Ibrahima Barry aus Guinea starb am 6. Januar 2024[1] unmittelbar nach einem Polizeieinsatz. Beamte fesselten den 23-Jährigen an Händen und Füßen. Außerdem schossen sie mit einem Distanz-Elektroimpulsgerät[2], umgangssprachlich Taser, auf ihn. Dies soll nach Angaben von Ermittlern keinerlei Wirkung erzielt haben, doch kurz darauf war der junge Mann tot.
In naher Zukunft wird es nun zum Prozess gegen neun an dem Polizeieinsatz auf dem Gelände einer Sammelunterkunft für Geflüchete in Mülheim an der Ruhr beteiligte Beamte kommen. Allerdings steht noch nicht fest, an welchem Gericht dieser eröffnet wird. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Duisburg liegt dem Landgericht Duisburg bereits seit März vor[3].
Inzwischen hat die 6. große Strafkammer des Landgerichts die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen. Das teilte Gerichtssprecher Philipp Hein jetzt auf »nd«-Anfrage mit. Das Hauptverfahren sei aber vor dem Amtsgericht Mülheim eröffnet worden. Da die Staatsanwaltschaft gegen diese Entscheidung umgehend Beschwerde eingelegt habe, sei diese Entscheidung aber noch nicht rechtskräftig. Die Strafverfolgungsbehörde hatte wegen des bestehenden öffentlichen Interesses an dem Fall eine Verfahrenseröffnung am Landgericht verlangt. Die will sie weiterhin durchsetzen.
Über die Beschwerde befinde jetzt das Oberlandesgericht Düsseldorf. »Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts – die üblicherweise zeitnah erfolgen wird – wird eine Terminierung entweder durch das Landgericht Duisburg oder das Amtsgericht Mülheim zu erfolgen haben«, erklärte Pressesprecher Hein.
Das Amtsgericht sei als zuständig angesehen worden, weil das Landgericht nach nur bei einer zu erwartenden Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren für die Beschuldigten als Prozessort in Betracht komme, so der Sprecher. Da die Staatsanwaltschaft die Beamten aber nur wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung im Amt und nicht wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt hat, sind geringere Strafen zu erwarten.
Laut Anklagebehörde war der Taser-Einsatz nicht ursächlich für den Tod von Ibrahima Barry. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft waren vor Anklageerhebung abgeschlossen.
Gegen die Verlegung des Prozesses ans Amtsgericht hat auch Anna Busl, die als Anwältin die Eltern des jungen Mannes als Nebenklägerin vertritt, Bescherde eingelegt. Allein dadurch, dass bei einem Polizeieinsatz ein Mensch gestorben sei, sei der Fall von besonderer Bedeutung, sagte Busl gegenüber »nd«.
Ob Ibrahimas Eltern zum Prozess anreisen können, ist noch nicht klar. Sie würden aber gern daran teilnehmen, so Busl. Die Juristin beklagt, dass sie seit vielen Monaten keine Akteneinsicht erhalten habe, mit wechselnden Begründungen durch das Landgericht. Auch die Anklageschrift habe sie noch immer nicht erhalten. »Darin sehe ich eine Verletzung des wirksamen Vertretungsrechts der Nebenklage«, sagt Busl.
Die Staatsanwaltschaft wirft den Beamten vor, den jungen Mann auf lebensgefährliche Weise gefesselt zu haben. Die Behörde gehe davon aus, »dass diese Art der Fesselung unverhältnismäßig und nicht gerechtfertigt gewesen sei«, erklärte das Landgericht Duisburg. Die Polizisten sollen Barrys Arme hinter dem Rücken »mittels der dienstlich gelieferten Handfesseln« und seine Beine zusätzlich mit Kabelbindern fixiert haben. Darüber hinaus hätten sie beide Fesselungen miteinander verbunden, was dem Geflüchteten erhebliche Schmerzen bereitet haben soll. Die aus der Fesselungsmethode resultierende Lebensgefahr sei den Beamten bewusst gewesen, glaubt die Staatsanwaltschaft.
Die Beamten waren an jenem 6. Januar 2024 in die Geflüchtetenunterkunft im Mülheimer Stadtteil Saarn gerufen worden, weil Barry in seinem Zimmer laut Staatsanwaltschaft »aggressiv gewesen sei, randaliert habe und Inventar der Unterkunft beschädigt haben soll«. Drei Beamt*innen wollten ihn zunächst im Zimmer stellen. »Aufgrund der massiven körperlichen Gegenwehr des Geschädigten« sei dies nicht möglich gewesen. Barry flüchtete auf den Hof, wo er einen Sicherheitsmitarbeiter mit den Worten »Ich bring dich um!« bedroht haben soll.
Sechs weitere Polizistinnen kamen laut Staatsanwaltschaft zur Verstärkung hinzu und halfen, Barry zu überwältigen. Nach Fesselung und Taser-Einsatz sei dieser in einen Rettungswagen gebracht worden, »wo unmittelbar im Anschluss kein Puls mehr feststellbar gewesen sei«. Der junge Mann starb laut Obduktion an einem Herzinfarkt.
Dass die Anklage auf gefährliche Körperverletzung begrenzt bleibt, liegt laut Gericht an der komplexen Todesursache. Die Staatsanwaltschaft sieht ein »Kombinationsgeschehen aus lagebedingtem Erstickungstod und einem frischen Herzinfarkt«. Verstärkend hätten Kokainkonsum, extremer Erregungszustand und eine Lungenerkrankung gewirkt.
Aktive des Solidaritätskreises »Justice for Ibrahima« finden, dass die Justiz die Geschehnisse verharmlost. Sie sind überzeugt, dass Ibrahima ohne den Taser-Einsatz und die Fesselung »an dem Tag einfach nicht gestorben« wäre. Es sei schließlich bekannt, dass Elektroschockwaffen zum Herzstillstand führen können.
Anwältin Busl hofft auf eine Verurteilung der Beamten. Aber natürlich sei bekannt, dass es dazu nur in den seltensten Fällen komme, wenn Polizisten an Einsätzen beteiligt seien, bei denen Menschen sterben oder verletzt werden, weiß sie.