Das kam überraschend: Nachdem SPD-Fraktionschef Matthias Miersch schon erklärt hatte, seine Partei habe sich mit der Union auf eine Änderung des Gesetzentwurfs zum Wehrdienst geeinigt[1], sagten die Koalitionspartner eine angekündigte gemeinsame Pressekonferenz am Dienstagabend unmittelbar vorher ab.
Die Union hatte einen Mechanismus geforder[2]t, mit dem man schnell vom freiwilligen Wehrdienst zur Wehrpflicht umschwenken könnte, wenn die Personalziele der Bundeswehr nicht wie geplant erreicht werden. Dies wollten CDU und CSU über ein Losverfahren[3] realisieren. Junge Männer, die nach dem bereits von der Koalition beschlossenen Verfahren gemustert wurden, hätten somit auch zum Wehrdienst verpflichtet werden können.
Daraus wird nun nichts. Das sogenannte Wehrdienstmodernisierungsgesetz aus dem Haus von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wird aber nach übereinstimmenden Aussagen der Koalitionsspitzen an diesem Donnerstag unverändert in erster Lesung im Bundestag behandelt. So war es ursprünglich auch geplant. Ein SPD-Fraktionssprecher sagte, das Parlament sei »der richtige Ort, um offene Fragen bei so einem wichtigen Gesetz zu klären«.
Pistorius wies den Vorwurf von Unionsfraktionsvize Norbert Röttgen (CDU) zurück, eine Vorab-Änderung sabotiert und die SPD-Fraktion »ins Chaos gestürzt« zu haben. »Ich torpediere nicht, und ich bin auch nicht destruktiv«, sagte der SPD-Politiker dem »Tagesspiegel« (Mittwochausgabe). »Ich habe nur gewisse Schwierigkeiten damit, dass zwei elementare Stellen meines Gesetzentwurfs geändert werden, bevor dieser überhaupt offiziell in den Bundestag eingebracht worden ist.« Der von Unterhändlern gefundene Lostopf-Kompromiss hatte auch in der SPD-Fraktion keine Zustimmung gefunden. Auch Pistorius soll sich dort dagegen ausgesprochen haben.
Das Kabinett hatte sich bereits im August auf einen von Pistorius vorgelegten Gesetzentwurf verständigt, der zunächst auf Freiwilligkeit bei der Rekrutierung von Wehrdienstleistenden setzt. Bei Nichterreichen von Personalentwicklungszielen sollte ein mehrstufiges Verfahren anlaufen, bei dem der Bundestag am Ende entscheiden sollte, wie und in welchem Umfang junge Männer zum Wehrdienst verpflichtet werden können.
Pistorius sagte am Mittwoch am Rande einer Sitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestages: »Das Ziel bleibt, dass das Gesetz zum 1. Januar in Kraft tritt.« Er betonte, man habe lediglich eine Woche Zeit verloren und werde jetzt ganz normal das Gesetz beraten.
Während sich die Grünen über das Bild der Zerstrittenheit ereiferten, das die Koalition biete, bekräftigte Die Linke ihre grundsätzliche Gegnerschaft zu allen diskutierten Dienst- und Pflichtdienstmodellen. Linke-Fraktionschef Sören Pellmann konstatierte: »Einig sind sich die Koalitionäre in der Frage, die Kennzahlen der Nato zur Truppenstärke zu erfüllen.« Gestritten werde »nur darüber, wie diese Zahl zu erreichen ist«.
Eine Wehrpflicht sei gleichwohl »keineswegs eine logische Konsequenz aus den Nato-Zielen oder der sicherheitspolitischen Lage«, zumal die Nato bereits jetzt über »die größte Truppenstärke der Welt« verfüge, sagte Pellmann am Mittwoch in Berlin. Statt »wirksame Konzepte gegen den Mietenwahnsinn« vorzulegen, für eine »bessere Vereinbarkeit von Familienplanung und Beruf« und für gute Löhne zu sorgen, wollten »Konservative maßgeblich in die Lebensplanung von jungen Menschen eingreifen und sie zum Dienst an der Waffe verpflichten«, kritisierte der Politiker. Die Linke stehe an der Seite der zwei Drittel der potenziell von Zwangsdienst Betroffenen, die angeben, »nicht zur Armee gehen zu wollen«.
Derweil gab sich CSU-Chef Markus Söder staatsmännisch. »Ich glaube, dass es wichtig ist, mit Freiwilligkeit zu beginnen, aber irgendwann braucht es auch Pflichtelemente, vielleicht weniger durch Losverfahren, vielleicht durch andere Entwicklungen«, sagte der bayerische Ministerpräsident am Mittwoch bei einem Besuch der Luftwaffe in der Otto-Lilienthal-Kaserne in Roth bei Nürnberg. Es brauche auch »bei der Frage Freiwilligkeit und Wehrpflicht klare Vorgaben, klare Linien, klare Strukturen«. Er glaube indes nicht, so Söder, dass Freiwilligkeit auf Dauer reiche, wenn »erst 2028, 2029 wegen der russischen Gesamtangriffsfähigkeit festgestellt« werden würde, dass die Bundeswehr nicht genügend Soldat*innen habe. Mit dpa
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194784.wehrpflichtdebatte-doch-kein-zwangsdienst-per-los.html