»So kaputt habe ich mich noch nie gefühlt«, sagt Enrique. »Ich hatte zwei, drei Tage lang Fieber; die Knöchel, die Knie waren geschwollen und haben höllisch geschmerzt. Dazu Kopfschmerzen und Durchfall.« Den Mittdreißiger aus Havannas Stadtteil Regla, der sein Geld auf dem Bau verdient, wirft normal so schnell nichts aus den Schuhen. »Aber dieses Virus ist wirklich heftig«, sagt er. »Ich konnte kaum die Füße anheben oder die Knie beugen.«
Enriques Mutter hat es noch schlimmer erwischt. Sie konnte nicht mehr allein aufstehen und musste beim Laufen gestützt werden, erzählt er. Auch die Kollegen seiner Baubrigade lagen allesamt mehrere Tage flach. »Gefühlt hat gerade jeder im Viertel das Virus«, sagt Enrique. Gemeint ist Chikungunya, eine Krankheit, deren Name (»der gekrümmt Gehende«) auf die durch hohes Fieber und Gelenkentzündungen verursachte gebeugte Körperhaltung anspielt.
Hunderte, wenn nicht Tausende im ganzen Land haben sich in den vergangenen Wochen mit den durch Stechmücken übertragenen Viren infiziert. Kuba steckt in einer epidemiologischen Krise, in der Dengue, Oropouche und Chikungunya zirkulieren. Hinzu kommt ein Anstieg akuter Durchfallerkrankungen – typisch für die Regenzeit – und von Hepatitis A. Am vergangenen Mittwoch bestätigte das kubanische Gesundheitsministerium[1] den Tod von drei Menschen an schweren Komplikationen des Dengue-Fiebers, ohne jedoch weitere Informationen zu den Fällen zu geben.
In den sozialen Netzwerken prangerten viele Bürger die epidemiologische Lage an, unter der vor allem Kinder und ältere Menschen leiden. Schnell waren Halbwahrheiten bis hin zu Verschwörungstheorien im Umlauf. Am 8. Oktober trat dann Kubas nationaler Direktor für Epidemiologie, Dr. Francisco Durán García, den Kubanern durch seine täglichen Wasserstandsmeldungen während der Covid-19-Pandemie[2] bekannt, öffentlich Meldungen von elf Todesfällen und einer Überlastung der Krankenhäuser entgegen. Die Behörden informierten, dass Dengue in zwölf der 16 Provinzen Kubas und Chikungunya in acht Provinzen zirkuliert, während Oropouche nur in Einzelfällen festgestellt wurde.
Von der Krise besonders betroffen ist die Provinz Matanzas. Vize-Gesundheitsministerin Dra. Carilda Peña García stellte bei einem Auftritt im staatlichen Fernsehen klar, dass es in Matanzas »keinen Chikungunya-Ausbruch« gibt, die Analysen aber eine zugrunde liegende Dengue-Infektion ergeben hätten. Viele Krankenhäuser in Matanzas scheinen aufgrund des Zustroms von Patienten an der Belastungsgrenze. Ende vergangener Woche berichteten staatliche Medien, dass aufgrund der Zunahme von Dengue- und Chikungunya-Fällen das Gesundheitsministerium in Abstimmung mit den Behörden der Provinz zusätzliche Betten an der Universität für Medizinwissenschaften eingerichtet hat, um das Provinzkinderkrankenhaus zu entlasten. Zudem wurden 2500 Medizinstudent*innen mobilisiert. Zu ihren Aufgaben gehören die Identifizierung von Patienten mit Symptomen sowie das Aufspüren und die Beseitigung von Mückenbrutstätten. Zudem kündigten die Gesundheitsbehörden ein Maßnahmenpaket an, das die Verstärkung der Polikliniken, die Unterstützung mit Medikamenten und Hilfsgütern sowie Hygiene- und Desinfektionsmaßnahmen umfasst.
Viele Kubaner*innen sind überzeugt, dass die hohe Infektionsrate mit der Erosion staatlicher Dienstleistungen zusammenhängt. Die Regierung räumt dies indirekt ein. Gesundheitsminister José Ángel Portal Miranda führte die epidemiologische Situation »auf klimatische Faktoren wie Hitze und Regen sowie auf Probleme bei der Müllabfuhr und der Wasserversorgung zurück, die das Risiko einer Verbreitung der Überträger erhöhen«. Und Vizeministerin Peña erklärte, dass aufgrund des Treibstoffmangels die Situation im Land »sehr komplex« sei, um die notwendigen Sprühkampagnen gegen Mücken durchzuführen.
Die stundenlangen täglichen Stromabschaltungen, Probleme bei der Müllabfuhr, Engpässe beim staatlichen Verteilungssystem von Grundnahrungsmitteln, Probleme bei der Wasserversorgung – die Liste der Faktoren, die die Infektionsbekämpfung erschweren, ist lang. Durchschnittlich drei der knapp zehn Millionen Einwohner Kubas sind beispielsweise von Unterbrechungen der Wasserversorgung betroffen. Die Stromausfälle wirken sich direkt auf den Betrieb der Wasserpumpen- und -verteilungssysteme aus. Die allgemeine Krise schlägt sich auch im öffentlichen Gesundheitssystem Kuba nieder. Die Krankenhausinfrastruktur wird prekärer, es mangelt an Fachkräften, Medikamenten und medizinischem Gerät. Nicht selten fehlt es in den Labors selbst an Reagenzien für Diagnosen.
Enrique und seine Kollegen sind mittlerweile wieder fit; beim Arzt aber waren sie nicht. »In den Polikliniken wirst du zwar betreut, aber es gibt keine Tests und erst recht keine Medikamente«, sagt Enrique. »Es hilft nur Ausruhen und hoffen, das es schnell vorübergeht.«