nd-aktuell.de / 19.10.2025 / Berlin

Berlin testet vollautomatisierte Busse

BVG startet autonomes Fahren zwischen Jakob-Kaiser-Platz und Altstadt Spandau – Tests mit den selbstfahrenden Minibussen ab 2026

Nicolas Šustr
Ein Mann besichtigt den neuen Kleinbus bei der Vorstellung zur «autonomen Zukunft des Nahverkehrs» der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) im BVG-Busbetriebshof Spandau.
Ein Mann besichtigt den neuen Kleinbus bei der Vorstellung zur «autonomen Zukunft des Nahverkehrs» der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) im BVG-Busbetriebshof Spandau.

Großer Auflauf am Freitagnachmittag auf dem Bus-Betriebshof Spandau der BVG. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder, Berlins Verkehrssenatorin Ute Bonde (beide CDU), BVG-Chef Henrik Falk und Sascha Meyer, Chef der Volkswagen-Tochter Moia, postieren sich vor einem schwarzen Minibus mit goldfarbenen Applikationen und dem gelben BVG-Herz.

Nichts weniger als die »autonome Revolution« soll mit dem schwarzen Fahrzeug in Berlin beginnen. Es handelt sich um einen »VW ID. Buzz AD«,[1] der sich selbstständig seinen Weg durch den Berliner Straßenverkehr bahnen soll. Neben viel Rechentechnik sind die Transporter mit 13 Kameras, 9 Lidar- und 5 Radarsensoren ausgestattet, die sich auf dem Fahrzeugdach und an der Karosserie befinden.

Drei Fahrgäste pro Bus

Bis zu fünf dieser Fahrzeuge sollen in einem 15 Quadratkilometer großen Gebiet im Nordwesten Berlins verkehren. Dieses liegt zwischen den U-Bahnhöfen Jakob-Kaiser-Platz und Altstadt Spandau. Neben Spandau[2] gehören auch die Bezirke Charlottenburg-Nord und mit dem ehemaligen Flughafen Tegel Reinickendorf zum Bediengebiet. 80 Bushaltestellen und virtuelle Haltestellen sind entlang von 55 Kilometer Straßen eingerichtet. Es sind die meisten, aber nicht alle Straßen in der Gegend. Drei Fahrgäste pro Bus werden mitfahren können.

»Wir halten die Chancen und die Möglichkeiten, die wir durch das autonome Fahren haben, für sehr, sehr groß. Und wir wissen, dass wir in Deutschland ganz vorne mit dabei sind. Das schätzen viele Leute auf den ersten Blick ganz anders ein«, sagt Bundesverkehrsminister Schnieder. Man müsse jetzt den »entscheidenden Schritt« gehen und vom Probebetrieb in den Realbetrieb kommen und »hochskalieren«. »Also nicht mehr mit einer überschaubaren Anzahl von Fahrzeugen so etwas darstellen, sondern mit einer viel größeren Anzahl«, so Schnieder weiter.

9,5 Millionen Euro Förderung

9,5 Millionen Euro lässt das Bundesverkehrsministerium dafür springen. Diesen Herbst beginnen die Test- und Vermessungsfahrten ohne Fahrgäste. Im ersten Halbjahr 2026 soll der Testbetrieb mit Fahrgästen starten. Aber nicht jeder darf direkt mitfahren. »Wer Lust hat, die Zukunft des Nahverkehrs zu erleben und als Testperson mitzugestalten, kann sich bewerben«, heißt es von der BVG. Die Details würden rechtzeitig auf der Projekt-Website veröffentlicht. Montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr soll der Dienst angeboten werden.

Ab 2027 soll die Zulassungsphase für den autonomen Regelbetrieb starten. Ein Abschlussdatum dafür ist nicht genannt worden. Bis dahin werden Sicherheitsfahrerinnen und -fahrer den Betrieb im Fahrzeug absichern und das Fahrverhalten überwachen. »Sie übernehmen keine Fahrfunktionen und geben keine Auskünfte – volle Aufmerksamkeit auf das autonome System und das Fahrverhalten«, so die BVG.

Vorbereitungen seit 2023

Seit 2023 bereiten die Berliner Verkehrsbetriebe das Projekt vor. Damit soll erstmals in Berlin Level 4 auf der Skala des autonomen Fahrens erreicht werden soll, das als vollautomatisiertes Fahren bezeichnet[3] wird. Die höchste Stufe, genannt autonomes Fahren, wäre Level 5. Erst dann soll jede Straße befahren und jede Verkehrssituation vom Fahrzeug bewältigt werden können. Der Hauptunterschied ist, dass für Level 4 die automatisiert befahrenen Straßen noch vorher aufwendig trainiert werden müssen.

Bisherige Versuche waren Level 3 – hochautomatisiertes Fahren. In Tegel und an der Charité wurden an Brotbüchsen erinnernde fahrerlose Fahrzeuge eingesetzt. Diese bremsten häufig abrupt, beispielsweise wenn Tauben vor das Fahrzeug flogen oder ein Mensch sehr dicht am Straßenrand stand.

Oft mussten die Sicherheitsfahrerinnen und -fahrer eingreifen, weil die Fahrzeuge in vielen Situationen selbstständig weder vor noch zurück konnten. Die Technik muss man sich so vorstellen, dass eine Art virtuelles Gleis in die Straße programmiert worden ist. Ragt ein Gegenstand auch nur einen Zentimeter in den definierten Fahrweg, stoppt das System.

Hamburg macht das Gleiche

Beim aktuellen Projekt sei etwas passiert, was er in seinen zwei Jahrzehnten in der Branche noch nicht erlebt habe, sagt BVG-Chef Henrik Falk.[4] »Und zwar Folgendes: Dass das Bundesministerium gesagt hat, wir fördern in Berlin bewusst ein Projekt, was identisch ist zu einem Projekt, was gerade in Hamburg schon läuft.«

Warum das Ganze also, warum arbeite man als BVG wie die Hamburger Hochbahn mit Moia zusammen? Das liege an der Herausforderung, dass eine für Mitte 2027 in Hamburg anvisierte Zulassung für den vollautomatisierten Betrieb keine Zulassung für Berlin bedeute. »Wir müssen ja irgendwie anfangen, damit die Industrie es spannend findet, als Markt die Städte zu betrachten«, sagt Falk.

Zweifel am Zeitplan

Folgt man den Ausführungen des Technikexperten Mario Herger, dürfte es vor allem daran liegen, dass Moia viele Kilometer schrubben muss, um bei der Technikreife Anschluss an den Konkurrenten Waymo zu bekommen[5]. Viele Millionen Kilometer haben die Fahrzeuge, die in einigen US-Städten als Robotaxis unterwegs sind, bereits zurückgelegt. Moia-Fahrzeuge haben nach Angaben von Unternehmenschef Sascha Meyer gegenüber »nd« »über eine Million Kilometer« zurückgelegt.

In seinem Blog »Der letzte Führerscheinneuling« äußert Herger massive Zweifel am von Moia kommunizierten Zeitplan, 2027 in Hamburg die Zulassung zu bekommen. Ursprünglich sollte der autonome Fahrgastbetrieb dort 2024 starten, nun soll es 2026 so weit sein. »Wir sprechen also eher von einem vernünftigem Einsatz, also ohne Fahrer, für Uber oder ÖPNV-Anbieter ab dem Jahr 2029/30«, schreibt er.

Als problematisch sieht er auch den Umstand an, dass Moia die Technik für das autonome Fahren vom israelisch-US-amerikanischen Konzern Mobileye bezieht, einer Tochter des US-Chipkonzerns Intel, der wegen mangelnder Rentabilität 25 000 Beschäftigte entlassen will.

Zugekauftes Technikherz

Herger sieht einen entscheidenden Unterschied von Moia und den Mitbewerbern Waymo, Zoox, Tesla und der nach zehn Milliarden Dollar Investitionen abgewickelten General-Motors-Tochter Cruise. Keines dieser Unternehmen überlasse die Entwicklung des zentralen Elements, der Selbstfahrsoftware, anderen. »Sobald also ein Unternehmen die Entwicklung dieser Komponente auslagert, sollte man jede der Behauptungen über den Stand der Technologie und die Zeitpläne mit Vorsicht betrachten«, schreibt er.

Dass Moia ohne Ankündigung von einem Tag auf den anderen in Hannover seinen Sammeltaxidienst am 18. Juli einstellte, ist für Herger Anlass zur Frage, ob das der Anfang vom Ende von Moia sei.

Im sozialen Netzwerk Linkedin begründet Moia-Chef Meyer das Aus in Hannover unter anderem damit, weil man die »Entwicklungsziele im manuellen Fahrdienst erreicht« und sich »strategisch vom Mobilitätsanbieter zum Technologieanbieter weiterentwickelt« habe.

VW-Chef steht zum autonomen Fahren

Im Gespräch mit »nd« unterstreicht Sascha Meyer, dass VW-Konzernchef Oliver Blume sich »sehr klar für das autonome Fahren bekannt« habe. Volkswagen wandele sich zum Technologieunternehmen. »Und genau ist hier natürlich das Thema autonomes Fahren nach der Elektrifizierung, nach der Softwarekompetenz ein ganz wichtiger Baustein auf diesem Weg. Und deswegen bin ich davon überzeugt, dass Volkswagen sehr großes Interesse hat, am Ball zu bleiben«, so Meyer.

»Uns muss bewusst sein, dass wir wirklich hier die Automobilindustrie ganz, ganz entscheidend stärken können.«

Ute Bonde (CDU) Verkehrssenatorin

Meyer verrät auch, dass der Berliner Testbetrieb bei gewissen Wetterbedingungen tageweise eingestellt werden dürfte. »Wetter ist eine relevante Betriebsbedingung. Das heißt, wir werden nach dem Entwicklungsstand, den wir erreichen, unterschiedliche Betriebsbedingungen für dieses Fahrzeug auch freigeben lassen durch die Zulassungsverfahren«, sagt er. Extreme Wettersituationen wie beispielsweise starker Schneefall oder ähnliches, seien »Situationen, in denen wir die Fahrzeuge in dem Testlauf nicht zulassen würden«.

Allerdings seien alle Sensoren mit beheizten Reinigungssystemen ausgestattet. »Wir testen heute schon auf Schneeflächen. Wir testen auf Eisflächen. Wir arbeiten dahin, dass wir dann die Systeme auch unter verhältnismäßigen Rahmenbedingungen zulassen können«, sagt Meyer.

Freiheit vom Führerschein

»Wir fangen klein an, um es dann ganz, ganz groß zu machen und allen Berlinerinnen und Berlinern die Freiheit zu bringen, ihre Mobilitätskette zu wählen, so wie sie es für ihre eigenen Bedürfnisse benötigen«, sagt Verkehrssenatorin Ute Bonde. Derzeit kosten die autonomen Busse aber noch einen sechsstelligen Betrag pro Stück.

Diese »Revolution« gebe den Berlinerinnen und Berlinern die Freiheit, »sich jetzt so zu bewegen, wie sie es möchten«. Dafür bräuchten sie kein eigenes Fahrzeug, sie »können arbeiten während des autonomen Fahrens und brauchen auch nicht zwingend einen Führerschein. Das ist Teilhabe at it’s best.«

»Und es ist eben nicht nur ein verkehrlicher Aspekt, sondern für mich ist es ganz entscheidend ein wirtschaftlicher Aspekt für den Wirtschaftsstandort Deutschland«, unterstreicht Bonde. »Uns muss bewusst sein, dass wir wirklich hier die Automobilindustrie ganz, ganz entscheidend stärken können und damit den Wirtschaftsstandort Deutschland weiterhin nach vorne bringen und ihn wieder dahin bringen können, wo er schon mal war und wo er auch wieder hingehört«, so die Auto-Senatorin.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193672.nahverkehr-vollautonom-von-a-nach-b.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192449.bvg-visionen-der-berliner-cdu-megasbusse-als-tramskiller.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193781.autonomes-fahren-die-zukunft-faehrt-vor.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181623.berliner-nahverkehr-berliner-senat-und-bvg-geisterfahrt-in-die-zukunft.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169790.autonomes-fahren-taxidienst-ohne-fahrer.html