Es gibt in der Kulturgeschichte ein seltsam verlässliches Barometer für gesellschaftliche Krisen. Immer dann, wenn die Wirtschaft lahmt und die vermeintlich politische Mitte nervös zuckt, dann erhebt sich aus den Katakomben der Popkultur ein bleicher Aristokrat mit leichtem Blutdurst und vorzüglicher Garderobe. So geschieht es uns auch 2025. Im Klima aus globalen Krisen, Tradwife-Hype und Old-Money-Aesthetics flattert uns entgegen: ein Vampir.
Seit vor ein paar Monaten Luc Bessons »Dracula – Die Auferstehung« angekündigt wurde, eskalierte der Hype um den Film – fast schon in eine grenzüberschreitende Kultbewegung. Menschen reisten ins Ausland, um den Film noch vor dem Box-Office-Start im eigenen Land schauen zu können. Und der sowieso schon florierende Dracula-Tourismus bekam noch weiteren Aufwind. Schließlich ist die Legende um den Vampir schon lange nicht mehr nur literarisches oder filmisches Sujet, sondern auch ein touristisches Asset in den sozialen Medien: Der TikTok-Account »Romania«, der das Land gezielt mit Memes, Dracula-Referenzen und transsylvanischem Flair bewirbt, erzielte dank des Hypes jüngst Millionen von Views. Nach dem »Hot Girl Summer« kommt jetzt #DraculaWinter.
Dabei ist der Film nicht nur ein weiteres Gothic-Drama über Liebe, Tod und die Unmöglichkeit des Ablebens. Er ist, ob gewollt oder nicht, vielleicht auch ein Symptom. In einer Zeit, in der Inflation, Kulturkampf und Überforderung aufeinanderprallen, kommt »Dracula« genau zur richtigen Zeit – er liefert Blutlinien statt Bruchlinien, Vererbung statt Veränderung und eine samtbezogene Stabilität im ästhetischen Sinn. »Dracula« ist ein moderner Krisenseismograph: schön, gefährlich, überprivilegiert.
Diese Beobachtung ist nicht neu. Die vergangene große Vampirwelle fiel – natürlich – in die Finanzkrise 2008. Als Banken und Häuserpreise fielen, schwärmten Teenager und Mittdreißiger gleichermaßen in Kinos und Wohnzimmern für »Twilight« und »True Blood«. Beides Reihen über Begehren, Macht und moralische Verwirrung in ökonomisch schwankenden Zeiten. Die Soziologin Catherine Spooner schrieb damals über den Vampir als »romantisches Symptom einer überforderten Moderne«. Sie beschrieb ihn als Figur, der ewiges Leben verspricht, wenn man sich nur der Hierarchie (und dem Patriarchat) wieder freiwillig unterwirft. Vampirismus als neoliberale Gegenreligion, elegant verpackt in Elfenbeinweiß, Glitzer und Gucci-Mantel.
Heute nun also Besson – der ausgerechnet mit einem Stoff über Herrschaft und Ewigkeit zurückkehrt. Dabei klebt an seinem Comeback der muffige Geruch der Vergangenheit. Man erinnere sich: Besson war 2018 wegen Vergewaltigungsvorwürfen angeklagt (die Verfahren wurden später eingestellt). Zudem wurde auch über Frankreich hinaus sein Verhältnis zur Schauspielerin Maïwenn diskutiert, die er als Teenager kennenlernte und später heiratete – ein Kapitel, das mehr Fragen aufwirft als es Antworten gibt. Dass ausgerechnet dieser Regisseur nun den Ur-Vampir reanimiert, ist fast schon symbolisch: ein Mann mit problematischer Biografie inszeniert den ewigen Patriarchen. Hier wird Kunst mal wieder zur unfreiwilligen Soziologie.
Passend dazu hat sich aber sowieso schon seit längerem in den sozialen Medien eine illustre Cousine des Vampirs etabliert: die Old-Money-Aesthetic. Blazer aus Kaschmir, Goldrand-Porzellan – und daneben die Tradwife-Bewegung. Frauen, die über die Schönheit des Untertanschwurs an Herd und Gatte philosophieren (und damit trotzdem heimlich Geld verdienen, anstatt sich versorgen zu lassen). Beide Strömungen teilen dieselbe Grundidee: Rückzug ins Vergangene als Sicherheitsversprechen. Der Vampir ist hier der in Leder gebundene Schirmherr – aristokratisch, distanziert, ordnungsstiftend.
Filmwissenschaftlich betrachtet lässt sich das auch als ästhetische Gegenbewegung zu den 2010er-Jahren lesen, in denen Zombies die Leinwände beherrschten. Der Zombiefilm, seit George A. Romeros »Night of the Living Dead«, war immer ein linkes Projekt: Er erzählte vom Kollektiv, von Klassenkampf, Konsumkritik, vom Verlust der Individualität in der Masse. Der Vampirfilm hingegen war stets rechtsgeneigter – ein Symbol für Abstammung, Reinheit, Hierarchie. In der Krise verschieben sich eben die Mythen: Die Linke bekommt Zombies, die Rechte Vampire.
Es ist also kein Zufall, dass wir uns 2025 wieder zum aristokratischen Blutsauger hingezogen fühlen. Zwischen TikTok-Tafelsilber und Influencer-Anstandsbüchern (»Wie man elegant verarmt, ohne dass es jemand merkt«) scheint die Sehnsucht nach alter Ordnung neu entflammt. In Bessons »Dracula« wird diese Sehnsucht hochglanzpoliert – ein Mann, der sich über die Jahrhunderte rettet, während die Welt untergeht. Die perfekte Metapher für die Oberschicht, die ihre Krisen wie Weinflecken vom weißen Hemd tupft.
Natürlich könnte man sagen: Das ist alles nur Nostalgie. Aber Nostalgie ist nie harmlos. Sie ist die Ästhetisierung der Regression. Wenn die Gesellschaft sich unwohl fühlt, träumt sie vom Schlosshof. Und wenn die Kinosäle sich wieder mit adligen Untoten füllen, ist das vielleicht weniger eine Mode als eine Mahnung: Wir romantisieren gerade unsere eigene Ohnmacht.