ihr Orkan Özdemir, integrationspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, auf Nachfrage von »nd« bei.
Dass die Zahl der Neuankünfte sinke, bedeute nicht zwangsläufig, dass Plätze in den Flüchtlingsunterkünften frei würden[2], meint Özdemir. »Die Unterkünfte sind besetzt«, sagt er. »Es gibt keinen Abfluss.« Denn Flüchtlinge blieben oft über Jahre in den Unterkünften, weil sie auf dem freien Wohnungsmarkt keine eigene Bleibe fänden.
Daher sei es notwendig, weiter Kapazitäten aufzubauen. 2600 Plätze will Özdemir dauerhaft vorhalten, um zu verhindern, dass bei einer plötzlichen Flüchtlingswelle Unterkünfte überbelegt oder Notunterkünfte etwa in Turnhallen eingerichtet werden müssten. Darauf habe sich der Senat eigentlich bereits mit einem Beschluss geeinigt. »Die Regierung ist hier in der Verantwortung«, sagt er.
Zudem sei keinesfalls sicher, dass die Zahl der Neuankünfte niedrig bleibe. »Das Bundesministerium des Innern hat zuletzt gewarnt, dass die Zahlen wieder steigen könnten«, sagt er. Tatsächlich zeigen die Zahlen des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten, dass in den vergangenen drei Monaten die Zahl der neuankommenden Ukrainer sich verdreifacht hat (Mai 2025: 382 Neuankünfte; September 2025: 1131). Auch bundesweit übersteigt die Zahl geflüchteter Ukrainer inzwischen wieder die der Flüchtlinge aus anderen Ländern.
Neben wieder intensiver geführten Gefechten im Kriegsgebiet dürfte dafür noch ein weiterer Faktor ausschlaggebend sein: Die ukrainische Regierung hat zuletzt die Ausreiseregelungen für junge Männer gelockert. Bislang durften Männer zwischen 18 und 22 Jahren das Land nicht verlassen, nun ist ihnen das erlaubt. Nach Recherchen der Funke-Mediengruppe hat sich die Zahl der Neuankömmlinge in dieser Altersgruppe seitdem bundesweit auf etwa 1000 in der Woche verzehnfacht.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194781.migration-berlin-cdu-will-keine-neuen-unterkuenfte.html