Fußballstadien sind nicht unbedingt als Orte wohlüberlegter Äußerungen bekannt. Eigentlich regiert im Stadion gerne das derbste Argument. Beim Bundesliga-Topspiel[1] am Samstagabend zwischen Bayern München und Borussia Dortmund hallte trotzdem eine ungewöhnlich nachdenkliche Aussage am lautesten nach: »Wer dem Täter Raum gibt, trägt seine Schuld mit«, stand auf einem Banner, das während des Spiels vor dem Ultra-Block der Bayern-Fans hing. Ergänzt durch das zugegeben etwas derbe: »Boateng, verpiss dich«. Eine Unmutsbekundung der aktiven Fanszene der Münchner wegen der bevorstehenden Rückkehr von Jérôme Boateng.
In der vergangenen Woche hatte der frühere Bayern-Verteidiger verkündet, dass er im Rahmen seiner Trainerausbildung bei seinem alten Teamkollegen und heutigen Bayern-Coach Vincent Kompany hospitieren wird. Was für Kompany und die Führungsetage des Vereins dabei anscheinend kein Problem ist, für die Fans der Münchner aber sehr wohl: Der Weltmeister von 2014 wurde im vergangenen Jahr wegen Körperverletzung[2] an seiner Ex-Partnerin für schuldig befunden. Auch der Selbstmord seiner Ex-Freundin Kasia Lenhardt[3], die wegen einer Verschwiegenheitsvereinbarung nicht über die Beziehung mit Boateng sprechen durfte, von diesem jedoch nach der Trennung in den Medien als Lügnerin und Erpresserin bezeichnet wurde, ist Teil von Boatengs Vita abseits des Platzes.
Es stimmt zwar, dass jedem Menschen eine Chance auf Resozialisierung zusteht, wie es Bayerns Vorstandsvorsitzender Jan-Christian Dreesen am Sonntag als Reaktion auf die Proteste ausdrückte. Aber jeder Täter sollte vorher auch Verantwortung für sein Fehlverhalten übernehmen. Jérôme Boateng hat das – zumindest öffentlich – bisher nicht getan. Der Hinweis auf eine ARD-Dokumentation, die Ende November erscheinen soll, in der sich der 76-fache Nationalspieler erstmals ausführlich zu dem Urteil und den Vorwürfen gegen ihn äußern will, reicht da bei Weitem nicht.
Nun müssen die Bayern-Fans ihre eigene Vereinsführung an deren Ansprüche[4] erinnern. Denn noch vor einem Jahr verkündete Münchens Präsident Herbert Hainer anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen pathetisch: »Der FC Bayern erneuert seinen Appell an alle, beim Thema häusliche Gewalt nicht wegzuschauen, um Betroffene zu unterstützen und zu schützen.« Wenigstens die Bayern-Ultras wollen im Fall Boateng nicht mehr wegschauen.